Werden Sie sich für die Umsetzung der vom Bundesrat geforderten Widerspruchslösung einsetzen, damit das tägliche Sterben von Menschen auf der Warteliste für Organtransplantationen aufhört?
Seit dem Parlamentsbeschluss für die Entscheidungslösung bei der Organtransplantation vor vier Jahren hat sich für die Betroffenen - wie von allen Experten vorhergesagt - nichts verbessert. Die Intention des Gesetzes ist klar gescheitert, in den vier Jahren sind unnötigerweise über 3000 Menschen auf der Warteliste gestorben, Deutschland ist unter den großen EU-Staaten der einzige ohne Widerspruchslösung. Können Sie diesen Zustand weiter verantworten? Werden Sie sich im Gesundheitsausschuss für die Einführung der Widerspruchslösung einsetzen?
Sehr geehrter Herr N.,
herzlichen Dank für Ihre Frage.
Das Thema Organspende ist ein ethisch äußerst schwieriges und komplexes Thema. Es wirft verschiedene Gewissensfragen auf, die individuell beantwortet werden müssen. Wie bei anderen Gewissensfragen, wie etwa der Suizidassistenz, wurde im Jahr 2020 im Bundestag auch zu der Frage, wie die Organspendebereitschaft in Deutschland erhöht werden kann, ein sogenanntes Gruppenverfahren durchgeführt. Bei Gruppenanträgen haben die Abgeordneten unabhängig von ihrer Fraktionszugehörigkeit die Möglichkeit, sich fraktionsübergreifenden Gruppenanträgen anzuschließen. Ich fand und finde es richtig, dass diese sehr sensible Fragestellung in einem solchen Verfahren diskutiert und entschieden wurde.
Neben der Steigerung der Spender*innenzahlen war und ist es aus meiner Sicht sehr wichtig, sicherzustellen, dass in Deutschland niemandem nach dem Tod Organe entnommen werden, wenn dies nicht dem Willen der Person entspricht.
Die Abgeordneten der letzten Legislaturperiode haben sich mit den 2020 vorliegenden Anträgen intensiv befasst und der Deutsche Bundestag hat schließlich mehrheitlich einen Antrag verabschiedet, der als so genannte „erweiterte Zustimmungslösung“ bezeichnet wurde. Dieser sieht u.a. die Einführung eines zentralen Organspenderegisters vor sowie die regelhafte Aufforderung an alle Bundesbürger*innen im Rahmen der Beantragung von Ausweisdokumenten, in einem solchen Register und/oder über den Organspendeausweis ihren Willen zu dokumentieren.
Die Umsetzung dieses Antrages hat sich leider stark verzögert, was an zwei Faktoren liegt: Das zentrale Organspenderegister wurde erst im April dieses Jahres eingeführt und wird erst jetzt nach und nach allen Menschen zugänglich gemacht, damit sie ihren Willen dort dokumentieren können. Zudem verweigern die Bundesländer bislang die Umsetzung der regelhaften Aufforderung im Rahmen der Beantragung von Ausweispapieren mit dem Argument, die Personalressourcen dafür seien nicht vorhanden. Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass mich diese beiden Punkte sehr ärgern. Der Antrag wurde 2020 auch vom Bundesrat angenommen. Damit wurde er von den Ländern akzeptiert und diese sind zur Umsetzung verpflichtet. Wir Grüne setzen uns auf Bundesebene dafür ein, dass die Länder ihrer Aufgabe nachkommen. Und auch dafür, dass jetzt mit der Einführung des langersehnten Organspenderegisters die Umsetzung noch einmal Fahrt aufnimmt.
Vor diesem Hintergrund ist es meines Erachtens nicht zutreffend, zum jetzigen Zeitpunkt zu sagen, dass die Bemühungen zur Erhöhung der Zahlen von Organspenden, die der Antrag 2020 formuliert hat, gescheitert seien. Denn die Umsetzung des Beschlusses läuft im Prinzip gerade erst an und ich bin guter Hoffnung, dass künftig tatsächlich noch mehr Menschen ihren Willen klar dokumentieren und dann auch mehr Organe nach Todesfällen als Spenderorgane in Deutschland zur Verfügung stehen werden.
Ich fände es nicht richtig, die Abstimmung von 2020 im Bundestag in jeder neuen Legislaturperiode genau so zu wiederholen. Denn es mangelt ja nicht an gesetzlichen Regelungen. Wir haben in dieser Legislaturperiode mit den ethisch schwierigen Fragestellungen zum Thema Impfpflicht und Sterbehilfe bereits zwei solcher Gruppen-Abstimmungsverfahren gehabt, die jedes Mal langen Vorlauf und viele Abstimmungs- und Informationsrunden der entsprechenden Gruppen mit sich bringen, da anderenfalls bei unzureichend ausgearbeiteten Gesetzentwürfen erfahrungsgemäß gar kein Entwurf im Plenum eine Mehrheit erhält.
Zudem würde eine erneute Abstimmung über genau denselben Sachverhalt aus meiner Sicht suggerieren, dass die Abgeordneten der vergangenen Legislaturperiode eine „falsche“ Entscheidung getroffen und sich nicht intensiv mit dem Für und Wider auseinandergesetzt hätten. Dies ist definitiv nicht zutreffend. Ich bin davon überzeugt, dass jede und jeder Abgeordnete ihr Mandat nach bestem Wissen und Gewissen zum Wohle der Menschen in unserem Land ausüben und gerade bei ethisch schwierigen Gewissensentscheidungen sehr genau abwägen.
Mit freundlichem Gruß,
Linda Heitmann, MdB