Frage an Lothar Bisky von Carla K. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Lieber Lothar Bisky,
die LINKE wird oft gefragt, ob sie wirklich proeuropäisch ist. Ich stelle Dir die Frage einmal etwas anders: Ihr werdet mit Gloria ins Parlament gewählt und nun wacht Ihr eines morgens auf und es ist folgendes verfügt: Die Bundesregierung ist abgeschafft, es gibt nur noch die Länderregierungen (keine Angst, alle Linksbundestagsabgeordneten haben Arbeit in den Landesregierungen- oder Parlamenten gefunden). Es gibt eine europäische Regierung mit 27 + - Mitgliedern, die aus dem Parlament hervorgeht (aus jedem Mitgliedsland ein Minister, der Vorsitz rotiert), das EP hat das volle Initiativ- und Haushaltsrecht, der Ausschuss der Regionen ist die Länderkammer (sozusagen der Bundesrat). Als erstes verhängt die neue, natürlich neoliberale Regierung die komplette Dienstleistungsfreiheit und eine Schuldenbremse. Was sagt unsere Gruppe zu dem allen?
Oder andere Variante: Ihr wacht auf, EU-Rat, Kommission, Parlament, EUgH etc. alles abgeschafft, keine Angst, Ihr kommt zurück in den Bundestag, oder in die Länderregierungen, Parlamente. Aber die EU ist weg. Es gibt ein riesiges, neu zu gestaltendes Europa von Lissabon bis Vladivostok. Die erste Maßnahme der natürlich kapitalistischen Regierungen: sie führen Währungen, Zölle ein und erhöhen die nationalstaatliche Autobahnmaut. Was sagt die Linkspartei?
Und gibt es eine dritte Variante, die Ihr vorziehen würdet und für die Ihr bereit wäret, Euch einzusetzen?
Mit herzlichen Grüßen und großem Dank im Voraus für die Antworten von Dir und der ganzen Gruppe!
Carla Krüger aus Berlin
Sehr geehrte Frau Krüger,
zu Deinen ersten beiden Visionen: Unsere Gruppe im Europäischen Parlament würde sich vermutlich in heftiger demokratischer politischer Opposition dazu verhalten und darauf hinwirken, diese Entwicklung umzukehren und einen wirksamen Beitrag für ein konsequent soziales und friedliches Europa zu leisten. Ob man proeuropäisch oder nicht ist, darf man meines Erachtens nicht an der konkreten Verfasstheit von europäischen Institutionen festmachen. Als LINKER bin und bleibe ich Internationalist und der internationalen Solidarität verpflichtet (s. auch meine Antwort an Herrn Vasco Schultz). Dies gilt selbstverständlich ebenso für Europa. Darum ist mein Bestreben, die politischen Mehrheitsverhältnisse so zu verändern, dass die EU zu einem Europa der Menschen wird, denn ein Europa der Konzerne lehne ich ab.
Meine Antwort auf Deine dritte Vision ist kurz und knapp. Sie lautet:
http://die-linke.de/fileadmin/tpl/gfx/wahlen/pdf/europawahlprogramm2009_neu.pdf
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Mit freundlichen Grüßen,
Lothar Bisky