Frage an Konstantin von Notz von Wolfgang V. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Konstantin von Notz,
die Ukraine-Krise bestimmt derzeit die Außenpolitik und viele Menschen sind besorgt, ob der aggressiven Rhetorik des Westens und der Sanktionen. Meine Tochter behandelt das Thema gerade in der Schule und kam mit folgenden, aus meiner Sicht berechtigten Fragen auf mich zu:
- Wieso akzeptieren die Politiker im Westen nicht, wenn Menschen sich freiwillig und mit überwältigender Mehrheit Russland anschließen möchten? - Die Menschen und das Volk sollten doch immer im Vordergrund aller Interessen stehen.
- Wieso gab es nach dem Irak-Krieg keine Sanktionen gegen die USA, obwohl dieser nicht von der UNO abgesegnet war und nachweislich auf Lügen basierte (Massenvernichtungswaffen)? Schließlich gab es dort viele Tote und auf der Krim bisher keine nennenswerte Gewalt.
- Mit welcher Legitimation regiert die jetzige Regierung in Kiew?
- Ist Ihnen bekannt, dass die vielen Toten auf dem Maidan Heckenschützen zuzuschreiben sind, die nachweislich auf Polizisten und Demonstranten gefeuert haben und was sagen Sie dazu?
Danke für Ihre geschätzten Antworten.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Voss
Sehr geehrter Herr Voss,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage zu der ebenso dringlichen wie unübersichtlichen Situation in der Ukraine. Bevor ich auf Ihre Fragen im Einzelnen eingehe, möchte ich daher grundsätzlich betonen, dass ich gerne versuche, Ihnen zu diesem Konflikt und meiner Positionierung etwas mehr Klarheit zu verschaffen. Ich schreibe allerdings sehr bewusst, „etwas mehr Klarheit“, denn schließlich gibt es zum derzeitigen hochkomplexen Geschehen in der Ukraine nicht die eine definitive Sofortlösung.
Allerdings bin ich in meiner völkerrechtlichen und außenpolitischen Einschätzung (bei aller notwendigen Differenzierung in juristischen Auslegungsfragen und der konkreten Lage vor Ort) in einem sicher: Die Krim-Annexion und die sich immer weiter verschärfenden, gewalttätig ausgetragene Folgekonflikte stellen eine eklatante Verletzung internationalen Rechts und zwischenstaatlicher Beziehungen dar, die nicht durch historische Vergleiche zu nivellieren oder gar zu rechtfertigen sind.
Gerade weil es (im Übrigen keineswegs nur im „Westen“) zu so scharfen Reaktionen gekommen ist, gilt es nun umso mehr, besonnen und abgewogen, aber auch prinzipienfest mithilfe diplomatischer Standards und internationaler Verfahren nach einer friedlichen, demokratischen Konfliktbeilegung zu suchen.
Zu Ihrer Frage nach dem Referendum auf der Krim:
Beim oft angeführten Selbstbestimmungsprinzip handelt es sich im Völkerrecht keineswegs um einen schlichten Automatismus, sondern um ein umstrittenes, sehr voraussetzungsreiches und auslegungsbedürftiges Konstrukt, das im Spannungsfeld zur territorialen Integrität souveräner, international anerkannter Staaten steht – dafür gibt es historisch gewachsene, teils durchaus einleuchtende Gründe. So kann sich aus gutem Grund nicht eine regionale Mehrheit mit einer beliebigen Abstimmung einfach für unabhängig erklären. Denn allzu oft finden solche Entscheide inmitten ungelöster ethnischer Konflikte statt und enden mit politischer Instabilität und der Unterdrückung der überstimmten Minderheiten – dies trifft leider auch immer stärker auf die angespannte Lage in der Ukraine und auf der Krim zu.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der Europarat und viele – nicht nur westliche – Staaten, wie auch die grüne Bundestagsfraktion verurteilen daher das Referendum und die Umstände seines Zustandekommens, weil es erstens im Widerspruch zum Völkerrecht und zur gültigen ukrainischen Verfassung steht. Die Ukraine hat 1994 mit dem Budapester Memorandum eine Garantieerklärung für ihre territoriale Integrität von Russland, Großbritannien und den USA erhalten. Der Bruch des Vertrages durch die russische Regierung ist nicht hinzunehmen.
