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Frage von Dietrich B. •

Frage an Lothar Bisky von Dietrich B. bezüglich Verbraucherschutz

Sehr geehrter Herr Prof. Bisky,

angesichts einiger aktueller Entwicklungen (Irland, Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann) habe ich zwei Fragen(komplexe) an Sie und die EU-Kandidaten der LINKEn:

(1)
Wie positionieren Sie sich angesichtes des widersprüchlichen Verhältnisses von Mehrheit und Richtigkeit (über das sich wohl zu philosophieren lohnt) zu Volksentscheiden in der EU?.
(Negativ(st)es Beispiel: Auch die NSDAP hat - unter unterstützter und strategischer Schaffung der dafür notwendigen Voraussetzungen - einmal eine Mehrheit im Deutschen Reich gehabt …)
Halten Sie es für richtig, in Irland einen zweiten Volksentscheid zum Lissabon-Vertrag durchzuführen (und nach einem zweiten evtl. einen dritten ...)?

(2)
Einstimmigkeitsentscheidungen kamen in der Verblichenen (DDR) u.a. deshalb zustande, weil - oft auch indirekt - gefragt wurde:
Stimmst Du damit ODER damit ODER damit ODER … überein?
Wenn ja (wenn Du also auch nur einem der Punkte zustimmst), dann kannst Du auch insgesamt zustimmen. (Ausdruck dafür ist u.a. die berühmt-berüchtigte Frage: Bist Du für den Frieden? Heute spricht man dann wohl von einem "Schritt in die richtige Richtung" und verdrängt das Krötenschlucken.)
Richtigerweise hätte es meines Erachtens heißen müssen:
Bist Du damit UND damit UND damit UND … einverstanden, dann stimme bitte zu. Wobei die einzelnen Punkte, im Gegensatz zur ODER-Frage, nicht gleichgewichtet sind und die „weniger wichtigen“ - im Sinne notwendiger Kompromisse - zur Diskussion stehen können.
Angesichts der Pauschlaschelte von Frau Dr. K. nach dieser längeren Vorrede die Fragen:
Welches wird Ihr Maßstab sein, Entwürfen zuzustimmen oder sie abzulehnen?
Gibt es für Sie nicht verhandelbare K.O.-Kriterien ("Essentials"); welche Kröten werden Sie keinesfalls schlucken?
Welches Ihrer Essentials hat Frau Dr. K. mit Ihrer Befürwortung des Lissabon-Vertrages verletzt?
Was halten Sie in diesem Zusammenhang von "Farktionszwang" bzw. "Fraktionsdisziplin"?

Beste Grüße

Dietrich Bicher

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Bicher,

haben Sie herzlichen Dank für Ihr Interesse und Ihre Fragen, die ich
gern beantworte.

Zur Frage der Volksentscheide:

Für DIE LINKE sind Volksentscheide ein wichtiger Bestandteil direkter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der politischen Entscheidungsfindung und der Politikgestaltung. Wir fordern insgesamt mehr demokratische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger auf allen Ebenen – kommunal, regional, national und auf der EU-Ebene. Die Bürgerinnen und Bürger brauchen mehr Einflussmöglichkeiten auf die Politik. Dabei stehen wir für die dreistufige Volksgesetzgebung, also für Bürgerinitiative, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Wir haben diese Vorschläge bereits mehrfach, auch als Gesetzentwürfe, in den Bundestag eingebracht; allerdings hat die Mehrheit der anderen im Bundestag vertretenen Parteien stets dagegen gestimmt.
Leider ist in Deutschland die direkte Einflussnahme der Bürgerinnen und Bürger auf nationaler Ebene völlig ungenügend. Der diesbezügliche Verweis auf die deutsche Geschichte ist aus meiner Sicht nach 60 Jahren Rechtsstaatlichkeit und einer stabilen Demokratie ein Argument, dass nicht auf der Höhe der Zeit ist. Und jeder, der Volksentscheide in Deutschland mit diesem Argument ablehnt, erklärt meiner Ansicht nach zugleich die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland als nicht wirklich demokratiefähig. Dagegen verwahre ich mich.
Was die EU-Ebene betrifft, so war der Integrationsprozess bisher vor allem ein Projekt der Regierungen und von Eliten und kaum der Bürgerinnen und Bürger. Es wird Zeit, dass die Europäische Union auch ein Europa der Menschen wird. Dazu bedarf es aus Sicht der LINKEN einer wirklichen europäischen Verfassung und einer EU-Politik, in deren Mittelpunkt die berechtigten Interessen der Menschen und der Natur stehen. Dieses Europa müssen die Bürgerinnen und Bürger ebenso mit gestalten wie eine europäische Verfassung und sie müssen – das ist mir wichtig - darüber auch abstimmen dürfen. DIE LINKE hat sich (ebenso wie die anderen Mitgliedsparteien der Europäischen Linken) dafür ausgesprochen, dass über Vertrag von Lissabon eine Volksabstimmung in allen EU-Mitgliedstaaten durchgeführt wird. Wir haben dazu Unterschriften gesammelt. Viele Menschen unterstützten dieses Anliegen. In unserem Europawahlprogramm haben wir auch die Forderung erhoben, dass es über EU-Grundlagenverträge und zukünftige Änderungen außer der Ratifikation durch die nationalen Parlamente auch obligatorische Volksentscheide geben muss.

Zu Ihrer zweiten Frage:

Selbstverständlich gelten für mich die Programme meiner Partei als Maßstab. Dort steht auch das, was ich als meine persönlichen Werte bezeichne. Dazu gehören Achtung der Würde jedes Menschen, Frieden, Antifaschismus, soziale Gerechtigkeit und Solidarität und nicht zuletzt der Erhalt und die Verbesserung der natürlichen Umwelt. Und für mich als Kulturpolitiker gehört auch die Aneignung, Bewahrung und Weiterentwicklung des reichen kulturellen Erbes in Europa und der Welt, mit dazu, was für mich auch einen kulturvollen Umgang miteinander einschließt.
Ich meine, dass das Ziel einer friedlichen, sozialen, ökologischen, demokratischen und solidarischen Welt nur dann erreicht werden kann, wenn alle demokratischen Parteien bereit sind, miteinander zu arbeiten und dass sie dabei alle zu Kompromissen bereit sein müssen. Das trifft auch für die Gesellschaft im Allgemeinen zu, denn ohne Mehrheiten sind die ehrsten Ziele nicht zu erreichen. Wofür ich niemals meine Zustimmung geben werde, sind Kriege und ihre Vorbereitung, Maßnahmen, die Menschen und Völker erniedrigen, alle Spielarten von Nationalismus und Rechtsextremismus. Und auch eine Politik, die Kosten sozialisiert, die Gewinne privatisiert und die Umwelt zerstört oder einer Renationalisierung der Europäischen Union das Wort redet, wird von mir keinerlei Unterstützung erwarten dürfen.

Einen Fraktionszwang kennt das Europäische Parlament übrigens nicht. Das
finde ich sympathisch.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Lothar Bisky