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Linda Heitmann
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Max W. •

ME/CFS off-Label-Medikamentenliste - Wieso wurde entschieden, ME/CFS-Betroffene derart auszugrenzen?

Sehr geehrte Frau Heitmann,

ich schreibe Ihnen heute bezüglich des Themas Myalgische Enzephalomyelitis (ME/CFS). Wie Sie sicher wissen, handelt es sich dabei nicht nur um eine schwere Krankheit, sondern mit 17 bis 24 Millionen Betroffenen plus einer hohen Dunkelziffer um eine Katastrophe internationalen Ausmaßes.

Durch die Hilfe der ME/CFS-Erkrankten und deren langjährigen Erfahrungen konnte vor kurzem eine off-Label-Medikamentenliste für ME/CFS und Long-Covid-Erkrankte erstellt und angekündigt werden. Diese Medikamente werden die Erkrankten zwar nicht heilen, können, sollten aber helfen, die Symptome zu lindern, um die Zeit bis zur Entwicklung eines kurativen Medikaments zu überbrücken.

Nun wurde aber angekündigt, dass sämtliche off-Label-Medikamente nur für ME/CFS-Erkrankte zugänglich sein werden, wenn sie exklusiv und nachweislich ME/CFS als Folge einer COVID-Infektion erhalten haben.

Wieso wurde entschieden, ME/CFS-Betroffene mit anderen Auslösern derart auszugrenzen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr W.,

vielen Dank für Ihre Anfrage. 

Wie Sie sicher mitverfolgt haben, wurde im Herbst 2023 durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) der Runde Tisch für Long COVID und ME/CFS eingerichtet, um sich speziell damit auseinanderzusetzen, wie die Situation für jene Menschen konkret verbessert werden kann, die in Folge einer Covid-19-Pandemie an postviralen Erkrankungen leiden.  In regelmäßigen Treffen diskutieren dort seitdem Vertreter*innen aus der Wissenschaft, Betroffenenorganisationen, Ärzt*innenschaft, den Krankenkassen sowie aus der Politik intensiv die eng zusammenhängenden Themen Long-COVID, Post-COVID, Post-Vac-Syndrom sowie ME/CFS als eine der postviralen Erkrankungen in Folge einer Covid-19-Infektion. Sie loten konkret Handlungsmöglichkeiten aus, um die Versorgung zu verbessern.  So ist auch die von Ihnen angesprochene Liste von Arzneimitteln ein konkretes Ergebnis dieses Runden Tisches, da das BMG das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte damit beauftragt hat, eine Liste von Arzneimitteln zu erarbeiten, die im Off-Label-Use verordnet werden können. 

Diese Liste diente auch als Empfehlung für den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), der Ausnahmen definieren kann, bei denen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für Medikamente im Off-Label-Use übernehmen. Die Entscheidung, diese Liste auf Patient*innen mit ME/CFS bedingt durch Long-COVID zu beschränken, wurde im BMG und im BfArM getroffen. Ich kann Ihren Unmut über diese Beschränkung nachvollziehen. Wir befinden uns dahingehend mit dem BMG in engem Austausch. Allerdings sind generell die Richtlinien zur Zulassung von Medikamenten, auch für den Off-Label-Use, recht eng. Dies hat den Grund, dass langfristige Schädigungen auf jeden Fall vermieden werden sollen.

Mir ist als Politikerin wichtig, dass stets gut geprüft und abgewogen wird, welche Nebenwirkungen und Folgeschäden Medikamente für welche Patient*innengruppen haben können. Dass dies für Erkrankte ernüchternd ist, die oft sehnsüchtig auf die schnelle Zulassung bestimmter Medikamente warten, die erfolgversprechend scheinen, ist mir bewusst. 

Gerade in dem von Ihnen angesprochenen Fall des Off-Label-Uses der Medikamente, die jetzt für ME/CFS-Erkrankte speziell nach einer Covid-19-Infektion zur Verfügung stehen, mache ich mich dafür stark, dass hier vordringlich auch geprüft wird, ob und dass diese auch für jene ME/CFS-Erkrankten zur Verfügung stehen könnte, deren Erkrankung durch andere virale Krankheiten ausgelöst wurden.

