Frage an Konstantin von Notz von Horst K. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr von Notz
nachdem am 18.11.2020 das "3. Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" ansteht, die entscheidende Grundgesetze aushebeln wird, bitte ich Sie und die Fraktion der Grünen um eine Fakten- und Gewissensbasierte Abstimmung. Gibt es bei so einer fundamentalen Abstimmung, bei der es um extremste Einschränkungen von wichtigen Grundgesetzen geht, eigentlich so etwas wie einen Fraktionzwang?- da mir die Abstimmungen innerhalb der Fraktion, gefühlsmäßig immer etwas zu einheitlich sind! Auf welcher Grundlage (RKI-Faktenbasiert - zB über offizielle Informationsquellen wie "Dashboard RKI" oder nach dem Bauchgefühl?) treffen sie ihre Abstimmungsentscheidung?
Über eine Antwort würde ich mich freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Kirschner,
haben Sie besten Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse an meiner Arbeit. Über beides habe ich mich sehr gefreut. Es ist äußerst bedeutsam, dass auch gerade in diesen schwierigen Zeiten der pandemischen Krise, die wir eben gemeinsam nur unter der Einhaltung besonderer Maßnahmen meistern können, so viele Menschen wie Sie unsere Bürgerrechte stark im Blick behalten und sie hochhalten. Wir tun dies seit Anfang März genauso. Ihre Frage unterscheidet sich im Ton und ernstem Interesse wohltuend von so manch anderer Zuschrift samt geschichtsvergessener Vergleiche, die uns in den letzten Tagen erreicht hat. Daher beantworte ich sie sehr gerne ausführlich.
Schon seit dem Beginn der Pandemie mahnen meine Fraktion und ich immer wieder an, vor allem auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu achten, diesen eine rechtsstaatliche Grundlage zu geben, sie zeitlich eng zu befristen, ständig zu evaluieren und sie der jeweils aktuellen Situation laufend anzupassen. Um dieser Forderung Nachdruck zu verschaffen haben wir immer wieder verschiedene umfassende parlamentarische Initiativen vorgelegt (sie finden Sie hier: https://www.gruene-bundestag.de/themen/corona-krise) und vor einiger Zeit bereits den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages mit der Prüfung von offenen Fragen, bspw. die nach der Rechtmäßigkeit der im Zuge der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes festgehaltenen Ausgangsbeschränkungen, befasst. Verschiedenste der von uns geäußerten Kritikpunkte, beispielsweise zu den durchaus weitreichenden Befugnisse des Bundesgesundheitsministers im ersten Gesetz, wurde vom Wissenschaftlichen Dienst bestätigt. Bezüglich einzelner Punkte äußerte er sogar schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken. Dies bestätigte uns in unserem Drängen bezüglich der stärkeren Beteiligung von Bundestag und Bundesrats im Verfahren.
Mit unserem Grundgesetz haben wir einen guten Kompass, der gerade auch in diesen schwierigen Zeiten dabei helfen kann, die augenblicklichen Herausforderungen im bestmöglichen Sinne zu meistern und die Eingriffe in unser aller Leben und unsere Grundrechte so gering wie irgend möglich zu halten. Hierfür müssen die klaren rechtlichen Vorhaben jedoch zwingend eingehalten und alle Entscheidungen evidenzbasiert und auf dieser Grundlage sorgsam abgewogen und getroffen werden.
Da der von Ihnen angesprochene neue Gesetzentwurf „zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, der am vergangenen Freitag im Bundestag in erster Lesung debattiert wurde, wurde diesen Ansprüchen bislang nicht vollends gerecht. Wir haben uns daher dafür eingesetzt, dass nun die dringend notwendigen weiteren Beratungen und Sachverständigenanhörungen durchgeführt werden. Ich selbst habe bspw. darauf gedrungen, dass auch der Innenausschuss sich mit diesen Fragen intensiv im Rahmen einer Sondersitzung auseinandersetzt. Als grüne Bundestagsfraktion plädieren wir auch weiterhin dafür, das Parlament auch bei den bisher schon befristeten Verordnungsermächtigungen sehr viel stärker einzubeziehen und ihm auch die Möglichkeit zu geben, eine Aufhebung von Verordnungen zu verlangen.
Aus diesen Gründen haben wir erneut einen Antrag "Rechtsstaat und Demokratie in der Corona-Pandemie" (https://dserver.bundestag.de/btd/19/239/1923980.pdf) ins Plenum eingebracht. Darin fordern wir unter anderem die bestehenden gesetzlichen Defizite zu beheben und eine grundlegende Reform des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) durchzuführen. Wir schlagen darin unter anderem vor, eine Konkretisierung im Infektionsschutzgesetz vorzunehmen, die der Frage nach einer stärkeren Verantwortung des Bundes gerecht wird und unter anderem Klarheit schafft, unter welchen Voraussetzungen die Länder bestimmte Grundrechtseingriffe zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie per Verordnung erlassen dürfen. Die Bundesregierung muss endlich umfassend der Klarstellung bezüglich der Frage, wann Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie - die zum Teil erheblich in Grundrechte eingreifen - durch wen erlassen werden dürfen, nachgehen. Auch wenn wir eine umfassende Evaluierung erst nach der Pandemie durchführen können, müssen wir bereits zu diesem Zeitpunkt Rechtssicherheit und dadurch Rechtsschutz schaffen. Um dem nachkommen zu können muss die Bundesregierung darlegen, welche Kriterien zur Bewertung des Infektionsgeschehens angelegt werden und die von ihr getätigten Abwägungen von Grundrechten transparenter gestalten. Und es braucht eine klare Befristung der Maßnahmen und eine Aufhebung der Verordnungsermächtigung in § 5 des IfSG.
