Frage an Lothar Bisky von Martin A.
Lieber Herr Bisky,
wie stehen Sie zur Realisierung des Artikels 146 des Grundgesetzes?
Beste Grüße
Martin-Dietmar Augustin
Sehr geehrter Herr Augustin,
das Grundgesetz ist ein Provisorium. Als im Mai 1949 der Parlamentarische Rat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verabschiedete, sollte mit dem Namen "Grundgesetz" vor allem der vorübergehende Charakter des Verfassungstextes deutlich gemacht werden. Diese Intention kam auch in Art. 146 GG zum Ausdruck ("Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist").
Eine Volksabstimmung über eine Verfassung hat es aber bis heute nicht gegeben. Der in Artikel 146 GG vorgesehene Zeitpunkt dafür ist 1990 verpasst worden. Sowohl bei der CDU als auch bei der SPD gab es damals keinen aufrichtigen politischen Willen, eine gemeinsame neue Verfassung zu schaffen. Dabei lag mit dem Entwurf einer neuen Verfassung für die DDR, ausgearbeitet vom Runden Tisch, ein hervorragend geeigneter Beitrag für eine Verfassungsdiskussion vor. So gab es weder über die staatliche deutsche Einheit noch über ein neues Grundgesetz eine Volksabstimmung. Die DDR wurde der Bundesrepublik über einen Beitritt nach Artikel 23 des Grundgesetzes förmlich "zugeschlagen."
Es gehört aber eigentlich zur Legitimation einer Verfassung, dass sie in einer Volksabstimmung angenommen wird.
Das Grundgesetz hat sich bei der Sicherung der Freiheitsrechte weitestgehend bewährt. Es gilt darum seinen Kern in jedem Fall zu erhalten. Eine neue Verfassung müsste jedoch fühlbar sozialer ausgerichtet sein. Dies wird in der Finanzkrise besonders deutlich. Wir brauchen eine Verfassung mit einklagbaren sozialen Grundrechten, wie z.B. dem Recht auf Arbeit, Wohnen, auf Bildung und soziale Sicherung. Notwendig ist auch eine Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips mit einem strikten Verbot der Privatisierung im Bereich der Daseinsvorsorge. Dabei ist die Verpflichtung des Staates festzuschreiben, sich vorrangig die notwendigen finanziellen Mittel zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit zu verschaffen. Hierzu hat DIE LINKE im Bundestag einen Gesetzentwurf erarbeitet. Zudem - und das liegt mir besonders am Herzen - müssten Elemente direkter Demokratie gestärkt werden. Die Volksgesetzgebung ist ein Ausdruck der direkten Demokratie und wird bereits in vielen Staaten (den meisten EU-Staaten) und deutschen Bundesländern erfolgreich praktiziert. Daher fordert DIE LINKE., auch auf Bundesebene eine dreistufige Volksgesetzgebung zuzulassen. Die Fraktion will weg von einer Zuschauerdemokratie hin zu einer Kultur der Beteiligung und des Dialogs. Denn nur wo sich Bürgerinnen und Bürger einbringen, wo sie mitreden und mit entscheiden können, kann eine Demokratie auf Dauer funktionieren.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Lothar Bisky