Frage an Krista Sager von Johannes W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Sager,
mein Name ist Johannes Windler und ich bin Oberstufenschüler des Heilwiggymnasiums.
Im Rahmen eines Projektes meines Leistungskurses Gemeinschaftskunde, zum Thema Bundestagswahl, da wir zum ersten Mal wahlberechtigt sind, führe ich eine kleine Umfrage durch.
Es geht darum, wie der Zusammenhang zwischen Wahlkampf und Wahlprognosen/ Meinungsforschungsergebnissen ist und darum, wie die Medien den Wahlkampf der Parteien beeinflussen.
Ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie sich fünf Minuten Zeit nehmen könnten, um meine Fragen zu beantworten.
1. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Wahlkampf und Wahlprognosen, wenn ja, welchen?
2. Lassen Sie/ Ihre Partei sich im Wahlkampf oder beim Wahlprogramm von Prognosen beeinflussen, wenn ja/ nein, warum?
3. Erstellen Sie Ihr Wahlprogramm unter anderem auf Grundlage von Meinungsforschungsergebnissen, wenn ja/ nein, warum?
4. Sind Sie der Meinung, dass Wahlprognosen die Psyche der Wähler beeinflussen und somit auch ihr Wahlverhalten, wenn ja/ nein, warum?
Ich danke Ihnen vielmals, für die Beantwortung der Fragen.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Windler
Lieber Johannes Windler,
ich freue mich, dass sich Ihr Leistungskurs so ausführlich mit der Bundestagswahl beschäftigt, hoffe auf eine rege Wahlbeteiligung Ihrer Schule und wünsche Ihnen viel Erfolg mit Ihrem Projekt. Hier meine Antworten auf Ihre Fragen:
1. Sicherlich gibt es einen Zusammenhang zwischen Wahlprognosen und dem Wahlkampf -, schon allein deshalb, weil ich als Politikerin von den Medien regelmäßig auf Wahlprognosen angesprochen werden, viele Menschen die Prognosen mit Interesse lesen und unser Wahlkampf doch hoffentlich auch die beabsichtigten Wahlentscheidungen und damit die Prognosen beeinflusst. Wahlprognosen wirken aber nicht nur auf die Politikerinnen und Politiker sowie die Bürgerinnen und Bürger, sondern auch auf die Medien selbst zurück. Genau den Umfang der jeweiligen Beeinflussung zu bestimmen dürfte aber ähnlich schwer sein, wie den Einfluss von Werbung insgesamt zu bestimmen.
2. Wahlprognosen sind ein Indiz, ob der Kurs der Partei auf Zustimmung oder Ablehnung stößt, genauso wie Bürgerbriefe, tatsächliche Wahlergebnisse, Journalistenfragen, die Rückmeldung von Parteimitgliedern oder die Reaktionen während einer Wahlkampfveranstaltung. Wenn die Umfragewerte kontinuierlich sinken, kommen sicherlich alle Politikerinnen, Politiker und Parteien ins Grübeln, woran das liegen könnte und was sie besser machen könnten –, nicht nur während des Wahlkampfes. Zu bedenken ist aber, dass eine Vielzahl von Wählerinnen und Wählern ihre Wahlentscheidung erst kurz vor der Wahl treffen. Die wenigsten Umfragen weisen aus, wie viele der Befragten sich noch nicht entschieden haben. Und wenn die Meinungsforschung zeigt, dass eine bestimmte Position von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird, kann die Folge für eine Partei wie die Grünen auch sein, dass wir mehr für unsere Position werben und unsere Argumente schärfen müssen.
Wir wissen aber auch, dass mit Prognosen auch kräftig Politik gemacht werden kann, indem Stimmungen für oder gegen bestimmte Personen, Parteien oder politische Projekte erzeugt werden. Schon die Formulierung der Frage beeinflusst die Antwort. Anfällig für Manipulationen sind auch Prognosen, die überhaupt nicht auf Umfragen basieren, sondern nur auf den Vorhersagen irgendwelcher Experten. Besonders irreführend sind so genannte Umfragen, die besonders im Internet zuhauf kursieren. Hier wird nicht eine repräsentative Auswahl gefragt, sondern man muss sich aktiv beteiligen. Wenn auf der Homepage der Freunde des Zigarrenrauchens die Frage gestellt wird, ob man für die Abschaffung der Tabaksteuer ist, dürfte es nicht wundern, wenn die Umfrage ein entsprechendes Ergebnis produziert.
Schließlich: Zur strategischen Planung eines Wahlkampfes gehört auch die genaue Analyse der vorherigen Wahlen sowie repräsentative Umfragen, die wir allerdings selbst in Auftrag geben und mit denen wir herausfinden wollen, wie wir in der Öffentlichkeit und von den potenziellen Wählerinnen und Wählern gesehen werden. Aktuelle Prognosen können die Grundzüge einer Wahlkampagne dagegen kaum noch beeinflussen. Dazu ist eine Wahlkampagne zur Bundestagswahl selbst bei uns Grünen viel zu umfangreich und hat einen viel zu großen Vorlauf.
3. Im Gegensatz zu vielen anderen Parteien entsteht das grüne Wahlprogramm nicht im Hinterzimmer, um dann von einem Parteitag mehr oder weniger nur noch abgesegnet zu werden. Die Erstellung des Wahlprogramm ist bei uns Grünen vielmehr Sache der Mitglieder. Als der Entwurf unseres aktuelles Bundestagswahlprogramm unseren Mitgliedern vorgelegt wurde, sind mehr als 1.200 Änderungsanträge eingegangen, von denen wiederum eine Vielzahl in den schließlich verabschiedeten Text eingearbeitet worden sind. Die meisten Mitglieder sind bei der Programmarbeit mehr von ihren Überzeugungen und Argumenten getrieben als von Meinungsforschungsergebnissen, die natürlich auch sie in den politischen Medien sehen und lesen.
4. Die Wahlforschung kennt den Effekt, dass gerade unentschlossene Wählerinnen und Wähler kurz vor den Wahlen dazu neigen, sich den vermeintlichen Gewinnern zuzuwenden. In diesem Sinne können Prognosen und Umfragen sicherlich auch Wahlentscheidungen beeinflussen. Wichtig für strategische Wählerinnen und Wähler gerade bei Landtagswahlen sind sicherlich auch die Prognosen, ob eine Partei es voraussichtlich schaffen wird, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Ist die Prognose negativ, neigen selbst Anhänger dieser Partei dazu, auf eine andere Partei auszuweichen.
Mit freundlichen Grüßen
Krista Sager