Frage an Krista Sager von Nicolas B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Sager,
ich möchte Ihnen folgende Frage stellen:
Wie stehen die Grünen zum Thema Chancengesellschaft? Mein Vorurteil gegenüber ihrer Partei ist, dass sie diejenigen in der Gesellschaft, welche die ihnen gebotenen Chancen nicht nutzen können nicht vertreten. Also was sagen die Grünen zum Auseinanderdriften der Gesellschaft. Manchmal hab ich das Gefühl ihre Partei schämt sich für die mitbeschlossene Agenda 2010 und möchte begangene Fehler rückgängig machen. Viele Menschen in Hamburg die man als kulturelle, kreative oder intellektuelle Elite bezeichnen könnte wählen Grüne, aber ob dieses Klientel wirklich grosse politische Aufmerksamkeit/Hilfe braucht im Vergleich zu schlechter gestellten Schichten...? Was ich sagen möchte ist, dass ich am ehesten bei den Grünen sowas wie ein soziales Gewissen vermute, mich aber frage ob dieses verschütt gegangen ist. Wenn ich jetzt von Herrn Özdemir soziale Rhetorik höre, dann weiss ich nicht wie sehr das Stimmenfang ist oder ob ihre Partei bereit wäre auch wirklich für mehr soziale Gerechtigkeit zu kämpfen, obwohl sie wissen, dass in den sozialen Brennpunkten weniger Menschen wählen gehen.
Und bitte antworten Sie nicht ausschliesslich mit "Bildung", obwohl ich weiss wie wichtig gute Bildung von klein auf an ist, so ist sie leider nicht der einzige Schlüssel zu mehr sozialer Gerechtigkeit.
Ich würde mich freuen von Ihnen zu lesen.
Mit freundlichen Grüssen,
Nicolas Behrens
Sehr geehrter Herr Behrens,
angesichts der wachsenden sozialen Spaltung und der Zunahme gesellschaftlicher Blockaden haben wir Grünen in den vergangenen vier Jahren intensiv an unserer sozialpolitischen Programmatik gearbeitet. Dabei haben wir selbstverständlich auch die Hartz-Reformen kritisch reflektiert. Der Diskussionsprozess mündete im Parteitags-Beschluss „Aufbruch zu neuer Gerechtigkeit!“ von 2007 ( http://www.gruene-partei.de/cms/partei/dokbin/207/207470.aufbruch_zu_neuer_gerechtigkeit.pdf ), der auch die Grundlage für unser Bundestagswahlprogramm darstellt:
Ziel unserer Politik ist ein Sozialstaat, in dem sich Gerechtigkeit mit Freiheit verbindet. Ohne Gerechtigkeit gibt es keine echte Chance auf ein selbstbestimmtes Leben für jede und jeden. Deshalb kämpfen wir für eine Politik der Teilhabe, die sich gerade an diejenigen richtet, die in unserer Gesellschaft schnell vergessen werden: Benachteiligte Kinder und Jugendliche, Alleinerziehende, Arbeitssuchende und Geringverdiener, Menschen mit Behinderungen oder mit Pflegebedarf. Diese Teilhabe muss auch materiell ausreichend abgesichert sein. Wir treten daher für die Anhebung des Arbeitslosengelds II auf 420 € ein und für Regelsätze für Kinder, die den tatsächlichen Bedarf der Kinder decken.
Wenn wir die Spaltung und Blockaden unserer Gesellschaft überwinden wollen, dann reicht es aber nicht aus, lediglich mehr Geld für direkte Transferzahlungen wie das ALG II oder das Kindergeld auszugeben. Denn höhere Transferzahlungen eröffnen eben nicht die optimalen Chancen für ein selbstbestimmtes Leben, auch wenn angemessene Transferzahlungen für ein Leben in Würde zweifellos auch ein wichtiges Element sind.
Gerade von den skandinavischen Ländern können wir lernen, dass echte Teilhabe an Bildung, Arbeit, Gesundheit und Einkommen nur mit erneuerten und gestärkten öffentlichen Institutionen möglich ist. Gerade Kinder aus sozial schwachen Haushalten profitieren von guten Kitas und Ganztagsschulen, in denen sie auch Angebote für musische Erziehung oder Sport erhalten. Langzeitarbeitslose brauchen zudem starke Arbeitsmarktinstitutionen, in denen Qualifizierung und individuelle Begleitung groß geschrieben werden. Und Geringverdiener benötigen gesetzliche Mindestlöhne und sozial gestaffelten Sozialabgaben, damit sie von ihrer Arbeit leben können. Wer also echte Teilhabe ermöglichen will, der muss in einen befähigenden Sozialstaat investieren.
Mit freundlichen Grüßen
Krista Sager