Lars Büsing
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Frage von Regina S. •

Frage an Lars Büsing von Regina S. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Büsing.

Letztes Jahr hat die Bundesregiereung mit dem §1631d BGB beschlossen, das Jungen beschnitten werden dürfen. Dieses Jahr hat die Regierung beschlossen das vergleichbare Beschneidungen an Mädchen, zurecht, verboten sind. Die Betäubung im Säuglingsalter ist nicht gegeben. Werden Sie sich dafür einsetzen, das das Gesetzt zur Beschneidung von Jungen wieder gekippt wird?

Mit freundlichen Grüßen

R.Schiebel

Antwort von
PIRATEN

Guten Tag Frau Schiebel,

vielen Dank für ihre Anfrage. Bitte entschuldigen Sie die verzögerte Beantwortung. Das Thema "Beschneidung" ist ein sehr delikates, so dass ich mir hier die Zeit für eine ausführliche und persönliche Antwort nehmen möchte. Es geht im Folgenden ausschließlich um die Beschneidung bei Jungen; dass die Beschneidung von Mädchen weiterhin unter Strafe zu stellen ist, steht außer Frage.

Die Diskussion über die Beschneidung wurde im letzten Jahr auch innerhalb der Piratenpartei auf allen Ebenen - auch bei uns im Kreisverband - geführt, und war dabei durchaus sehr kontrovers. Für eine Entscheidung muss u.a. zwischen dem Recht der Eltern auf freie Religionsausübung und dem der Kinder auf körperliche Unversehrtheit abgewogen werden. Die Landesverbände Bayern und Hessen haben sich inzwischen, in unterschiedlicher Schärfe, gegen die vom Bundestag beschlossene Sonderregelung positioniert und stufen das Recht auf körperliche Unversehrtheit höher ein.

Zu Beginn der letztjährigen Diskussion, nach dem Kölner Urteil, war ich selbst hin- und hergerissen. Rein gefühlsmäßig war ich zwar damals bereits ein Gegner der Beschneidung - allerdings standen dem gegenüber verschiedene Tatsachen: Z.B. dass die Beschneidung nicht nur fester Bestandteil verschiedener religiöser Gemeinschaften ist, sondern auch in säkulären Gesellschaften wie den USA traditionell sehr weit verbreitet. Und dass trotz dieses jährlich millionenfach praktizierten Rituals eventuelle negative Folgen für die Betroffenen kaum ein Echo in der Öffentlichkeit finden - "wären die Folgen wirklich so gravierend, müsste man davon doch gehört haben, oder nicht?".

Da ein Verbot der Beschneidung von Jungen von vielen Eltern - zurecht - als eine schwerwiegende Einschränkung ihrer Religionsfreiheit empfunden werden würde, und gerade im Hinblick auf die deutsche und jüdische Geschichte neue Gräben aufreissen würde, kam ich in der Abwägung zu dem Schluss, dass es angebracht sei, die religiöse Beschneidung von Jungen unter bestimmten Bedingungen (wie z.B. der professionellen Durchführung durch einen ausgebildeten Arzt) zu akzeptieren und ihr einen legalen Status einzuräumen.

Inzwischen sehe ich dies etwas anders.

Die Beschneidung ist letztendlich als Körperverletzung zu verstehen, und auch nicht durch eine religiöse Tradition zu rechtfertigen. Die Folgen einer Beschneidung sind vielfältig, nicht selten schwer, und lebenslang. Der deutsche Staat sollte eine solche Praxis nicht durch eine spezielle Gesetzgebung, die zudem den Gleichheitsgrundsatz zwischen Jungen und Mädchen in Frage stellt, sanktionieren . Als Rechtsstaat sollte er klar und deutlich seine Ablehnung der Beschneidung bei nicht entscheidungsfähigen Kindern in jeder Form formulieren.

