Frage an Leo Dautzenberg von Daniel K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Dautzenberg,
Sie haben dem EU-Reformvertrag zugestimmt. Ich hätte dazu folgende Fragen:
a) Haben Sie den EU-Grundlagenvertrag jemals gelesen? Ich frage, weil ich es als praktisch unmöglich betrachte einen Vertrag, der aus 300 Verweisen (die sich auf 3000 Regelungen in verschiedenen anderen Verträgen beziehen) besteht, zu lesen.
Was übrigens auch der Meinung von Jens-Peter Bonde entspricht.
b) Wissen Sie, wenigstens in Teilen, was im Reformvertrag festgelegt wird? Besonders interessieren würde mich ihre Einschätzung zur möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe.
Ich bin mir darüber bewusst das Frau Merkel dies energisch verneint. Jeder der selbst etwas nachforscht muss allerdings feststellen, dass Frau Merkel hier lügt. Und dabei handelt es sich nicht (nur) um eine "fixe Idee" meinerseits, denn der Professor Karl Albrecht Schachtschneider, der sich hervorragend mit dem Vertrag auskennt, vertritt diese Meinung.
c) Was sagen Sie zu der Tatsache, dass der EU-Vertrag über dem Grundgesetz steht?
d) Was halten die von der Möglichkeit die " KONVENTION ZUM SCHUTZE DER MENSCHENRECHTE UND GRUNDFREIHEITEN IN DER FASSUNG" kündigen zu können? (siehe Artikel 58)
Sehr geehrter Herr Kempkens,
vielen Dank für Ihre Fragen zum EU-Reformvertrag, die ich gerne beantworte.
a) Die Entstehung des EU-Reformvertrags habe ich intensiv verfolgt und mich mit den wichtigen Änderungen des Primärrechts der Europäischen Union vertraut gemacht. Als Mitglied des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags habe ich mich in meiner parlamentarischen Arbeit insbesondere mit den finanzpolitischen Aspekten des Vertrags beschäftigt.
b) Auch in meiner Partei und Fraktion hat der EU-Reformvertrag zu einer ausführlichen Debatte geführt. Darüber hinaus habe ich mich in den letzten Wochen noch einmal intensiv mit dem Vertrag auseinandergesetzt, weil mich viele Anfragen von Bürgern erreicht haben, die mir Ihre Bedenken gegenüber dem Vertragswerk mitgeteilt haben. Die entscheidenden Neuerungen gegenüber dem Nizza-Vertrag sind mir bekannt.
Die von Ihnen angesprochene Wiedereinführung der Todesstrafe halte ich in der Tat für eine „fixe Idee“. In allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist die Todesstrafe abgeschafft. In keinem Staat wäre der EU-Reformvertrag ratifiziert worden, wenn damit die Wiedereinführung der Todesstrafe verbunden wäre.
Zwar gibt es in den Texten der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK) des Europarates eine Passage, die die Todesstrafe erwähnt. Die EMRK ist im Jahr 1950 abgeschlossen worden, d.h. nicht lange nach dem Ende des 2. Weltkrieges. Vor diesem historischen Hintergrund sind die Formulierungen im Protokoll Nr. 6 zur Konvention zu verstehen, die tatsächlich missverständlich sein können, aber nur, wenn man gerade diesen historischen Hintergrund ausblendet und die Regelungen als vermeintliche Regelung pro Todesstrafe instrumentalisieren möchte. In der Charta der Grundrechte der EU, die durch den EU-Reformvertrag Rechtsverbindlichkeit erlangt, ist in Art. 2 das "Recht auf Leben" verankert, wonach gem. Art. 2 Abs. 2 "Niemand zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden darf". Dies ist eine klare und eindeutige Aussage gegen die Todesstrafe. In Deutschland ist nach Art. 102 GG die Todesstrafe ohnehin abgeschafft und die Ratifikation des Vertrags von Lissabon ändert hieran nichts. Das BVerfG hat u. a. in seiner Maastricht- Entscheidung geurteilt, dass das Europarecht die Grundwerte unserer Verfassung nicht brechen kann und dass das BVerfG die Rechtssprechungshoheit über diesen Schutz behält. Die Abschaffung der Todesstrafe gehört selbstverständlich dazu.
c) Es ist richtig, dass Europarecht über nationalem Recht steht und dass mit dem EU-Reformvertrag Zuständigkeiten auf die EU übertragen werden. Allerdings gilt nach wie vor der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung. D. h., die EU ist nur in den Bereichen zuständig, die ihr übertragen wurden. Wie bereits erwähnt hat das BVerfG außerdem klargestellt, dass die Grundwerte unserer Verfassung durch die EU-Verträge nicht gebrochen werden können.
d) Sowohl bei den EU-Verträgen als auch bei der EMRK handelt es sich um völkerrechtliche Verträge zwischen den jeweiligen Mitgliedstaaten. Sie können im Einklang mit dem Völkerrecht gekündigt werden. Dabei handelt es sich um einen der Souveränität der Staaten entsprechenden Grundsatz des Völkerrechts, den ich für richtig halte.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Leo Dautzenberg