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Konstantin von Notz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Anja K. •

Frage an Konstantin von Notz von Anja K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo Herr Dr. Notz,

dieses Jahr war gefüllt mit den verschiedensten Informationen zu Missbrauchsdelikten an Kindern und Jugendlichen.

Wir benötigen dringend einen Wandel im Umgang mit diesem traurigen Thema, vor allem im Umgang mit den Opfern in unserer Gesellschaft. Dieser kann nur angestoßen werden durch Aufklärung und einer Reform unserer Gesetzte in diesem Bereich.
1) Stimmen Sie zu, dass Reformen erforderlich sind?
2) Wenn ja, in welcher Form wollen Sie Reformen auf den Weg bringen?

Ich habe mich in diesem Zusammenhang gefragt, welche Möglichkeiten habe ich, neben dem Kreuz auf meinem Wahlzettel, Politik auf Missstände in der Gesetzgebung hinzuweisen. Unter change.org finden Sie meine Petition "Keine Deals bei Missbrauchsdelikten an Kindern und Jugendlichen". Aus meiner Sicht gehört unser Strafrecht, bezogen auf Sexualdelikte, komplett reformiert. Meine Petition könnte ein Anstoß dazu sein.

Ihre Meinung dazu interessiert mich sehr. Ich würde mich freuen, wenn mein Anliegen Ihre Unterstützung findet. Unter den nachfolgenden Links finden Sie alle wichtigen Informationen. Die Inhalte habe ich in den letzten zwei Monaten recherchiert und mit Pädagogen und Anwälten besprochen. Bei Interesse stelle ich Ihnen gern die Ergebnisse zur Umfrage zur Verfügung.

Zur Petition: https://www.change.org/p/alle-deutschen-politiker-keine-deals-bei-missbrauchsdelikten-an-kindern-und-jugendlichen
Zur ergänzenden anonymen Umfrage: http://www.q-set.de/q-set.php?sCode=YWAZPGPBWQHH
Zur Homepage: http://www.schuldfrage.com

Ich freue mich auf Ihre Rückmeldung.
Beste Grüße
Anja Kahl

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Kahl,

haben Sie herzlichen Dank für die uns übersendeten Informationen und Ihre Fragen, die ich im Folgenden gerne beantworten will.

Die Diskussion um einen verbesserten Schutz von Opfern sexueller Übergriffe ist eine äußerst wichtige. Als grüne Bundestagsfraktion beteiligen wir uns an dieser Diskussion seit langem intensiv und haben in der Vergangenheit auch immer wieder eigene parlamentarische Vorschläge hierzu vorgelegt.

Die große Koalition hat Ende vergangenen Jahres ein Gesetzespaket zum Strafrecht vorgelegt. Anders als im Titel angekündigt, geht es dabei keineswegs allein um das Sexualstrafrecht. Das Paket enthielt vielmehr auch überflüssige Strafnormen, die deutlich überzogen waren und zu keiner Verbesserung für Opfer von sexueller Gewalt geführt hätten. Hier haben wir unsere Kritik am Inhalt und dem Verfahren zusammengefasst. Dagegen fand der sexualstrafrechtliche Teil des Gesetzentwurfs im Wesentlichen unsere Zustimmung. Hier finden Sie unsere Positionierung zu den konkreten Änderungspunkten.

In dem Gesetzespaket der Koalition zum Sexualstrafrecht kam die Prävention aus unserer Sicht viel zu kurz. Prävention, beziehungsweise Kinder- und Jugendschutz, sind gekennzeichnet von vielfältigen aufeinander abgestimmten Maßnahmen. Ein solches Maßnahmenpaket beschreibt unser Antrag ,,Kinder schützen - Prävention stärken". Hier finden Sie unsere Position noch einmal zusammengefasst.

Zusätzlich zu den Instrumenten des Strafrechts ist es von entscheidender Bedeutung, ein breites Spektrum an präventiven Maßnahmen in Angriff zu nehmen. Es muss weit mehr getan werden, damit Mädchen und Jungen gar nicht erst sexuell missbraucht oder für die Herstellung von Fotos oder Videos instrumentalisiert werden. Auch muss sichergestellt werden, dass betroffene Kinder und Jugendliche die Unterstützung und Hilfe erfahren, die sie brauchen.

Bisher gibt es noch immer kein ausreichend breites und bedarfsgerechtes Angebot an Beratungs- und Präventionsmaßnahmen. Auch bezüglich der Täter muss Präventionsarbeit geleistet werden. So existieren bereits heute Einrichtungen, die auf die therapeutische Arbeit mit Pädo- und Hebephilen spezialisiert sind. Allen voran das bekannte Projekt "Kein Täter werden". Solche Angebote müssen weiter ausgebaut und verbessert werden.

Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass die Erkenntnisse und Empfehlungen des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch“ und des Unabhängigen Beauftragten zu Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, tatsächlich umfassend umgesetzt werden.

Dazu gehören Maßnahmen zur Prävention und insbesondere auch die Einrichtung einer Aufarbeitungskommission für die öffentlich gewordenen Missbrauchsfälle. Wir Grüne im Bundestag unterstützen die Initiative der Koalitionsfraktionen und hätten uns gewünscht, dieses Anliegen in einem fraktionsübergreifenden Antrag anzugehen. Die Diskussion um einen verbesserten Schutz vor sexuellem Missbrauch muss über Fraktionsgrenzen hinweg geführt und Vorschläge gemeinsam erarbeitet werden.

Bei der Ausgestaltung einer Aufarbeitungskommission ist es uns wichtig, dass die Aufklärung von Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen nicht nur institutionsintern erfolgt. Eine unabhängige Kommission kann gewährleisten, dass die verantwortlichen Institutionen die Missbrauchsfälle angeleitet von unabhängigen und fachlich geeigneten Stellen aufarbeiten. Aufgabe der Aufarbeitungskommission sollte es sein, Strukturen zu erkennen, die Missbrauch möglich gemacht und befördert haben. Ziel der Kommission sollte sein, zukünftigen Missbrauch zu verhindern und bestmögliche Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Neben dem Offenlegen von Strukturen in Institutionen, sollte diese Kommission auch die individuelle Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch ermöglichen. Opfer müssen in einem geschützten Raum über erlebten Missbrauch sprechen können, gehört und ernst genommen werden.

Als grüne Bundestagsfraktion wollen wir auch denen Gehör verschaffen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen nicht gut ausdrücken können, die nicht über das Erlebte gesprochen haben, die nicht gut darüber sprechen können und deren Leid in der Öffentlichkeit deshalb nicht wahrgenommen worden ist. Das sind beispielsweise Menschen mit Behinderung. Das sind Heimkinder. Das sind aber auch Menschen, die sehr jung waren, als der Missbrauch geschah. Auch für diese Menschen soll die Aufarbeitungskommission aus unserer Sicht einen Raum des Gehörtwerdens sein.

Damit die Aufarbeitungskommission ihren Aufgaben nachkommen kann und den entsprechenden Handlungsspielraum hat, um etwa Akteneinsicht oder die Befragung von Zeugen einzufordern, braucht sie eine gesetzliche Grundlage und nicht zuletzt die zur effektiven Arbeit notwendige finanzielle Ausstattung.

Mit besten Grüßen nach Dassendorf
Konstantin von Notz

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