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Krista Sager
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Frage von Karl-Jürgen H. •

Frage an Krista Sager von Karl-Jürgen H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Frau Sager,

nach dem Vertrag von Lissabon werden der Europäischen Union weitreichende Kompetenzen gegenüber den nationalen Gesetzgebungen eingeräumt. Es erinnert an die Kompetenzen des Bundes gegenüber den Ländern und gilt für zentrale staatliche Kompetenzen wie beispielsweise für das Straf- und Zivilrecht. Die Vorschriften über die - sehr umfangreichen - Kompetenzen des Europäischen Rats in der Europäischen Union bleiben dagegen weitgehend unverändert. Gleichwohl soll der Prozess der Demokratisierung in der EU damit abgeschlossen sein, sprich: beendet werden.

Nicht geändert wurde beispielsweise der §48c aus dem bisherigen EU-Vertrag. Damit können die Vertreter der Exekutive, also der Europäische Rat im vereinfachten Änderungsverfahren große Vertragsbestandteile und damit künftig auch hochkarätige Rechtsvorschriften aufheben oder ändern, wenn auch nur einstimmig – eigenmächtig. Die Zustimmung des Europäischen Parlaments ist dann nicht erforderlich. Was im alten EU-Vertrag berechtigt sein mag, ist im Vertrag von Lissabon völlig neu zu bewerten.

Bei aller Begeisterung über die europäische Einigung: Wie sehen Sie hier das Prinzip der Gewaltenteilung gewahrt und wie vereinbaren Sie Ihre Zustimmung zur diesem Vertragsbestandteil mit Ihrem persönlichen Selbstverständnis als Parlamentarierin?

Und noch eine formale Frage: Die konsolidierte Fassung des Vertrags von Lissabon ist erst am 9. Mai im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden ist. Wie war Ihnen am 24. April ohne diese Unterlage die Abstimmung über die Ratifizierung möglich?

Mit freundlichen Grüßen

Karl-Jürgen Hanßmann

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Hanßmann,

die konsolidierte Fassung des Vertrags von Lissabon wurde am 15. April 2008 und somit vor der Abstimmung im Deutschen Bundestag unter diesem Link online gestellt:

http://www.consilium.europa.eu/cms3_fo/showPage.asp?id=1296&lang=DE&mode=g

Der Hintergrund dieser Verzögerung, die auch wir kritisiert haben, ist, dass der Vertrag nach seiner Unterzeichnung von allen Staats- und Regierungschefs am 13. Dezember 2007 zunächst in eine konsolidierte Form gebracht werden, in alle Amtssprachen der EU übersetzt (das sind derzeit 23) und von SprachjuristInnen geprüft werden musste. Eine erste und nicht konsolidierte Fassung des neuen Vertrages, die jedoch nur schwer lesbar war, lag bereits seit August 2007 vor.

Meine Meinung über den Vertrag konnte ich mir bereits vor der Veröffentlichung des konsolidierten Vertrages in einem langen Prozess bilden. Denn wir Grünen haben uns intern und öffentlich intensiv mit dem Inhalt des Vertrags von Lissabon und mit seinem Vorläufer, dem Verfassungsvertrag, auseinandergesetzt. So gab es zum Vertrag von Lissabon beispielsweise zwischen Februar und April 2008 drei öffentliche Expertengespräche im Europa-Ausschuss des Deutschen Bundestages. Ähnliche Gespräche hatten wir auf Grundlage des Verfassungsvertrags bereits 2005 durchgeführt. Und der Verfassungsvertrag selbst wurde in langen und umfassenden Verhandlungen vom öffentlich tagenden Konvent zur Zukunft Europas (Februar 2002 bis Juli 2003) erarbeitet und von allen EU-Mitgliedstaaten einstimmig beschlossen.

Bündnis 90/Die Grünen wollen eine lebendige europäische Demokratie, die vom Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger lebt. Klassische demokratische Institutionen wie das Europäische Parlament müssen gestärkt und moderne Elemente wie die direkte Demokratie ausgebaut werden. Auch wenn ich mir insbesondere eine weitere Stärkung des Europäischen Parlaments gewünscht hätte, halte ich den Vertrag von Lissabon gegenüber dem Status quo für einen demokratischen Fortschritt. Der Vertrag von Lissabon stärkt das Europäische Parlament und führt ein Unionsbürgerbegehren ein. Mit diesem Bürgerbegehren können sich die Bürgerinnen und Bürger direkt in europäische Politik einschalten.

Was die nationalstaatlichen Kompetenzen in EU-Angelegenheiten anbelangt, so kann ich Ihnen versichern, dass der Deutsche Bundestag und alle anderen nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten mit dem neuen Vertrag mehr Rechte erhalten. Diese gehen soweit, dass ein einziges Parlament Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einlegen kann, wenn es Zweifel an der Subsidiarität hat, d.h. wenn das Parlament bezweifelt, dass die EU hier zuständig ist. In Deutschland haben wir dafür gesorgt, dass der Bundestag diese Klage erheben muss, wenn ein Viertel seiner Mitglieder einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip erkennt.

Der Bundestag hat aber noch weitere Befugnisse. Nach Artikel 23 (2) Grundgesetz wirken in Deutschland Bundestag sowie Bundesrat in Angelegenheiten der Europäischen Union mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten. Nach Absatz 3 dieses Artikels gibt sie dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union und muss die Stellungnahmen bei ihren Verhandlungen berücksichtigen. Die Bundesregierung muss im Rat sogar einen Parlamentsvorbehalt einlegen, wenn der Beschluss des Bundestages in seinen wesentlichen Belangen nicht durchsetzbar ist. Diese Informations- und Beteiligungsrechte sind in einer weitreichenden Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung in EU-Angelegenheiten ausführlich geregelt worden. Diese Regelung wurde flankierend zum Vorläufer des Vertrags von Lissabon getroffen.

Beim vereinfachten Veränderungsverfahren nach Artikel 48.6 EUV entscheidet der Europäische Rat einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlamentes und der Kommission. Änderungen, die über diesen Artikel autorisiert werden, müssen jedoch gemäß den nationalen verfassungsrechtlichen Bestimmungen ratifiziert werden.

Mit freundlichen Grüßen
Krista Sager