Frage an Krista Sager von Dagmar E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Frau Sager,
warum haben Sie als Grüne dem Fiskalpakt und ESM-Rettungsschirm zugestimmt? Wie stehen Sie zu der Tatsache, dass lt. Artikel 32 und 35 dieses Ermächtigungsgesetz der Gouverneursrat uneingeschränkte und unwiderrufbare Rechte erhält?
Mit freundlichem Gruß,
Dagmar Ehrlich
Sehr geehrte Frau Ehrlich,
ich habe dem Fiskalpakt und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus zugestimmt, weil ich der Überzeugung bin, dass diese Maßnahmen dabei helfen, weitaus größeren Schaden von der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden, der eintreten würde, wenn sich Deutschland der stärkeren wirtschafts- und fiskalpolitischen Koordinierung in der Eurozone, dem Schutz einzelner Euro-Staaten vor spekulativen Attacken und allgemeinen Stabilisierungsmaßnahmen einfach verweigern würde. Zwar reichen die beiden Maßnahmen nicht aus und sie bieten durchaus Anlass für Detailkritik (vgl. die ausführliche Bewertung des ESM und des Fiskalpakts auf der Homepage der Grünen Bundestagfraktion), aber sie sind ein wichtiger Zwischenschritt.
Ihrer Bezeichnung des Fiskalpakts und des Europäischen Stabilitätsmechanismus als „Ermächtigungsgesetz“ will ich mit aller Entschiedenheit widersprechen.
In der Sache sind die beiden Verträge weit davon entfernt, irgendwen unwiderruflich und uneingeschränkt zu ermächtigen. Was sie als Tatsache bezeichnen, ist nur eine Behauptung. Hier hilft schon der eigene Blick in die Vertragstexte:
In den von ihnen genannten Artikeln des ESM-Vertrags geht es um den Rechtsstatus des ESM, Vorrechte und Befreiungen (Artikel 32) sowie um persönliche Immunitäten zentraler ESM-Akteure hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen (Artikel 35). Die persönlichen Immunitäten entsprechen den Regeln anderer internationaler Institutionen. Von unwiderruflichen Rechten ist in den besagten Artikeln gar keine Rede, und auch der Gouverneursrat – er besteht aus den Finanzministern der 17 Euro-Mitgliedsstaaten, die ihrerseits jeweils ihren nationalen Parlamenten rechenschaftspflichtig sind - erhält keine uneingeschränkten Rechte. Vielmehr ist in Artikel 32 die Rede davon, dass dem ESM „uneingeschränkte Rechts- und Geschäftsfähigkeit“ zukommt, und das heißt, wie im folgenden ausgeführt wird, Vermögen zu erwerben und zu veräußern, Verträge abzuschließen und Partei in Gerichtsverfahren zu sein.
Die Adjektive „unwiderruflich und uneingeschränkt“ tauchen dagegen im Vertragstext zum ESM nur im Zusammenhang mit den Kapitaleinlagen auf, die unwiderruflich und uneingeschränkt zu leisten seien (Artikel 8 und 9). Über die Höhe des Stammkapitals hat der Bundestag bereits entschieden. Eine Ausweitung des Rettungsschirmes über die vereinbarte Summe hinaus erfordert eine erneute Entscheidung des Bundestages. "Bedingungslos und unwiderruflich" wird und kann also nur das Kapital abgerufen werden, das vom Bundestag zuvor genehmigt und noch nicht abgerufen wurde.
Umfassende Informationen und Transparenz sind entscheidende Bausteine für die Legitimität der Europapolitik. Sie sind die Voraussetzung für eine faktenbasierte Diskussion. Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat daher das Bundesverfassungsgericht angerufen, nachdem die Regierung im vergangenen Jahr den Bundestag nicht ausreichend über die Verhandlungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) informiert hat, und Recht bekommen. Jetzt muss die Bundesregierung den Bundestag stärker als bisher bei der Ausgestaltung von Euro-Rettungsmaßnahmen beteiligen und ihn frühzeitig, umfassend und fortlaufend informieren und beteiligen.
Mit freundlichen Grüßen
Krista Sager