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Lisa Paus
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Frage von Jens von C. •

Frage an Lisa Paus von Jens von C. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Paus,

in einem Artikel in ZEIT ONLINE stieß ich heute auf den Satz "Unter den im Bundestag vertretenen Parteien fand sich jedoch keine einzige, die sein (Prof. Paul Kirchhof) Konzept auf seine Realitätstauglichkeit überhaupt nur prüfen, geschweige denn es umsetzen will."
( http://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-06/kirchhof-steuer-plaene?commentstart=73#comments )

Diese Aussage impliziert, daß auch Ihre Partei keinerlei Interesse daran hat, das bereits seit Jahrzehnten in der Kritik stehende deutsche Steuerrecht zu überprüfen und gegebenenfalls einer grundlegenden Reform zu unterziehen. Auch im Parteiprogramm von B´90/DIE GRÜNEN konnte ich keine eindeutige Position zum Thema einer umfassenden Steuerreform finden.

Angesichts der Bedeutung eines gerechteren und einfacheren Steuerrechts, aber auch aufgrund der stark gestiegenen Bedeutung Ihrer Partei bin ich an Ihrer fachlichen und persönlichen Sichtweise interessiert. Ich bedanke mich bereits an dieser Stelle für Ihre Antwort und verbleibe

mit freundlichem Gruß
Jens von Coburg

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr von Coburg,

vielen Dank für Ihre Frage. Es stimmt nicht, dass wir keinerlei Interesse an der Reform des deutschen Steuerrechts haben. Wir Grüne wollen das Steuersystem einfacher, nachhaltiger und sozial gerechter machen. Damit das nicht nur Schlagwörter bleiben, müssen wir uns mit den Details des Steuerrechts auseinandersetzen. Als Mitglied des Finanzausschusses beschäftige ich mich praktisch täglich mit Fragen der deutschen Steuergesetzgebung. Gemeinsam mit meinen fachpolitisch zuständigen Kollegen aus der grünen Bundestagsfraktion erarbeite ich grüne Konzepte und äußere Kritik an dem, was die anderen Fraktionen des Deutschen Bundestags und die Bundesregierung im Steuerbereich vorschlagen. Darüber können Sie sich zum Beispiel auf meiner Homepage unter http://www.lisa-paus.de informieren. Die Beschäftigung mit einzelnen Gesetzen und steuerpolitischen Konzepten findet allerdings nicht immer den Weg in die öffentliche Berichterstattung, weil Einzelaspekte zu kleinteilig und zu schwer verständlich für eine kurze Meldung sind.

Das Steuerkonzept von Paul Kirchhof ist nicht zum ersten Mal in der Debatte. Eine umfassende Bewertung seiner Vorschläge haben wir, aber auch andere, bereits einmal vorgenommen, als er im Wahlkampf 2005 als Merkels künftiger Finanzminister ins Spiel gebracht wurde. Das Ergebnis war ernüchternd: Die Umsetzung des Konzepts kostet nach Berechnungen der Länderfinanzminister im ersten Jahr 42 Mrd. € extra, und in jedem folgenden Jahr weitere 11 Mrd. €. Selbst die Wirtschaftsverbände haben sich distanziert, weil der Industrie mit Kirchhofs Plan 7,5 Mrd. € entzogen würden.

