Frage an Lothar Bisky von Ralph U. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Bisky,
ich bin ein selbständig Gewerbetreibender in Aalen/Württemberg. Meine von mir geschiedene Frau wohnt mit ihrer Familie und unseren gemeinsamen Sohn, der zu 80 % schwerbehindert ist, in Thüringen. In all den Jahren war es mir möglich, meinen Sohn öfters im Jahr zu mir zu holen, damit er einige Wochen gemeinsam mit mir verbringen kann.
Auf Grund zurückgehender Aufträge bin ich seit März dieses Jahres auf Zuzahlung von ALG II angewiesen. Um weiterhin den erforderlichen Kontakt zu meinem Sohn aufrechtzuerhalten, beantragte ich eine Umzugsbewilligung auf der hiesigen ARGE zurück nach Thüringen. Diese wurde mit der Begründung abgelehnt: "Ein Umzug sei nicht zwingend erforderlich.“ Da ich schon 55 Jahre alt bin und als Selbständiger nur noch auf meine eigenen Einkünfte plus ALG II zählen kann, halte ich diese Begründung für mehr als zynisch.
Die Rechtstreitigkeit wird wohl jetzt vor dem Sozialgericht Ulm verhandelt werden.
Meine Frage: Liegt es im Ermessensspielraum eines Arbeitsamtes einen auf familiäre Gründe basierenden Antrag als nicht zwingend abzulehnen?
Eine entsprechende Anfrage richtete ich bereits vor Wochen an die Abgeordnete der Linken, Halina Wawrzyniak, ohne eine Antwort zu bekommen. Leider!
Mit freundlichen Grüßen - Ralph Unger
Sehr geehrter Herr Unger,
vielen Dank für Ihre Frage. Zunächst bitte ich Sie um Verständnis dafür, dass ich als Nicht-Jurist Ihnen keine verbindliche Antwort geben darf und kann, zumal der von Ihnen beschriebene Sachverhalt eine Unmenge von Details beinhaltet, die ich hier nicht nachprüfen kann.
Ich persönlich halte nicht nur die Antwort, die Sie erhalten haben, sondern das gesamte so genannte Hartz IV-Gesetz für zynisch. Es konstruiert auf der einen Seite abstruse neue Familien und zerstört auf der anderen Seite durch Aussagen, wie Sie Ihnen gegenüber getätigt wurden, Familien.
Wie mich die von Ihnen erwähnte Halina Wawzyniak, die Justiziarin der Fraktion DIE LINKE, informierte, kommt bei Ihrem Fall als zusätzliches "Problem" hinzu, dass es um die so genannten Kosten der Unterkunft (wir sprechen lieber von Wohnkosten, weil auch Hartz IV-Betroffene wohnen) geht, deren Bewilligungskriterien von den Kommunen festgelegt werden und übrigens auch von ihnen zu finanzieren sind. Insofern ist es wahrscheinlich, dass die Regelungen in Thüringen andere sind als die in Aalen. Dies kann sowohl die Höhe der zu übernehmenden Kosten, aber auch die konkreten Modalitäten eines Umzuges betreffen. Der Bundesgesetzgeber hat nun zunächst in § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II formuliert: "Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll der erwerbsfähige Hilfebedürftige die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen." Es ist also vom Bundesgesetzgeber so gewollt, dass Sie eine Zusicherung zur Übernahme der Kosten eines Umzuges, der Mietkaution und der neuen Wohnkosten vorlegen sollen, bevor ein Umzug "gestattet" wird. (Ich darf daran erinnern, dass dieses Gesetz von der rot-grünen Bundesregierung mit Unterstützung von Union und FDP geschaffen wurde.)
Damit müssen Sie, wenn Sie den Umzug bezahlt bekommen wollen, eine Zusicherung beantragen. Diese ist Ihnen nun verweigert worden. Aus der Formulierung in § 22 Abs. 2 S. 2 SGB II "Der kommunale Träger ist nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind" ergibt sich, dass eine Verpflichtung - also kein Ermessen - besteht, soweit der Umzug nicht "erforderlich" ist. Was aber nun "erforderlich" ist, ist - wie die Juristen sagen - auslegungsbedürftig, da es sich um einen so genannten "unbestimmten Rechtsbegriff" handelt. Soweit die "Erforderlichkeit" bestätigt wird, gibt es kein Ermessen der Träger der „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ mehr. Aufgrund der Regelung der „Kosten der Unterkunft“ durch die Kreise
gibt es allerdings keine allgemeingültige Definition von "erforderlich". Der „Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.“ hat einen Versuch einer Verallgemeinerung unternommen, erwähnt aber nicht den von Ihnen geschilderten Fall. Eine Entscheidung des Bundessozialgerichtes, was unter "erforderlich" zu verstehen sei, ist meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und mir leider nicht bekannt.
Von daher drücke ich Ihnen die Daumen für ein familienfreundliches Urteil des Sozialgerichtes Ulm und verbleibe
mit freundlichen Grüßen, Ihr
Lothar Bisky