Frage an Krista Sager von Jens L. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Liebe Frau Sager,
Glauben Sie, dass Vollbeschäftigung möglich ist? Wie kann man sie erreichen?
Viele Grüße
Jens Lubbadeh
Sehr geehrter Herr Jens Lubbadeh,
die Politik hat nach meiner Überzeugung die Pflicht für Rahmenbedingungen zu sorgen, dass jeder und jede Erwachsene die Chance hat, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Ich bin der Meinung, dass dies auch in Deutschland zu erreichen ist. Vollbeschäftigung heißt für mich nicht, dass es keinerlei Arbeitslosigkeit geben wird. In einer dynamischen Wirtschaft wird es immer so sein, dass an der einen Stelle Arbeitsplätze wegfallen, während an der anderen Stelle neue Arbeitsplätze entstehen. Wenn ich vom Ziel Vollbeschäftigung spreche, denke ich an Verhältnisse wie in Skandinavien. Dort ist die Arbeitslosigkeit insgesamt fast nur halb so hoch wie in Deutschland, besonders aber die Langzeitarbeitslosigkeit. Das heißt, wer dort seinen Job verliert, finden relativ rasch einen neuen Arbeitsplatz. Dafür ist es wiederum wichtig, die Menschen zu qualifizieren und weiterzubilden, damit sie neue Jobs mit neuen Anforderungen auch annehmen können. In Deutschland geraten wir dagegen immer tiefer in eine absurde Situation: Auf der einen Seite wächst das Heer der Langzeitarbeitslosen und auf der anderen Seite nimmt auch der Fachkräftemangel immer stärker zu. Klugen Arbeitsmarktpolitik beginnt mit kräftigen Bildungsinvestitionen – das können wir von Skandinavien lernen.
Die Zahl der Erwerbstätigen ist in Deutschland während der vergangenen vierzig Jahre fast kontinuierlich gestiegen: allein zwischen 1970 und 1990 in Westdeutschland um 4,7 Mio. auf 31,3 Mio. Erwerbstätige, und seit der Vereinigung – trotz des massiven Beschäftigungsabbaus in Ostdeutschland –gesamtdeutsch noch einmal um 1,7 Mio. auf 40,3 Mio. Dass der Gesellschaft die Arbeit ausgeht, kann ich auch für die Zukunft nicht erkennen. Ich sehe vielmehr große Bedarfe: im Bereich die Pflege, der Kinderbetreuung und der Bildung, aber auch zur Bekämpfung des Klimawandels und beim Umweltschutz. Die entscheidenden Fragen sind vielmehr, wie die Arbeit verteilt wird und welche Anreize es dafür gibt und ob wir Arbeit oder Arbeitslosigkeit finanzieren wollen. Fest steht, dass Erwerbsarbeit – und nicht nur ihre Bezahlung – in Deutschland ungleich verteilt ist und dass es viele Arbeiten gibt, die ohne Erwerb erledigt werden müssen. Obwohl Erwerbsarbeit knapp ist, leistet sich Deutschland den Luxus, ausgerechnet Erwerbsarbeit über die Sozialversicherungsbeiträge mit 40% (Arbeitgeberbrutto) gewissermaßen zu „besteuern“. Das führt dazu, dass gesellschaftlich notwendige Aufgaben nicht in Form von Erwerbsarbeit, sondern unbezahlt geleistet werden oder sogar gar nicht. Auch das Ehegattensplitting trägt zur ungleichen Arbeitsverteilung bei, indem es die große Einkommensunterschiede und damit eben auch eine ungleiche Verteilung der Erwerbsarbeit resp. der ungleichen Betreuungs-, Haus- und Erziehungsarbeit zwischen den Eheleuten belohnt. Auf der Homepage von Bündnis 90/Die Grünen finden Sie unsere Vorschläge, wie wir solche Blockaden lösen und wie wir die vorhandenen Beschäftigungspotenziale erschließen wollen: www.1-mio-neue-jobs.de.
Mit freundlichen Grüßen
Krista Sager