Frage an Laurenz Meyer von Daniel R. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Meyer,
wie stehen Sie zur Sozialversicherungs-Abgabenpflicht auf das selbstverdiente Existenzminimum?
Glauben Sie, dass es verfassungsgemäß ist, dass einige hunderttausend Familien in Deutschland durch die Sozialversicherungsabgaben unter die Hartz-IV-Schwelle gedrückt werden?
(Falls Sie dies für verfassungsgemäß einschätzen, halten Sie diese Systematik für politisch und ökonomisch haltbar?)
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Röttger, uwp
Sehr geehrter Herr Röttger,
vielen Dank für Ihre Email, mit der Sie sich über abgeordnetenwatch an mich wenden.
Der Begriff Existenzminimum beschreibt die finanziellen Mittel, die ein Mensch benötigt, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. So haben die staatlichen Fürsorgesysteme die Sicherstellung des Existenzminimums zu gewährleisten. Das heißt, der Staat stockt das (verfügbare) Einkommen (=Nettoeinkommen) auf, welches ein Hilfebedürftiger zur Sicherung des Lebensunterhalts insgesamt benötigt.
Beispiel:
Übt eine erwerbsfähige Person einen sogenannten Midi-Job aus und verdient beispielsweise in einer Teilzeitbeschäftigung 500 Euro (brutto) so erhält sie trotz geringerer Sozialversicherungsbeiträge nur einen Nettolohn von 445,87 Euro. Bei der Frage, ob der Lebensunterhalt dieser Person gesichert ist (Miete: 400 Euro, maßgebliche Regelleistung: 351 Euro), würde dieses Nettoeinkommen dem pauschaliert zu berechnenden Bedarf (Existenzminimum: 751 Euro) gegenübergestellt. Die Person wäre hilfebedürftig, weil das Nettoeinkommen nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts ausreicht. Der Staat hat daher nach geltendem Recht zumindest das um die gesetzlichen Abzüge verminderte (Netto-)Einkommen bis zum zu gewährenden Existenzminimum aufzustocken (Arbeitslosengeld II).
Insofern: Ja, es gibt Fälle, in denen Erwerbstätige hilfebedürftig sind und Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen haben. Diese Personen sind hilfebedürftig und haben einen ergänzenden Anspruch auf staatliche Fürsorgeleistungen (Arbeitslosengeld II). Werden diese Personen nur wegen ihrer Sozialversicherungsbeiträge hilfebedürftig, so können sie einen Zuschuss zu den ungedeckten Beiträgen zur angemessenen Krankenversicherung (§ 26 SGB II) erhalten. In beiden Fällen ist damit das Existenzminimum gesichert, obwohl diese Personen Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen haben.
Eine "Anpassung" an die Regelleistung (SGB II) oder den Regelsatz (SGB XII) ist im Recht der Sozialversicherung nicht vorgesehen, weil die Voraussetzungen, die die Sozialversicherungspflicht auslösen, nichts mit dem Regelsatz zu tun haben.
Ein verfassungsrechtliches Problem entsteht nicht, da der Staat gerade für die angeblich "100.000 Familien in Deutschland, die durch Sozialversicherungsabgaben unter die Hartz IV-Schwelle gedrückt" werden, einen Anspruch entweder auf Arbeitslosengeld II oder den Zuschuss zu den Beiträgen zur Sozialversicherung bereithält, das Existenzminimum mithin auch in diesen Fällen sichert.
Mit freundlichen Grüßen