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Lisa Paus
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Rene L. •

Frage an Lisa Paus von Rene L. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Paus,

als meine Wahlkreis-Abgeordnete darf ich den Aufruf der "150" Professoren zum Anlass nehmen, an Sie zu appelieren, eine weitere Ausweitung der Haftung für die Verbindlichkeiten anderer Staaten oder Institutionen (wie Banken) zu stoppen. Die Bundesregierung hat nicht das Mandat und der Bundestag nicht die Legitimation, ohne auch nur ein einziges Mal über die eigene Verfassung abgestimmt zu haben, den einzelnen deutschen Staatsbürger in immer größere Verbindlichkeiten unter dem Deckmantel des EURO hineinzutreiben. Mein Eindruck verdichtet sich immer stärker, dass sich die Politik (vornehmlich von der Bundeskanzlerin initiiert) immer mehr von dem Willen der Bevölkerung separiert und somit in eine erhebliche Legitimationskrise gerät. Die Leistungsträger dieser Gesellschaft finanzieren bereits Millionen von Transfergeldempfängern und sind nicht gewillt, nunmehr auch noch einen kreditfinanziertn Wohlstand von Staatsbürgern anderer Länder mittragen. Dies ist nicht mehr die Europäische Union in der ich leben möchte.

Wie sichern Sie die Kongruenz von Wählerwillen und Handlungsvollmacht ?

Mit freundlichen Grüßen

Dr. René Latotzky
Ein schlichter Bürger Ihres Wahlkreises

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Dr. Latotzky,

danke für Ihre Fragen zum einen zur ökonomischen Seite der Eurokrise, zu Haftungsrisiken und zur Bankenunion sowie andererseits zur damit verbundenen Demokratiefrage, wie die immer stärker europäisch geprägten Entscheidungen weiterhin im Grundsatz durch die BürgerInnen in Wahlen entscheidbar bleiben können.

Soweit ich Sie verstehe, sehen wir unterschiedliche Gründe, die Europa und Deutschland in die aktuellen Krisen auf den Finanzmärkten, bei Staatsschulden und der Wirtschaft geführt haben. Oft wird in der deutschen Debatte einseitig von einer Staatsschuldenkrise gesprochen. Es entsteht der Eindruck, dass unangemessene staatliche Ausgabenpolitik zu untragbaren Schuldenbergen geführt habe. Ich bin mit vielen ExpertInnen, auch des Rats der Wirtschaftsweisen, der Meinung das dies so nicht stimmt. Griechenland ist eine Ausnahme, nur dort war es tatsächlich langfristig gewachsene Staatsverschuldung, die in die Krise führte. Selbst der griechische Staatshaushalt enthielt aber kaum überdurchschnittliche Ausgaben im europäischen Vergleich und prozentual auf das Bruttoinlandsprodukt gerechnet, sondern vor allem viel zu niedrige Steuereinnahmen.

Vor allem bei den Krisenländern Spanien und Irland gaben die Staaten nicht zu viel aus - sie hatten bis zu Beginn der Krise 2008 Staatsschulden deutlich unter dem 60 Prozent-Maastrichtziel und deutlich unter dem Stand Deutschlands - sondern sie regulierten ihre Banken und Immobilienmärkte nicht ausreichend. Eine europäische Regulierung wurde von der Bundesregierung immer wieder unterbunden und konnte daher angesichts des nationalen Versagens nicht greifen. Die Banken in beiden Ländern lockten Kapital aus ganz Europa damit an, dass Irland mit einigen der niedrigsten Steuersätze in Europa warb und Spanien eine riesige Immobilienblase zu ließ. Als die Blasen von Spekulation und Hauspreisen platzten, retteten die Regierungen aus Angst vor dem völligen Zusammenbruch ihres Finanzsystems die bankrotten Banken. Dadurch stieg innerhalb kürzester Zeit die Staatsverschuldung rasant an. Spaniens Verschuldung liegt noch heute unter der deutschen. Es sind die weiteren Risiken der Banken in Spanien, die auch an der Zahlungsfähigkeit des Staates Zweifel weiterbestehen lassen. Deshalb ist es die Politik der Grünen und auch meine, mit einer Bankenunion diese wichtigsten Gründe vordringlich anzugehen. Allerdings vernachlässigen wir auch den Abbau der Staatsschuld nicht. Im Gegenteil haben wir dazu als einzige Partei mit der Vermögensabgabe einen konkreten Gesetzesvorschlag gemacht.

