wie können Sie eine Impfpflicht mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes vereinbaren?
Sehr geehrter Herr von Notz,
wie können Sie eine Impfpflicht mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes vereinbaren? Eine Impfung ist ein medizinischer Eingriff in das Immunsystem. Dazu bedarf es der zwanglosen und freiwilligen Einwilligung des Patienten. Eine Impfpflicht widerspricht dem Freiwilligkeit und es entstehen Zwänge. Natürlich hofft man mit einer Impfpflicht Pandemien zu verhindern, jedoch kann und darf das Individualrecht nicht ausgehelbelt werden. Ganz zu Schweigen von den Vertrauensverlusten in die Ärzte, die ja die Patienten zwangsbehandeln müssen. Von dem Problemen mit dem Nürnberger Kodex ganz zu schweigen.
Ich würde mich über eine Rückmeldung mit Ihrer Meinung dazu freuen und hoffe inständig, daß Sie sich gegen eine Impfpflicht entscheiden werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jens R.
Sehr geehrter Herr D. R.
vielen Dank für Ihre Anfrage und das Interesse an meiner politischen Arbeit. Über beides habe ich mich sehr gefreut.
Auch nach über zwei Jahren stellt die Corona-Pandemie unser Land und die gesamte Welt weiterhin vor große Herausforderungen. Impfen ist, darauf weisen die Epidemiologinnen und Epidemiologen mit großer Einigkeit hin, immer noch das beste aller uns derzeit zur Verfügung stehenden Instrumente, um der Pandemie Einhalt zu gebieten. Wer sich impfen lässt, schützt nicht nur sich, sondern auch andere. Doch die bislang erreichten Impfquoten reichen immer noch nicht aus, um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen und erneute Überlastungen unseres Gesundheitssystems und vor allem der kritischen Infrastruktur künftig zu verhindern. Die übergroße Mehrheit der Menschen geht verantwortungsbewusst mit der eigenen Gesundheit um und verhält sich solidarisch gegenüber anderen. Rund ein Viertel der Menschen in unserem Land sind jedoch noch nicht vollständig geschützt, weil sie sich nicht impfen lassen wollen oder können.
Zwar ist die Omikron-Variante des Corona-Virus nach derzeitigem Erkenntnisstand weniger pathogen, also krankmachend, und der Anteil von Menschen mit einem schweren bis tödlichen Verlauf sinkt. Zugleich steigt jedoch die Anzahl der infizierten Menschen, da die Variante leichter übertragbar und erheblich ansteckender ist als die Delta-Virusvariante. Aktuelle Zahlen aus den Kliniken zeigen, dass derzeit hauptsächlich Menschen ohne Impfschutz intensivmedizinisch versorgt werden müssen. Das verdeutlicht erneut, dass Impfungen einen sehr guten Schutz vor schweren Verläufen bieten. Entscheidend für die Eindämmung der Pandemie bleibt weiterhin, dass wir eine hohe Grundimmunität der Bevölkerung erreichen. Das ist vor allem deshalb notwendig, da eine Infektion mit der Delta-Variante nach derzeitigem Wissenstand keine Immunität für andere Virusvarianten zur Folge hat. Expertinnen und Experten warnen davor, dass sich nach einem Abebben der Omikron-Welle erneut gefährlichere Virus-Varianten verbreiten können. Eine hohe Impfquote wirkt diesen Entwicklungen und Risiken entgegen.
Die parlamentarische Debatte rund um die mögliche Einführung einer allgemeinen Impfpflicht hat bereits begonnen und wird aktuell sehr intensiv geführt. Derzeit stehen drei Optionen im Raum: Die Ablehnung einer allgemeinen Impfpflicht, die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht für volljährige Bürgerinnen und Bürger sowie die Möglichkeit einer Impfpflicht ab 50 Jahren. Persönlich habe ich mich dafür entschieden, die Initiative für die Einführung einer verpflichtenden Impfberatung für Erwachsene und eine altersbezogene Impfpflicht ab 50 Jahren zu unterstützen. Dabei steht die Einführung unter dem Vorbehalt, dass der Bundestag zu einem späteren Zeitpunkt in einem gesonderten Beschluss feststellt, dass die Einführung der Regelung im anstehenden Herbst nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse unter Würdigung aller relevanten Umstände erforderlich ist. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, eine Überlastung des Gesundheitssystems durch mehr Impfungen zu verhindern, dabei aber die Eingriffsintensität so gering wie möglich zu halten.
Sie können sich sicher sein, dass vor der anstehenden Abstimmung im Deutschen Bundestag die Argumente weiterhin sehr sorgfältig bewegt, dabei selbstverständlich auch die Expertise von Expertinnen und Experten eingeholt sowie die Studienlage umfangreich geprüft wird. Daher möchte und kann ich Ihnen klar versichern, dass meine Fraktion und ich bezüglich einer möglichen Impflicht bestimmt keine leichtfertige Entscheidung treffen werden – im Gegenteil.
Als Parlamentarierinnen und Parlamentarier beleuchten wir seit Beginn der Pandemie die zahlreichen hierbei abzuwägenden Aspekte im Rahmen des gesetzgeberischen Prozesses äußerst intensiv. In der Debatte müssen stets die neusten Entwicklungen, wissenschaftliche Erkenntnisse und Prognosen sehr ernst genommen werden, auch, um eine verfassungsmäßige Regelung zu schaffen. Die Verhältnismäßigkeit einer Impfpflicht wird umfassend diskutiert, wobei insbesondere auch die Frage nach der Erforderlichkeit einer Impfpflicht in den Blick genommen wird. Hierbei ist die Frage zu beleuchten, ob ein anderes Mittel verfügbar ist, das in gleicher Weise geeignet ist, den Regelungszweck zu erreichen und zugleich die Betroffenen wie auch die Allgemeinheit geringer belastet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis für die sehr gut überprüfte Sicherheit des Impfstoffs spricht. Nachdem weltweit mittlerweile über 10 Milliarden Dosen geimpft worden sind, gehen alle seriösen Einschätzungen klar in diese Richtung. Nicht aus dem Blick geraten darf im Gegenzug auch, dass Maßnahmen wie immer wiederkehrende Lockdowns mit starken Kontaktbeschränkungen und die damit einhergehenden gravierenden Folgen, insbesondere für Kinder und Jugendliche, natürlich auch extrem stark in die Freiheit der gesamten Gesellschaft eingreifen.
Ich kann Ihnen versichern, dass meine Fraktion und ich uns der Brisanz des Themas äußerst bewusst sind. Wir nehmen sehr sorgfältig in den Blick, welche Maßnahmen rechtlich in Betracht kommen, um die Pandemie so effektiv wie möglich zu bekämpfen und wägen die unterschiedlichen Optionen und ihre Auswirkungen mit größter Sorgfalt gegeneinander ab. Das ist die Haltung, die unserer Politik stets zu Grunde liegt.
Beste Grüße nach Cremlingen!
Konstantin v. Notz