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Lars Klingbeil
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Frage von Reiner D. •

Frage an Lars Klingbeil von Reiner D. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Klingbeil,

wie Sie wahrscheinlich auch aus den Medien erfahren haben, sollen die Verantwortlichen von Netzpolitik.org angeklagt werden. Angeblich geht es um Geheimnisverrat über den BfV, der folgendes vorhat(aus:NP.org):

Um große Datenmengen automatisiert aufbereiten und systematisch analysieren zu können, soll in Kooperation mit externen Stellen aus Forschung und Entwicklung ein System zur Gewinnung, Verarbeitung und Auswertung von großen Datenmengen aus dem Internet entwickelt werden. Damit soll das BfV in die Lage versetzt werden, Massendaten unter den Voraussetzungen der Verschlusssachenanweisung (VSA) auszuwerten und relevante Informationen zu verknüpfen. Damit wird das Ziel verfolgt, bislang unbekannte und nicht offen erkennbare Zusammenhänge zwischen einschlägigen Personen und Gruppierungen im Internet festzustellen. […]

Welchen Standpunkt haben Sie zu dieser Ungeheuerlichkeit?

Mit freundlichem Gruß

Dittmar

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Dittmar,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

Gestatten Sie mir zunächst festzustellen, dass ich das vom Generalbundesanwalt aufgrund einer Anzeige des Verfassungsschutzpräsidenten eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen Journalisten wegen Landesverrat für unvertretbar halte. Hierzu habe ich mich bereits kurz nach Bekanntwerden der Ermittlungen öffentlich geäußert:

http://www.noz.de/deutschland-welt/gut-zu-wissen/artikel/601516/ermittlungen-gegen-netzpolitik-org-sollen-vorerst-ruhen
https://www.tagesschau.de/inland/maassen-113.html

Heute gab der Generalbundesanwalt selbst bekannt, er gehe nicht davon aus, dass es sich bei den von netzpolitik.org veröffentlichten Inhalten um ein Staatsgeheimnis im Sinne von § 93 StGB handelt. Insofern begrüße ich es, dass die Ermittlungen gegen die beiden Journalisten heute eingestellt wurden. Auch die Entscheidung von Justizminister Maas, Generalbundesanwalt Range zu entlassen, finde ich absolut richtig. Der Vorwurf, dies sei ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz, ist überzogen und verfehlt. Der Justizminister hat vielmehr die verfassungsrechtlich garantierte Pressefreiheit geschützt.

Geprüft werden muss aber, ob die tradierten Vorschriften zum Landesverrat und zum Schutz von Staatsgeheimnissen die Pressefreiheit in ausreichendem Maße berücksichtigen. Aus meiner Sicht müsste der Straftatbestand des Landesverrates zumindest um eine Schutz-klausel für Journalisten erweitert werden, um sicherzustellen, dass der für eine Demokratie unverzichtbare kritische Journalismus nicht unter dem Vorwand des Landesverrates eingeschränkt werden kann.

Was den Inhalt der von netzpolitik.org veröffentlichten Dokumente anbelangt, auf die Sie mit Ihrer Frage abzielen, so legt der Wortlaut in der Tat eine sehr weitgehende Netzüberwachung nahe. Für eine solche anlasslose strategische Netzüberwachung gäbe es jedoch im Bundesverfassungsschutzgesetz keine Rechtsgrundlage. Eine solche anlasslose und flächendeckende Netzüberwachung durch den Verfassungsschutz wäre zudem mit deutschen und europäischen Grundrechten unvereinbar.

In der Fragestunde vom 5. März 2015 hat die Bundesregierung auf eine diesbezügliche Frage wie folgt geantwortet: Ziel der Einrichtung der Referatsgruppe „Erweiterte Fachunterstützung Internet“ (EFI) sei es, die bereits vorhandenen Daten besser auszuwerten. Dabei handele es sich um Daten, die das Bundesamt für Verfassungsschutz gemäß seinen Befugnissen nach dem G 10-Gesetz bereits erhoben hat. Die Datenerhebungsgrundlage selbst werde dadurch nicht ausgeweitet.“

Das bedeutet, dass es sich gerade nicht um eine anlasslose und flächendeckende Inhalte-überwachung handelt, sondern um Daten aus rechtmäßigen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, ausschließlich bezogen auf Einzelpersonen und aufgrund einer rechtlichen Anordnung. Zwingende Voraussetzung für derartige Überwachungsmaßnahmen ist die Prüfung und Zustimmung durch die G-10-Kommission als unabhängigem parlamentarischen Kontrollorgan. Die genannte Referatsgruppe „Erweiterte Fachunterstützung Internet“ befindet sich nach Auskunft der Bundesregierung im Aufbau.

Hinzuzufügen ist, dass es dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht verwehrt ist, offene Quellen wie (z.B. extremistische) Webseiten oder öffentliche Beiträge in sozialen Netzwerken zu analysieren. Hierfür bedarf es keiner Genehmigung durch die G-10-Kommission, da solche Inhalte nicht dem Fernmeldegeheimnis unterliegen.

Die SPD wird in den entsprechenden parlamentarischen Kontrollgremien auf weitergehende Informationen zur genauen Aufgabenstellung und Tätigkeit dieser neuen Referatsgruppe hinwirken. Dort wird auch darüber zu diskutieren sein, ob und welcher neuen Telekommunikationsüberwachungsinstrumente es bedarf und wie diese aus verfassungsrechtlicher Sicht einzuschätzen sind. Denn auch hier gilt, dass nicht alles, was technisch machbar ist, auch tatsächlich umgesetzt werden muss oder darf. Geprüft werden muss auch, ob und inwieweit weitreichende nachträgliche Auswertungen im Einzelfall überwachter Telekommunikation durch die vorherigen Genehmigungen der G10-Kommission gedeckt sind.

Es ist gut, dass es nach den Veröffentlichungen aus den Snowden-Dokumenten über das Ausspähen durch ausländische Nachrichtendienste und nach den Veröffentlichungen bei netzpolitkik.org oder auch wikileaks.org eine breite gesellschaftliche Debatte über die Möglichkeiten und Grenzen von Nachrichtendiensten und insbesondere auch zu deren internationaler Kooperation gibt. Deswegen hat die SPD – übrigens als einzige Partei – einen konkreten Vorschlag erarbeitet, wie die Arbeit unseres Auslandsgeheimdienstes rechtsstaatlich neu organisiert und kontrolliert werden muss. Weitere Informationen dazu finden Sie hier:
http://www.spdfraktion.de/themen/bnd-aus-rechtlicher-grauzone-herausholen

Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Informationen weiterhelfen konnte.
Bitte wenden Sie sich bei weiteren Fragen gerne wieder an mich.

Mit freundlichen Grüßen
Lars Klingbeil

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