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Lisa Paus
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Frage von Robert V. •

Frage an Lisa Paus von Robert V. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Paus,

Sie sind Mitglied im Finanzausschuss und Berlinerin. Mein Frage ist komplex aber sehr spannend und ich hoffe auf eine baldige Antwort von Ihnen.

Die seit Jahren in Medien und Politik präsente Diskussion zur Staatsverschuldung arbeitet häufig mit dem vorwurfsvollen Argument, diese Generation würde unzulässig hohe Staatsschulden an die nächste Generation "vererben". Man würde "auf Kosten der nächsten Generation leben". Geht das?

Dieses Argument suggeriert, als habe der Staat, also die gesamte Gesellschaft seine/ihre Schulden bei irgendeiner "äußeren Macht", die die nächste dann völlig überschuldete Generation dann quasi pfänden, ausquetschen o. ä. würde. Hier wird offenbar auch mit "Angst" gearbeitet, um politische Vorstellungen durchzusetzen. Aber wo Schuldner sind, sind stets auch Gläubiger! Und da offenbar fast alle westlichen Staaten (die der dritten Welt sowieso) hoch verschuldet sind, sind offenbar große Institutionen (z. B. Banken und Versicherungen, die wiederum irgendjemandem (z. B. Aktionären) gehören!) und die Bürger selbst die Gläubiger.

Das heißt aber auch, dass "wir" (die Gesellschaft) der nächsten Generation nicht nur Schulden, sondern auch Forderungen "vererben". Man könnte auch sagen, wir vererben eine Verteilung vermeintlicher Guthaben und Schulden. Ich schreibe vermeintlich, weil ich mich auch ernsthaft frage, ob dieses Geld überhaupt existiert, jemals existiert hat. Letztlich sprechen wir von Versprechungen, von mit Tinte bedrucktem Papier. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will das Thema nicht lächerlich machen. Aber wurde vor 20 Jahren noch über Millionen gesprochen, gehts jetzt nicht mehr unter zig Millarden. Das wird langsam alles sehr unglaubwürdig und absurd.

Ist es also richtig, dass wir eigentlich gar keine Schulden weitergeben (weil das eine verkürzte Darstellung ist), sondern nur eine fiktive Verteilung von Forderungen? Haben Sie darüber eigentlich schon mal nachgedacht?

Mit besten Grüssen

Robert V.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Veltmann,

ja, über die ganz besondere Qualität von Geld habe ich schon in meinem Studium der Volkswirtschaftslehre und auch der Politikwissenschaft nachgedacht. Geld kommt aus dem Tempel, habe ich dort gelernt. Zum einen ist das historisch gemeint, weil die Münzprägung in Rom in oder neben dem Tempel der "Juno Moneta" stattfand. Vor allem aber weil Geld tatsächlich nur so viel wert ist, wie die staatlichen Institutionen für seinen Wert garantieren können. Es geht also beim Geld um Glauben. Und genau so wie Sie sagen braucht dieser Glauben auch ein Fundament. Wenn die Politik eine zu unrealistische Verteilung von Ansprüchen und Schulden zulässt erwachsen daraus Zinsansprüche, die immer weniger aus den realwirtschaftlich geschaffenen Werten überhaupt befriedigt werden können. Ein zu großes Missverhältnis untergräbt tatsächlich das Fundament des Glaubens an das Geld. Diese und auch die letzte große Krise der 1920er Jahre wurden jeweils durch einen historischen Höchststand an Einkommens- und Vermögensungleichheit ausgelöst. Diese Gedanken sind deshalb auch die Grundlage unserer grünen Analyse der gegenwärtigen Krise. Weil diese Überlegungen sehr grundlegend sind, vergleichen einige die Verwirklichung unseres Green New Deal, der dieses Missverhältnis vom Kopf auf die Füße stellen soll, mit der jahrzentelangen Arbeit an der Energiewende.