Die Entscheidungen für oder gegen Maßnahmen muss – vor allem aufgrund der mit ihr einhergehenden äußerst bedeutsamen Grundrechtsfragen und -abwägungen – stets auch aktuell bewertet und reflektiert werden. Die Maßnahmen müssen immer wieder auf ihre Notwendigkeit hin hinterfragt, hinsichtlich ihrer Geeignetheit der aktuellen Situation angepasst und auf ihre Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden. Aber gerade auch aufgrund von dringend notwendiger Transparenz, Akzeptanz und Planbarkeit braucht es auch eine klare und eindeutig durch die Politik kommunizierte Gesamtstrategie und langfristige Lösungswege. Nur, wenn wir auch gesundheitliche, soziale und wirtschaftliche Risiken abschwächen, können wir wirklich und auf Dauer unsere Freiheiten wieder vollumfänglich ausleben. Auch da die Bundesregierung seit langer Zeit nur auf Sicht fährt, birgt die derzeitige Situation durchaus Gefahren für unsere freiheitlichen Rechte.
Wir konnten über die Pflicht zur Begründung und Befristung der Eingriffe hinaus weitere, wesentliche Verbesserungen gegenüber dem Ursprungsentwurf der Koalition erreichen. So gelten beispielsweise für Untersagungen von Versammlungen und religiösen Zusammenkünften, für Besuchsbeschränkungen in Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern in Zukunft erhöhte Voraussetzungen. Unter allen Umständen muss ein Minimum an sozialen Kontakten gewährleistet bleiben. Der besondere Verfassungsrang von Kunst und Kultur wird anerkannt. Kontaktdaten dürfen nur noch zur Nachverfolgung von Infektionsketten verarbeitet und weitergegeben werden, es wird eine eindeutige Löschfrist festgelegt. Die epidemische Lage von nationaler Tragweite wird gesetzlich definiert.
Wir legen damit die Grundlage dafür, dass gut begründete, evidenzbasierte, erforderliche Maßnahmen auch einer gerichtlichen Kontrolle standhalten. Das schulden wir all denjenigen, die auf den Intensivstationen und in den Gesundheitsämtern mit dieser zweiten Infektionswelle schwer kämpfen. Nur auf diesem Weg war es möglich, jetzt, während die zweite Infektionswelle gebrochen werden muss, dafür die Grundlagen und Grenzen zu setzen.
Trotzdem gibt es für mich nach wie vor auch Kritikpunkte: So wäre es richtig gewesen, klar zu formulieren, dass das Kindeswohl eine hohe, besondere Hürde für Einschränkungen für Kinder oder die Schließung von Schulen oder Kitas sein muss. Kinder und Jugendliche brauchen den Kontakt zu anderen Kindern. Kontakt- oder Reisebeschränkungen müssen den Verfassungsrang von Familie, Ehe und Partnerschaft respektieren. Die Arbeitsquarantäne muss abgeschafft werden. Ich streite für eine umfassendere Berichtspflicht der Bundesregierung und einen Pandemierat an der Seite des Bundestags. Damit schaffen wir Voraussetzungen dafür, mit besserer Erkenntnislage auch die gesetzlichen Grundlagen zu verbessern und die Maßnahmen berechenbarer für Bürgerinnen und Bürger zu machen. Mit der Zustimmung zu dem heutigen ersten Schritt für eine stärkere gesetzliche Einhegung der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ist die parlamentarische Debatte darüber nicht beendet. Ich werde in den kommenden Wochen dafür streiten, weitere Konkretisierungen und Klarstellungen gesetzlich zu regeln.
Auch sollte unserer Ansicht nach ein unabhängiger Pandemierat zur stärkeren Einbeziehung wissenschaftlicher Politikberatung eingerichtet werden. Auch hierzu haben wir einen sehr konkreten Vorschlag im Bundestag vorgelegt: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/205/1920565.pdf. Innerhalb eines Jahres sollen so konkrete Empfehlungen für eine grundlegende Modernisierung des Infektionsschutzgesetzes entwickelt werden können. Der Pandemierat könnte und müsste hierzu eng in die parlamentarische Arbeit einbezogen werden. Es kann – aufgrund des Rechtsstaatsprinzips, des Demokratiegebots und letztlich dem Ziel der Eindämmung der Pandemie – nicht länger hingenommen werden, dass die Einbindung der Parlamente derart zurückgefahren wird. Die Bundesregierung sollte schnellstmöglich klarstellen, ob und wann sie einem solchen Verfahren nachkommen wird.
In der Hoffnung, dass ich Ihnen darlegen konnte, dass wir uns als Fraktion und ich persönlich als Abgeordneter auch weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen werden, dass Bürger- und Parlamentsrechte auch in der Pandemie gewahrt werden, verbleibe ich
mit besten Grüßen nach Maitenbeth!
Konstantin v. Notz