Frage an Krista Sager von Michael I. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Es gibt immer wieder Äußerungen von Grünen, dass die Gymnasien in Deutschland abgeschafft werden sollen.
Glauben Sie, dass eine Einheitsschule z.B. den Mangel an Ingenieuren in Deutschland besser beheben könnte?
Sehr geehrter Herr Iderhoff,
wir Grünen setzen uns dafür ein, das mehrgliedrige Schulsystem zu Gunsten des Modells der Gemeinschaftsschule zu reformieren, in der alle Schülerinnen und Schüler länger gemeinsam lernen. Ziel ist eine Schule, die Kinder und Jugendliche individuell fördert und jeden einzelnen dazu befähigt, sein Leistungspotenzial bestmöglich zu entfalten. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass die Schule junge Menschen, die die Fähigkeit zu einem ingenieurwissenschaftlichen Beruf haben, bestmöglich darin unterstützt, ihr Potenzial zu entdecken und zu entwickeln.
Tatsache ist, dass unser heutiges Schulsystem all dies nicht im ausreichenden Maße leistet. Im Gegenteil: Die aktuellen Bildungsstudien IGLU und PISA belegen, dass das gegliederte deutsche Schulsystem soziale Ungleichheit verschärft und eben nicht alle Potenziale auszuschöpfen vermag. Kinder aus sozial benachteiligten Schichten haben z.B. laut PISA eine fast drei Mal geringere Chance, das Gymnasium zu besuchen als solche aus Akademikerfamilien. Und IGLU zeigt, dass sie in der Grundschule erheblich bessere Leistungen erbringen müssen, um eine Gymnasialempfehlung zu bekommen. Auch Kinder mit Migrationshintergrund haben in Deutschland nicht die gleichen Bildungschancen wie Kinder ohne Migrationshintergrund.
Unser selektives Schulsystem behindert also viele Kinder in ihrer individuellen Entwicklung, auch wenn sie das gleiche Leistungsvermögen haben. D.h. bereits vor der Aufnahme z.B. eines ingenieurwissenschaftlichen Studiums scheitern viele potenziell geeignete junge Menschen an vorgelagerten Hemmnissen und diskriminierenden Strukturen. Dies ist nicht nur zutiefst ungerecht. Auch vor dem Hintergrund des aktuellen Fachkräftemangels und der demografischen Entwicklung der nächsten Jahre ist eine solch ineffiziente Schulstruktur völlig inakzeptabel.
Natürlich wäre mit der Reform der Schulstruktur in Richtung Gemeinschaftsschule allein nicht automatisch und unmittelbar das Problem des Fachkräftemangels speziell in ingenieurwissenschaftlichen Berufen behoben. Neben mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem und einer Pädagogik, die auf individuelle Förderung und den Umgang mit Heterogenität setzt, muss auch die Methodik des naturwissenschaftlich-technischen Unterrichts verbessert werden. Insbesondere bei Mädchen weckt der Schulunterricht oft keine große Neugier auf Naturwissenschaft und Technik. Das führt dazu, dass sich Mädchen und junge Frauen viel zu früh auf geschlechtsstereotype Berufe hin orientieren -- ihr Potenzial für naturwissenschaftlich-technische Berufe bleibt unentdeckt. Um dies zu verhindern, ist es wichtig, Kinder frühzeitig gerade auch in der vorschulischen Förderung auf spielerische Art für Phänomene der unbelebten Natur zu begeistern. Nur über vielfältige Veränderungen sowohl der Schulstruktur als auch der Lernkultur wird es gelingen, dass mehr Mädchen und Jungen frühzeitig Interesse für naturwissenschaftliche und technische Fragestellungen entwickeln und später einen entsprechenden Beruf anstreben.
Mit freundlichen Grüßen
Krista Sager