Diese Ablehnung in Form eines Verbotes ist jedoch in der Praxis nicht durchsetzbar. Eltern, die die Beschneidung wünschen, würden diese im Zweifelsfall im Ausland durchführen lassen, oder "im Hinterzimmer" ohne eine hinreichend qualifizierte medizinische Betreuung. Die Durchsetzung eines Verbotes wäre zum jetzigen Zeitpunkt weder für das gesellschaftliche Zusammenleben noch für die Betroffenen von Vorteil.

Um diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu überbrücken, ist es meiner Meinung nach sinnvoll, sich an eine andere, vor einigen Jahren geführte Diskussion zu erinnern: Der Diskussion um die Abtreibung und den Paragraphen 218. Auch in dieser Diskussion musste zwischen zwei essentiellen Grundrechten abgewogen werden: Dem Recht auf Leben des ungeborenen Kindes, und dem Recht der Frau auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Auch hier gab es eine gesellschaftliche Realität, die den Ansprüchen des Rechts nicht genügte. Und auch hier gab es tiefe Gräben zwischen den unterschiedlichen Positionen, die lange Zeit als unüberbrückbar galten. Am Ende der lange und auf breiter Ebene geführten Diskussion stand mit dem Paragraphen 218a schließlich eine Lösung, die zwar nicht perfekt ist, jedoch immerhin Rechtssicherheit geschaffen hat und sich an den gesellschaftlichen Realitäten orientiert, während sie die grundsätzliche Ablehnung der Abtreibung nicht in Frage stellt.

Der inzwischen verabschiedete Gesetzentwurf zur Legalisierung der Beschneidung von Jungen wurde vom Bundestag innerhalb kürzester Zeit beschlossen. Zwar gab es eine auch in der Öffentlichkeit geführte Diskussion, der jedoch angesichts der Schwere der Entscheidung wesentlich mehr Zeit hätte eingeräumt werden sollen. Statt am Ende der Debatte eine Entscheidung herbeizuführem, bleibt der Eindruck bestehen, dass mit der Entscheidung das Ende der Debatte herbeigeführt werden sollte (was offenkundig auch gelungen ist).

Ich halte die jetzige Regelung für nicht tragbar, u.a. da sie geschlechterspezifisch ist und die Durchführung der Beschneidung nur sehr vage regelt. Soweit es mir möglich ist, werde ich mich für die Abschaffung der bestehenden Gesetzgebung (BGB §1631d) und für eine Regelung einsetzen, die klar und deutlich die Unvereinbarkeit der Beschneidung mit den Grundrechten formuliert, aber dennoch - zumindest für eine Übergangszeit - Wege eröffnet, wie Eltern, die eine Beschneidung ihres Sohnes (trotz vorheriger Beratung über Folgen und Alternativen) unbedingt wünschen, diese unter optimaler medizinischer Betreuung straffrei durchführen lassen können.

Ziel dieser Regelung muss es sein, die Beschneidung bei Jungen so weit wie möglich zu verhindern und über kurz oder lang darauf hinzuwirken, dass dieser Brauch - ob religiös oder säkulär begründet - nicht mehr fortgeführt wird. Erst wenn die Verbreitung der Beschneidung bei Jungen soweit zurückgegangen ist, dass eine Durchsetzung des Verbotes nicht mehr als Angriff auf die jeweilige Religionsgemeinschaft zu werten ist, sollte man ein Abrücken von der Straffreiheit in Betracht ziehen.

Die Ausarbeitung der Regelung muss zudem unter Einbeziehung insbesondere der betroffenen Religiönsgemeinschaften und in einem Klima gegenseitigen Respekts geschehen.

Zum Abschluss möchte ich Sie auf einen Artikel hinweisen, der nicht wenig dazu beigetragen hat, dass ich meine anfängliche Meinung geändert habe: http://mogis-und-freunde.de/blog/der-zweck-heilige-die-mittel/

Mit freundlichen Grüßen,
Lars Büsing