Frage an Lisa Paus von Horst M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Paus,
was halten Sie von Zwangsarbeit?
Unter Zwangsarbeit verstehe ich jede Arbeit, die verrichtet wird, weil man sonst Nachteile in der Familie, am eigenen Leben und der eigenen Existenz erfährt.
Artikel 12GG und auch Artikel 1GG stehen dem entgegen.
Trotzdem kann ein einfacher Mitarbeiter einer Arge Menschen bis zu 100% des sozio-kulturellen Existenzminimums kürzen.
Dabei sollte es doch Richtern vorbehalten seien, Menschen zu bestrafen.
Die Grünen und die SPD haben dies eingeführt.
Wie stehen Sie jetzt dazu?
Die Alternative zum Zwang sind Belohnungen.
Gruß aus Neukölln
Horst Murken
Sehr geehrter Herr Murken,
vielen Dank für Ihre Frage. Zwangsarbeit lehne ich natürlich ab. Sie ist auch durch internationales Recht geächtet. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) definierte 1930 in Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens über Zwangs- und Pflichtarbeit die Zwangsarbeit als unfreiwillige Arbeit oder Dienstleistung, die unter Androhung einer Strafe ausgeübt wird. Nicht dazu gehören laut Abs. 2 des Übereinkommen: Militärdienst, übliche Bürgerpflichten, Arbeit im Strafvollzug, notwendige Arbeit in Fällen höherer Gewalt und Arbeit, die dem unmittelbaren Wohl der Gemeinschaft dient. Wie genau man vor allem den letzten Punkt definieren sollte, ist nicht leicht zu beantworten. Auch wenn es für viele Betroffene einem Arbeitszwang gleichkommt, wenn ihnen die Leistungen gekürzt oder ganz gestrichen werden, besteht doch noch ein erheblicher Unterschied zu einer Arbeit, die ohne jegliche Entlohnung, ohne jegliche Beachtung der Arbeitnehmerrechte und unter Androhung von Gewalt ausgeübt werden muss.
Aber Sie haben Recht, dass es nicht angehen kann, wenn Verwaltungsmitarbeiter Leistungen nach Gutdünken kürzen. Leider ist diese Praxis sehr weit verbreitet. Allein im Jahr 2008 gab es 174.000 Klagen und Begehren um einstweiligen Rechtsschutz, ein Anstieg um 28 Prozent. Der ungebrochene Zuwachs an Verfahren und die Tatsache, dass beinahe die Hälfte der Verfahren zugunsten der Kläger entschieden werden, verdeutlichen eines: Selbst gesetzlich festgeschriebene soziale Rechte werden immer öfter im Verwaltungsverfahren missachtet. Die teilweise systematische Aushebelung von Gesetzen durch Verwaltungen führt dazu, dass Bürgerinnen und Bürger vielfach nur noch vor Gericht zu ihrem Recht zu kommen.
Dieser Zustand ist unhaltbar. Ich persönlich halte ein bedingungsloses Grundeinkommen für einen echten Ausweg aus dieser Situation, weil es die Existenzsicherung garantiert, ohne dass dafür Pflichten auferlegt oder Nachweise erbracht werden müssen. Es schafft somit Freiheit und ermöglicht Selbstentfaltung. Die Vision eines bedingungslosen Grundeinkommens wird sich so schnell wohl kaum realisieren lassen, auch wenn sie zunehmend mehr Menschen überzeugt.
Solange wir kein Grundeinkommen haben, sollten wir wenigsten die Fehler korrigieren, die im bestehenden sozialen Sicherungssystem ganz offensichtlich behebbar sind.
Die Sanktionsregeln müssen ausgesetzt werden, bis die Rechte der Arbeitsuchenden
gestärkt worden sind. Das physische Existenzminimum darf nicht angetastet werden. Wenn keine Wahl zwischen einzelnen Förderangeboten besteht, dürfen keine Sanktionen verhängt werden. Es darf keine Sanktion geben, wenn die Aufnahme einer Arbeit verweigert wird, die mit weniger als dem tariflichen, oder -wenn kein Tarif vorhanden ist- dem ortsüblichen Entgelt entlohnt wird. Der Widerspruch gegen eine Sanktion muss aufschiebende Wirkung haben und der Fall der Ombudsstelle vorgelegt werden.
Die Erbringung sozialstaatlicher Leistungen sollte so geregelt werden, dass individuelle Eigenschaften und Besonderheiten der betroffenen Menschen akzeptiert werden und ihnen ein Wunsch- und Wahlrecht zusteht. Wir sind überzeugt davon, dass mehr Mitsprache auch mehr Engagement des Einzelnen befördert. Nicht Verwaltungen sollen über die Schicksale der Menschen entscheiden, sondern die Menschen sollen gemeinsam mit der Verwaltung Chancen realisieren und in Angriff nehmen.
Wir Grüne wollen die Position der hilfebedürftigen Menschen gegenüber den Institutionen des Sozialstaats stärken. Die schematische Fallbearbeitung mittels EDV-Masken muss einem qualifizierten, individuellen und umfassenden Fallmanagement weichen, das mehr als bloße Beratung und Vermittlung ist.
Abschließend möchte ich noch folgendes sagen: Wir Grüne waren an den Reformen der Sozialsysteme beteiligt, die mit zu den aktuellen Zuständen geführt haben. Aber die treibende Kraft bei der Einführung von Zwangsmaßnahmen war die CDU, die im Bundesrat eine erheblichen Verschärfung der Hartz-Gesetze durchgedrückt hat. Wir Grüne verschließen nicht die Augen vor den Mißständen, die heute in den Sicherungssystemen bestehen. Wir haben aus den Hartz-Reformen gelernt und unsere Position neu bestimmt. Ich hoffe sehr, dass wir unsere sozialpolitischen Vorstellungen auch bald praktisch umsetzen können. Denn das, was die schwarz-gelbe Bundesregierung im Sozialbereich momentan anrichtet, ist für die Betroffenen keine Hilfe, sondern eine weitere Verschlechterung,
mit freundlichen Grüßen
Lisa Paus