Frage an Lucia Puttrich von Mark T. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Puttrich,
wie stehen Sie zu den Verhandlungen der EU bzgl. eines möglichens Beitritts Islands?
In Zeiten des Wohlstandes hat Island diese Möglichkeit immer wieder von sich gewiesen. Jetzt, als Folge der Wirtschaftskrise und des beinahe Staatsbankrotts, will Island in die EU. Schwächt eine Aufnahme Islands nicht weiter die Stabilität der EU, wenn Länder nur dann aufgenommen werden wollen, wenn Sie in Not sind?
Vielen Dank.
MfG
Mark Thaler
Sehr geehrter Herr Thaler,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage zum Thema EU-Beitritt Islands – ich kann Ihre Kritik sehr gut verstehen.
Grundsätzlich hat Island gute Chancen auf eine Mitgliedschaft: Island ist bereits in europäische Strukturen integriert, so sind 75 Prozent des Gemeinschaftsrechtes übernommen, es ist Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraumes und Unterzeichner des Schengener Abkommens. Darüber hinaus erfüllt es zwei wichtige Beitrittskriterien – eine gut entwickelte Marktwirtschaft und stabile demokratische Einrichtungen.
Dennoch, Sie sprechen es an, muss nach den wahren Motiven für einen Beitritt gefragt werden. Ein Knackpunkt ist darüber hinaus die Fischereipolitik: Die Isländer verfügen im Atlantik über eine 200-Seemeilen tiefe nationale Fischereizone mit einer Größe von 760.000 Quadratkilometern. Das ist siebenmal so groß wie die Insel selbst und gut doppelt so groß wie Deutschland. Hier befinden sich einige der größten Fischbestände des Ozeans. Und nach EU-Recht müssten diese zu EU-Gewässern werden. Ein weiteres Problem ist der Walfang - geächtet in der EU, aber von Island seit 2006 auch kommerziell wieder betrieben. Das Thema ist zwar wirtschaftlich nicht besonders wichtig, aber von solcher politischen Symbolik, dass es ein Umdenken Islands erfordern könnte. Schließlich ist auch eine Integrationswilligkeit des Staates und eine europäische Identifikation seitens der Bürgerinnen und Bürger Islands vonnöten.
Soviel ist sicher: Um eine Schwächung der Europäischen Union durch die Mitgliedschaft Islands von vorneherein auszuschließen, wird die Europäische Kommission besondere Sorgfalt bei der Prüfung des Mitgliedantrages walten lassen. Erst einmal wird die Europäische Kommission eine ausführliche Studie über das isländische Wirtschafts- und Rechtssystem sowie den politischen Aufbau erstellen, die auch die Auswirkungen der Finanzkrise auf das isländische Wirtschaftssystem intensiv untersuchen wird. Erst wenn dieser Bericht vorliegt, was etwa ein Jahr dauern wird, werden der Rat und das Europäische Parlament entscheiden, ob Island offiziell als Kandidat für den EU-Beitritt zugelassen werden kann. Erst danach können die formellen Verhandlungen über die Beitrittsbedingungen eingeleitet werden. Dies wird weitere ein bis zwei Jahre dauern. Schließlich können die Isländer selbst den Beitritt per Referendum verhindern.
Sehr geehrter H. T., anhand dieses Ablaufs wird deutlich, dass Island noch ein weiter Weg zu einer EU-Mitgliedschaft bevorsteht – somit aber auch genügend Zeit hat, seinen Finanzmarkt zu stabilisieren und die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Auch kann man erwarten, dass sich Island für die finanziellen Folgen der isländischen Bankenkrise in ihrem Land verantwortlich fühlt.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage hinreichend beantworten und Ihre Befürchtungen entschärfen.
Mit freundlichen Grüßen
Lucia Puttrich