Auch wenn man sich seine überarbeiteten Ideen heute ansieht, verfangen sie nicht. Allein der Einkommensteuertarif, den er vorschlägt, begünstigt überproportional Menschen mit hohen Einkommen. Für sie sinkt die Grenzbelastung von 42 bzw. 45% (Reichensteuer) auf 25%, während für Einkommen bis 20.000 Euro keine größere Senkung des Steuersatzes erfolgt. Eine Krankenpflegerin profitiert so gut wie gar nicht von seinem Modell, während ein Top-Manager über ein Drittel weniger an den Fiskus abtreten muss als jetzt. Das ist nicht nur sozial ungerecht, sondern führt auch zu erheblichen Einnahmeverlusten für die öffentlichen Kassen. Kirchhof sagt, seine Vorschläge finanzieren sich quasi selbst durch die Streichung von Ausnahmen im Steuerrecht. Welche Ausnahmen er genau meint, verschweigt er uns wie schon 2005. Infrage kämen zum Beispiel: Steuerfreiheit von Sonntags-, Nacht und Feiertagszuschlägen, die Übungsleiterpauschale, Sonderausgaben wie Spenden, Kirchensteuer und Beiträge zu Versicherungen, außergewöhnliche Belastungen wie Unterhaltskosten, Beerdigungskosten, Ausbildungskosten von Kindern und Kosten für Krankheit und Behinderung. Das können wir nun wahrlich nicht wollen.

Selbst wenn man seinen unter sozialen Gesichtspunkten äußerst fragwürdigen Vorschlägen folgt, würde die Abschaffung vieler Ausnahmen nicht möglich sein, weil sie verfassungsrechtlich garantiert sind. So macht zum Beispiel die Abzugsfähigkeit von Krankenversicherungsbeiträgen alleine zwischen 15 und 20 Mrd. Euro aus, ist aber durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts geschützt.

Für uns Grüne sind Kirchhofs Vorschläge daher eher ein nicht besonders gelungener Debattenbeitrag als ein echtes Reformkonzept.

Im Dschungel des deutschen Steuerrechts ist es nicht ohne weiteres möglich, eine große Reform am Reißbrett zu entwickeln. Für uns steht fest, das wir den Gedanken der Vereinfachung nicht über den Gedanken der Steuergerechtigkeit stellen wollen. Wo es geht, möchten wir beide Ziele erreichen. Wir Grüne als kleinste Fraktion des Deutschen Bundestags verfügen nicht mal ansatzweise über die personellen und finanziellen Ressourcen, die zum Beispiel das Finanzministerium hat. Und auch dort lässt der große Wurf für eine echte Reform auf sich warten. Ich möchte dazu nur an das im Juni beschlossene Steuervereinfachungsgesetz der Bundesregierung erinnern. Von schwarz-gelb angekündigt als ihr Meisterstück zum Bürokratieabbau im Steuerrecht, entpuppte sich das 131 Seiten starke Gesetz als ziemlich kleiner erster Schritt in Richtung einer minimalen Vereinfachung.
Das Scheitern von schwarz-gelb am Steuervereinfachungsgesetz wird uns Grüne natürlich nicht davon abhalten, weiter an unseren Vorschlägen für eine bessere Steuergesetzgebung zu arbeiten. Wir sollten dabei aber auf dem Teppich bleiben: Was andere in jahrelanger Regierungsverantwortung nicht schaffen, werden wir nicht in drei Tagen bewältigen können. Deswegen arbeiten wir momentan intensiv daran, unsere Konzepte für mehr Investitionen in Klimaschutz und Bildung, unsere Vorstellungen der Zukunft der Sozialen Sicherungssysteme und eine nachhaltige Steuer- und Haushaltspolitik so zusammenzubringen, dass die unterschiedlichen Belange der einzelnen Politikfelder hinreichend berücksichtigt werden. Wir planen dazu auch eine Veranstaltung Ende September, zu der wir Sie gern einladen. Genaue Infos zur Veranstaltung finden Sie demnächst unter http://www.gruene-bundestag.de -> Termine.

Auf der gleichen Internetseite finden Sie auch eine Erläuterung zu unseren steuerpolitischen Leitlinien: http://gruene-bundestag.de/cms/steuern/dok/308/308650.gruene_steuerpolitik.html

Ich hoffe, dass ich Ihre Frage damit ausführlich beantworten und Ihnen einen Einblick in unsere Ideen für ein besseres Steuersystem geben konnte.

Herzliche Grüße,

Lisa Paus

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