Nicht zuletzt durch zahlreiche Schreiben von Bürger*innen wie Ihnen, aber auch durch unseren kontinuierlichen Austausch mit Betroffenenorganisationen wissen wir um die großen Einschnitte im Leben sowie die schwierige Lage, in der Betroffene und ihre Angehörigen durch ihre Einschränkungen im Alltag und zum Teil den dauerhaften Pflegebedarf sind.

Für uns als grüne Bundestagsfraktion ist es daher ein wichtiges Anliegen, die Versorgung von ME/CFS-Erkrankten sowie Betroffenen von allen Symptomatiken, die sich unter anderem durch Long-COVID, Post-COVID und Post-Vac-Syndrom einstellen, zu verbessern und die Forschung sowie die Therapieentwicklung zu postviralen Krankheitsbildern insgesamt zu fördern.

Mit grüner Regierungsbeteiligung haben wir in dieser Legislatur die mangelhafte Versorgungs- und Forschungslage auf die politische Agenda gesetzt. Nicht zuletzt haben ME/CFS und Long-COVID als zwei Krankheitsbilder erstmals auch explizit Eingang in unseren Koalitionsvertrag gefunden. Als Ampel-Koalition haben wir seit Beginn der Legislatur eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Forschung und Versorgung gezielt zu verbessern.

Während für 2022 und 2023 Haushaltsmittel in Höhe von 22,5 Millionen Euro bereitgestellt und bewirtschaftet wurden, konnten wir trotz angespannter Haushaltslage in den letzten Haushaltsverhandlungen weitere über 200 Millionen für Forschungsförderung zum Krankheitsbild selbst sowie zu Medikamenten und Therapien für die nächsten Jahre veranschlagen. So können nicht nur neue Forschungsvorhaben finanziert werden, sondern auch die Finanzierung von bereits laufenden Forschungsprojekten ist gesichert, darunter die Projekte im Rahmen der der Nationalen Klinischen Studiengruppe (NKSG) wie z.B. die klinische Studie an der Charité Berlin, in der die Wirksamkeit von vier Gruppen von bereits bekannten Medikamenten für die Behandlung von Patient*innen mit Long-COVID und ME/CFS erforscht wird.

Weiterhin ist es für uns Grüne ein ganz zentrales Anliegen, gemeinsam mit den Ampel-Partner*innen die Versorgungssituation durch Spezialambulanzen zu verbessern. Zu diesem Zweck haben wir im Rahmen des Krankenhausentlastungsgesetzes vom 20. Dezember 2022 den Gemeinsame Bundesausschuss beauftragt, bis Ende 2023 eine Richtlinie für die interdisziplinäre und standardisierte Diagnostik von Long-COVID und Krankheitsbildern mit starken Erschöpfungs-Zuständen wie etwa ME/CFS zu erarbeiten. Gleichzeitig wird dadurch festgelegt, wie den Versicherten ein zeitnaher Zugang zu einem multimodalen Therapieangebot gesichert werden muss. Die Richtlinie ist in der finalen Abstimmung und wird voraussichtlich in Kürze veröffentlicht.

Zudem wurde eine Telefonhotline für Betroffene eingerichtet, um den Betroffenen einen ersten Anlaufpunkt zu geben und sie über bereits bestehende Versorgungsangebote adäquat zu informieren und zu beraten. Eine erste Anlaufstelle stellt auch die eingerichtete Webseite (https://www.bmg-longcovid.de/service) des BMG dar, die aktuelle Informationen zu Long-COVID und Post-COVID, aber auch ME/CFS, bündelt und neben einer Liste an aktuellen Beratungs- und Unterstützungsangeboten auch mehrsprachige Informationen sowie telefonische Beratung für Erkrankte und Ärzt*innen anbietet.

In diesem Sinne bin ich zuversichtlich, dass sich die Versorgungssituation sowohl von ME/CFS-Erkrankten als auch von Long-Covid- und Post-Covid-Betroffenen verbessern wird, sobald die bereits verabschiedeten Maßnahmen Früchte getragen haben. 

Mit freundlichen Grüßen

Linda Heitmann, MdB

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