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Lutz Heilmann
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Frage von Salvatore P. •

Frage an Lutz Heilmann von Salvatore P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Heilmann,

wie gehen Sie mit der leider verbreiteten selbstgerechten Ignoranz und Verlogenheit in dieser Gesellschaft um, die es jahrzehntelang zugelassen hat, dass ehemalige Mitglieder und Täter des nazistischen Mörderregimes zu Amt, Würde und Karriere kamen und sich unbesorgt zu den westdeutschen Eliten zählen durften, und bis heute eine umfassende Aufarbeitung dieser Vergangenheit nicht stattgefunden hat?
Siehe dazu die aktuelle Vorstellung des Buches "Dieses eine Leben – Aufrecht durch dunkle Zeiten" von Gunter Haug auf den Nachdenkseiten.
Albrecht Müller meint dabei, dass es viele Parallelen "zwischen der Nazibewegung und der neoliberalen Bewegung und der in ihrem Geist geprägten Realität von heute gibt: ungerecht, mit einer weiteren Spaltung von oben und unten, arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindlich, mittelmäßig in der Sache aber perfekt in der Propaganda, einflussreiche Netzwerke, zerstörerisch, korrupt".
Wie sehen Sie diese Entwicklung als jemand, der in einem anderen Gesellschaftssystem gelebt hat? Welche Möglichkeiten hat die Politik, um dieser für viele Menschen bedrohliche Entwicklung standzuhalten?

Mit freundlichen Grüßen
S. Pantó

Portrait von Lutz Heilmann
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Pantó,

vielen Dank für Ihre Frage, ich bitte die Verzögerung der Beantwortung zu entschuldigen.
Doch nun zu Ihren Fragen: Das von Ihnen benannte Buch ist mir noch unbekannt. Ich werde es aber als Lektüre demnächst auf meinen Plan setzen. Sie sprechen mit Ihrer ersten Frage tatsächlich einen wunden Punkt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland an. Die Geburtsfehler der Bundesrepublik Deutschland kennen wir alle: dass es gerade hochrangige Vertreter des Nazi-Regimes in höchste öffentliche Positionen der Bundesrepublik schafften. Heute noch werden Fälle bekannt, wonach Verstrickte nach dem Krieg hohe Positionen einnahmen. Als Beispiel seien hier die Vorgänge im Auswärtigen Amt aus dem Jahr 2005 genannt. Weniger gut gelungen waren auch die Artikel 131 und 132 Grundgesetz, die es manchem Verstrickten erlaubten, wie sie sagen, zu Amt und Würden und einer Karriere auch in der Bundesrepublik Deutschland zu kommen. Ungeachtet dessen, dass ich das von Ihnen erwähnte Buch noch nicht gelesen habe, kann ich dem Vergleich von Nazi-Bewegung und neoliberaler Bewegung unter Feststellung von Parallelität nicht folgen. Das Nazi-Regime war, wie Sie richtig in Ihrer Frage feststellen, ein mörderisches System. Ein solches System hat es bis dato in der Geschichte der Menschheit nicht gegeben. Die Nazis betrieben systematischen Völkermord und begangen Verbrechen in ungeahntem Ausmaße. Ich bitte Sie, mich nicht falsch zu verstehen, aber ich meine, all das, was heutzutage an Ungerechtigkeit im umfassendsten Sinne von sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Ungerechtigkeit besteht, nicht mit dem System des Nationalsozialismus verglichen werden kann. Ich verkenne aber auch nicht die Gefahren, die sich aus den Erscheinungen des Neoliberalismus ergeben. Eine Gefahr ist dabei die, dass der braune Mob immer mehr versucht die Widersprüchlichkeiten der Gesellschaft für sich zu instrumentalisieren. Hier sehe ich die Aufgabe für alle Demokratinnen und Demokraten, dem gemeinsam entgegenzuwirken.

Sie fragten mich speziell, wie ich die Entwicklung sehe, als jemand, der in einem anderen Gesellschaftssystem gelebt hat. Grundsätzlich: die DDR bzw. das dort herrschende System litt an tiefgreifenden Mängeln in der Frage der Demokratie, in der Frage des Umweltschutzes aber auch im Bereich der Wirtschaft. Diese Widersprüche führten 1989 letztlich dazu, dass die DDR zusammenbrach. Der real existierende Sozialismus hatte gezeigt, dass er nicht dazu in der Lage war, die Probleme - vor allem mit den Menschen gemeinsam - zu lösen. Ich bin aber auch der festen Überzeugung, dass mit dem Zusammenbruch insbesondere der DDR "kein Sieg der Bundesrepublik" vorlag. Ganz grob gesagt, nach der Implosion des real existierenden Sozialismus in der DDR war die Bundesrepublik Deutschland und deren System einfach übrig geblieben. Da ich davon überzeugt bin, dass die Menschheit dazu in der Lage ist, eine sozial, ökologisch und wirtschaftlich gerechte Gesellschaft zu errichten, blieb ich auch nach 1989, bzw. nach dem Zusammenbruch der DDR, in der SED, der SED/PDS, der PDS und jetzt der LINKEN.

Zu Ihrer Frage, welche Möglichkeit die Politik hat, um dieser, für viele Menschen bedrohlichen Entwicklung standzuhalten, möchte ich folgende Gedanken äußern: Politik ist kein Selbstzweck, Politik wird durch Menschen gemacht, diejenigen Menschen, Bürgerinnen und Bürger, die Politik machen, müssen bei Ihrer Politik in historischer Verantwortung insbesondere gegenüber dem Nazi-Regime handeln. Für mich als Linker, als Sozialist, heißt das, Alternativen gegen die Ungerechtigkeiten der Welt zu formulieren. Darüber hinaus heißt es aber für mich, mit allen gesellschaftlichen Gruppen, die sich gegen Faschismus und Rassismus wenden, in breitesten Bündnissen zusammenzuarbeiten, um gegen faschistische Ideologien ein breites gesellschaftliches Klima zu erzeugen. Diejenigen, die als Politikerinnen und Politiker arbeiten, haben hinsichtlich dessen eine besondere Verantwortung.

Mit freundlichen Grüßen
Lutz Heilmann