Frage an Krista Sager von Jan G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Sager,
ich habe festgestellt, daß Sie im Bundestag dem
Zustimmungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland zum Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007 zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, welches der Deutsche Bundestag am 24. April 2008 verabschiedet hat, zugestimmt haben.
Daraus ergeben sich für mich eine Reihe von Fragen, von denen ich eine Entscheidung über mein Wahlverhalten zur nächsten Bundestagswahl maßgeblich abhängig machen werde.
Nach Auffassung von Professor Dr. iur. Karl Albrecht Schachtschneider verstoßen diese Beschlüsse gegen das Grundgesetz, insbesondere gegen Art. 20 Abs. 1 und 2 GG,
gegen Art. 2 Abs. 1 GG und gegen Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG in Verbindung
mit Art. 79 Abs. 3 GG, sowie gegen Art. 23 Abs. 1 GG.
1. Wie stehen SIe dazu, daß der Vertrag von Lissabon die existentielle Staatlichkeit Deutschlands wesentlich einschränkt und dafür die existentielle Staatlichkeit der Europäischen Union in einem solchen Maße weiterentwickelt, daß die Union zu einem (echten) Bundesstaat wird, der freilich der demokratischen Legitimation entbehrt, weil er nicht durch ein europäisches Volk, eine Unionsbürgerschaft, legitimiert ist ?
2. Wie stehen Sie dazu, daß für eine solche Integration Deutschlands die nötige Grundlage nur ein Verfassungsgesetz geben könnte, das das Deutsche Volk sich nach Maßgabe des Art. 146 GG durch Volksabstimmung geben müßte, um seine existentielle Staatlichkeit weitgehend zu beenden oder einzuschränken, damit eine existentielle Staatlichkeit der Union, ein Europäischer Bundesstaat, geschaffen werden kann ?
3. Werden Sie als Bundestagsabgeordnete sich für Volksabstimmungen in Bezug auf EU-Verfassung und andere wichtige Entscheidungen in der Zukunft einsetzen ?
MfG Jan Grünwoldt
Sehr geehrter Herr Grünwoldt,
ich habe gerade auch deshalb für den Lissabon-Vertrag votiert, weil er die demokratische Verfasstheit der Europäischen Union stärkt. Gestartet als Vertragswerk zwischen Staaten hat die Europäische Union inzwischen eine Intensität und Komplexität erreicht, dass es einer Vereinfachung und Demokratisierung ihrer Strukturen bedarf. Genau aus diesem Grund wurde zwischen 2002 und 2002 der Konvent einberufen und eine europäische Verfassung vorgeschlagen. Der Lissabon-Vertrag wertet das Europäische Parlament gegenüber dem Ministerrat auf, führt mit der EU-Bürgerinitiative erstmals ein direktdemokratisches Element in die EU ein, stärkt die nationalen Parlamente im Gesetzgebungsverfahren und räumt diesen ein Klagerecht beim EuGH bei Verstößen gegen das Subsidaritätsprinzip ein. Für den Fall einer Veränderung des Verfassungsvertrags wird ein ordentliches Verfahren mit einem Konvent festgeschrieben. Auch wenn ich mir insbesondere eine weitere Stärkung des Europäischen Parlaments gewünscht hätte, unterstütze ich diese Änderungen gegenüber dem Status quo als demokratischen Fortschritt.
Seit Beginn der Verfassungsdiskussion haben wir Grünen uns dafür eingesetzt, dass der EU-Verfassungsvertrag auch in einem europaweiten Referendum angenommen wird. Ein europaweites Referendum hätte die demokratische Legitimation gestärkt. Leider konnten weder im Konvent noch in der Regierungskonferenz die notwendigen Mehrheiten für diesen Vorschlag erreicht werden.
Nationale Referenden über eine europäische Sache sind nur der zweitbeste Weg. Zu oft haben die bisherigen Referenden gezeigt, dass auch innenpolitische Motive für das Abstimmungsverhalten entscheidend waren. Wir wollten diesen Weg dennoch eröffnen und haben mit der SPD einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der die generelle Einführung von mehr direkter Demokratie durch Volksentscheide auf Bundesebene ins Grundgesetz ermöglichen sollte. Es gelang uns aber nicht, die CDU davon zu überzeugen und somit auch die notwendige 2/3-Mehrheit zur Änderung des Grundgesetzes zu erreichen. Sie können aber sicher sein, dass ich mich weiterhin für die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene durch eine Grundgesetzänderung einsetzen werde.
Die Rechtsauffassung von Karl-August Schachtschneider wird gegenwärtig vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Herr Schachtschneider ist der Verfahrensbevollmächtigte für eine diesbezügliche Verfassungsbeschwerde des Abgeordneten Herrn Gauweiler (CSU). Der Beschwerde werden von vielen Experten allerdings eher geringe Erfolgsaussichten eingeräumt. Obwohl Herr Schachtschneider den juristischen Kampf gegen die Europäische Integration seit vielen Jahren führt, konnten seine Rechtsauffassungen bislang nicht überzeugen. Mit den Verfassungs- bzw. Menschenrechtsbeschwerden zum Maastricht-Vertrag, zur Einführung des Euro oder auch zum Beitritt Österreichs in die EU ist der Europa-Kritiker regelmäßig vor dem Bundesverfassungsgericht bzw. vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gescheitert.
Ich hoffe, dass Sie von ihrem Wahlrecht nicht nur bei der nächsten Bundestagswahl, sondern auch bei den Europawahlen im Juni 2009 aktiv Gebrauch machen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Krista Sager