Inwiefern das Geld, vor allem die Ansprüche aus der Finanzmarktspekulation der letzten Jahre überhaupt existiert, ist eine interessante Frage. Denn neoklassische Monetarier, immerhin der Mainstream der VWL und lange, teils noch immer tonangebend in der Debatte, berücksichtigen diese Form der Geldschöpfung allein unter Kontrolle der Geschäftsbanken praktisch nicht. Für sie zählt nur die Geldpolitik der Zentralbanken. Dass die Geldschöpfung bei den Geschäftsbanken durch die massive Deregulierung der Eigenkapitalanforderungen mit Basel II allerdings mehr oder weniger entkoppelt wurde und in Folge dessen rasant stieg und die Finanzmarktspekulation in nie dagewesene Milliardenhöhen trieb, das zählte für sie nicht. Politisch ist es eben so, dass die Politik letztlich entscheidet, ob die Verluste der Banken bei ihren hochspekulativen Geschäften als Verluste verbucht werden müssen oder nicht. Wenn sie als Verluste verbucht werden, löst sich das Geld wieder auf: Die Forderung wird gestrichen, damit entfallen die Schulden - und das in höhe von hunderten von Milliarden. Das virtuelle Buchgeld würde vergehen wie es als Kredit ursprünglich auch aus dem Nichts aufgeschrieben wurde. Die Zinsen würden damit ihre Rechtfertigung erhalten, sie sind ja legitimiert als Bezahlung des Risikos, dass Kredite abgeschrieben werden müssen.

Das Problem in der Krise besteht nun darin, dass Zinsen teils in der Krise noch steigen, die Streichung von Verlusten aber nicht ohne weiteres durchgeführt werden kann. Weil Banken durch zu schwache Regeln zu groß und untereinander europaweit zu vernetzt gewachsen sind, hätten Regierungen riskiert, dass dann aus dem Misstrauen gegen Banken eine Massenpanik geworden wäre, die jegliche Bereitschaft zum Vergeben von Krediten und zum Sparen von Geld bei Banken hätte vernichten können. Dann wäre der Glaube ans Geld so schlagartig kleiner geworden, dass Unternehmen aller Art davon ebenfalls in den völlig unverschuldeten Konkurs gerissen worden wären. Deshalb wurden Banken mit staatlichen Geldern gerettet, die Forderungen künstlich konserviert. Ob so etwas gerecht ist oder das genaue Gegenteil hängt davon ab, inwiefern die Bankgläubiger für die Verluste des Bankgeschäfts in Haftung genommen werden oder ob die Lasten den Steuerzahlern aufgebürdet werden. Die Regierungen im Rat der EU redeten zwar von Gläubigerbeteiligung als Voraussetzung für alle staatlichen Hilfen. Meistens passierte aber das Gegenteil. Ein letzter Höhepunkt dieses weitgehend von der Öffentlichkeit angesichts seiner Komplexität vernachlässigten Skandals war die Art der spanischen Bankenrettung. Während alle auf die Entscheidung des Bundestages über die letzte Freigabe von Hilfen an die griechische Regierung achteten, jagte die Bundesregierung die Freigabe von 30 Milliarden für spanische Banken im Eilverfahren durch den Haushaltsausschuss des Bundestages ohne dass auch nur eine Bank abgewickelt worden wäre - das Gegenteil von Minister Schäubles Zusage im Plenum, dass Abwicklung vor Sanierung gehe. Für viele Banken fehlte die Begründung für die Entscheidung.

Wenn wir Grünen uns aktuell einsetzen für eine starke gemeinsame europäische Bankenaufsicht und einen europäischen Abwicklungsfonds, dann vor allem um damit den Filz zwischen Banken, nationalen Aufsichten und Regierungen zu zerschlagen und um genau diese Gläubigerbeteiligung in Zukunft gewährleisten zu können. ExpertInnen wie Sony Kapoor, die wir im Bundestag als Grüne für Ausschussanhörungen benannt hatten, sprachen von rund 200 Milliarden tatsächlich nötigen Abschreibungen in europäischen Bankbilanzen. Wären diese frühzeitig von einer Aufsicht erzwungen worden, hätte die gegenwärtige Krise deutlich gemildert werden können. Noch regiert allerdings eine konservativ-wirtschaftsliberale Mehrheit nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ministerrat und im Europaparlament.

Die bisherige Banken-freundliche Politik wird nächstes Jahr gegen unsere Politikalternativen zur Wahl stehen, die vor allem eine ernsthafte Bankenregulierung, eine Vermögensabgabe und weitere Maßnahmen zur Umverteilung vorsehen. Nur so kann das von Ihnen beschriebene Missverhältnis wieder zurechtgerückt werden. Die Alternative einer Abwärtsspirale über immer weitere Lohnsenkungen und Sozialstaatsabbau vor allem in Südeuropa würde die gesamte EU in ein Jahrzehnt der Stagnation zwingen, weil die eigentlich abzuschreibenden Forderungen letztlich mit Einsparungen auch bei den Ärmsten bezahlt werden müssten. Ob das Geld eigentlich real ist, ist eine politische Frage, die in Wahlen entschieden wird.

Mit freundlichen Grüßen
Lisa Paus

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