Sie greifen die Warnung von Herrn Sinn und einigen KollegInnen vor weiteren Garantien auf. Er unterschlägt dabei allerdings wichtige Tatsachen und Risiken, die ich in meine Abwägung vor wichtigen Bundestagsentscheidungen einfließen lassen muss. Dazu gehört die Frage, für welche Risiken für die BürgerInnen und SteuerzahlerInnen schon bestehen. Welche Kosten entstünden schätzungsweise bei einem Zusammenbruch des Euro? Die Bundesbank wäre pleite - wir müssten eine neue Bundesbank mit neuem Eigenkapital gründen. Aus der Abwicklung der Europäischen Zentralbank (EZB) entstünden hunderte Milliarden Kosten für den Bundeshaushalt. Die Rettungspakete würden fällig. Die deutsche Exportwirtschaft hätte ein Riesenproblem, denn unsere wichtigsten Handelspartner im EU-Binnenmarkt wären zahlungsunfähig mit ihrer stark abgewerteten Währung gegenüber unseren deutlich aufgewerteten Preisen. In Deutschland wären sofort viele Millionen Menschen mehr erwerbslos, warnen uns ExpertInnen. Das lässt sich aktuell gut in der Schweiz beobachten, deren starker Franke der dortigen Wirtschaft schwer zusetzt. Und nicht zuletzt: die Deutschen haben ca. 2,8 Billionen Euro private Auslandsanlagen. Auch sie würden deutlich an Wert verlieren, wie viel kann keiner sagen. Das trifft nicht nur Vermögende, sondern alle, die beispielsweise Lebensversicherungen oder andere Vorsorgeanlagen besitzen. Herr Sinn spricht in seinem Brief nicht über diese Risiken, die ich als verantwortliche Politikerin aber nicht ignorieren darf, sondern zum Teil des Maßes machen muss, wie weit Investitionen in eine europäische Zukunft lohnen.

Weil eine Entscheidung für den Euro meiner Meinung nach für die Deutschen ökonomisch und politisch deutlich günstiger ist, habe ich mehrfach für Maßnahmen zu seiner Rettung gestimmt. Dabei habe ich allerdings auch selbst Kritik an der Art der Hilfen. Denn dass der Euro noch nicht zusammengebrochen ist, liegt nicht an der Strategie der Kanzlerin. Vielmehr ist es die Politik der EZB, die das Versagen der Regierungen auffängt. Sie hat Billionen Euro auf die Märkte geworfen mit dem Ergebnis einer kurzfristigen Stabilisierung. Aber damit sind massive langfristige Risiken entstanden: Inflationsrisiken, aber auch weiteres Aufblähen der Staatsschulden. Der Zinsdruck für Spanien und Italien bleibt so bestehen, die Gefahr des Zusammenbruchs ist nicht gebannt.

Ein anderer Teil meines politischen Maßstabes ist allerdings auch das Grundgesetz. In seiner Präambel heißt es: "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben." Die Verankerung Deutschlands in einem vereinten Europa ist Staatsziel und das aus gutem Grund. Der diesen Montag verliehene Friedensnobelpreis für die Europäische Union honoriert die historisch einmalige friedenssichernde Wirkung der immer engeren Integration, die eben mehr Grund hat als allein ökonomischen Mehrwert zu erbringen.

Wie das Vereinigte Europa demokratischer werden kann, darüber gibt es allerdings entscheidend unterschiedliche Überzeugungen zwischen der schwarz-gelben Koalition und uns Grünen. Frau Merkel hat in der Vergangenheit selbst die sogenannte Unionsmethode in Abgrenzung von der Gemeinschaftsmethode entwickelt, also Entscheidungen eher unter den Staats- und Regierungschefs zu treffen als zwischen Europaparlament und Ministerrat. Genau das hat sie zum Beispiel mit dem Fiskalpakt auch weiter gestärkt. Wir Grünen haben dagegen schon im Januar einen Grünen Konvent veranstaltet, um mit vielen BürgerInnen und ExpertInnen über mögliche EU-Vertragsänderungen zu diskutieren. Unser Vorschlag ist die Stärkung des Europaparlaments, denn nur so kann angesichts der Vernetzung von Banken und Volkswirtschaften wieder die auch von Ihnen angesprochene Kongruenz von Wählerwillen und Handlungsvollmacht hergestellt werden. Nur wenn grundlegende wirtschafts-, fiskal- und sozialpolitische Entscheidungen im Europaparlament als Rahmen beschlossen werden, können Sie uns alle anderen BürgerInnen die Verantwortlichen wählen und abwählen. In den einzelnen Staaten, auch im Bundestag, bleibt angesichts des zwischenstaatlichen Wettbewerbs, der Vernetzung und der Vorverhandlung von Entscheidungen zwischen den Staats- und Regierungschefs sonst nur die unbefriedigende Wahl zwischen einem problematischen Kompromiss oder gar keiner Lösung für drängende Fragen. Wenn diese Handlungsunfähigkeit aus Mangel an gemeinsamer Wahrnehmung von Souveränität andauert, fürchte ich ernsthafte Gefahr für die grundlegende Akzeptanz der Politik in Europa und unserer Demokratie. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie unsere politischen Vorschläge für mehr Gerechtigkeit und Demokratie in Europa unterstützen würden.

Mit freundlichen Grüßen
Lisa Paus

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