Zweitens fand diese Abstimmung unter unfairen Bedingungen statt (u.a. Einschüchterung pro-ukrainischer Kräfte, eingeschränkte Pressefreiheit, keine unabhängige Wahlbeobachtung) – selbst wenn es in einem geordneten, fairen Verfahren zur gleichen Mehrheit gekommen wäre, zeigt sich hier schon, was nun der Region zukünftig droht: Eingeschränkte Bürgerrechte und anhaltende Spannungen im Verhältnis zu den bedrohten ukrainischen und tatarischen Minderheiten auf der Krim.
Drittens gefährdet das aggressive Vorgehen der russischen Regierung mit ihren Gewaltdrohungen und quasi-militärischen Mitteln die Stabilität und Vertrauensbildung der europäischen Nachkriegsordnung. Es weckt die Unterdrückungserfahrungen der mittel- und osteuropäischen Gesellschaften und verschärft zugleich die Lage der russischsprachigen Minderheiten in diesen Ländern. Auch dank europäischer Standards und Hilfen befanden sich diese Gruppen in den letzten Jahren schon auf dem hoffnungsvollen Weg zu einer besseren politischen und sozialen Integration und drohen nun wieder isoliert als moskauhörige Unruhestifter dazustehen.
Eine dauerhafte Befriedung der Region gelingt daher nur, wenn in einem international anerkannten Prozess alle gesellschaftlichen und ethnischen Gruppen in der gesamten Ukraine ihre sprachlichen, kulturellen, vor allem aber ihre allgemeinen Bürgerrechte in einer rechtsstaatlich-demokratisch und ökonomisch stabilisierten Gesellschaft wahren können.
Zu Ihrer Frage nach Sanktionen und dem Irakkrieg:
Für den zweiten Irakkrieg wurden die USA von verschiedenen Institutionen und Staaten durchaus scharf kritisiert. Auch die grüne Bundestagsfraktion und ich persönlich haben diesen Einsatz mit Blick auf die gravierenden Schäden für die irakische Gesellschaft, den mittleren Osten und die internationalen Beziehungen deutlich abgelehnt. Doch dieser Fehler kann doch nun nicht das aggressive und völkerrechtswidrige Verhalten der russischen Regierung und der paramilitärischen Kräfte in der Ukraine rechtfertigen – ganz im Gegenteil. Außerdem zeigt sich in den letzten Tagen, dass die offensichtlich von russischer Seite forcierten Unruhen in der Ost- und Südukraine zu immer mehr ethnischen Spannungen, Gewalt und Todesopfern führen und abgesehen von der völkerrechtlichen Bewertung allein schon aus humanitären Gründen jegliche Destabilisierungsversuche in dieser hochsensiblen Lage zu unterlassen sind.
Daher halten wir derzeit wirtschaftliche Sanktionen gegenüber Russland, auch wenn Sanktionen sicher immer nur ein Baustein sein können, aus heutiger Perspektive für notwendig und richtig. Darüber hinaus fordern wir einen umgehenden Stopp der Waffenexporte nach Russland. Zugleich sind wir nach wie vor der Überzeugung, dass in diesem Konflikt auf eine friedliche, diplomatische Lösung und auf Deeskalation gesetzt werden muss.
Zu Ihrer Frage nach der Legitimierung der ukrainischen Übergangsregierung:
In der Tat vollzog sich der Machtwechsel im Zuge der Maidan-Proteste nicht in einem durchgängig geordneten demokratisch-rechtsstaatlichen Verfahren, sondern in einem teils revolutionsähnlichem Prozess. Dies geschah allerdings aus einer dringlichen Notlage heraus. Schließlich drohte der zunächst ganz überwiegend friedliche Protest eines breiten Bündnisses verschiedenster – auch russischsprachiger – Gesellschaftsgruppen trotz internationaler Vermittlungsbemühungen aufgrund der verhärteten Haltung der Janukowitsch-Regierung in immer größere Gewalt umzuschlagen.
In dieser Notlage mögen die mit großer Mehrheit (die wiederum auch russischsprachige Gesellschaftsgruppen einschloss) getroffenen Parlamentsentscheidungen für die Übergangsregierung nicht allen Verfassungsansprüchen genügt haben – sie waren aber in der gegebenen Staatskrise ein Ausweg hin zu einer kurzfristigen Befriedung und mittelbaren Legitimierung durch ordentliche Wahlen. Just diese freien Wahlen versucht nun aber die russische Regierung mit der gezielten Instabilisierung der Ost-Ukraine offensichtlich zu unterlaufen.
Zu Ihrer Frage nach den Toten auf dem Maidan:
Die vielen Fälle erschossener Menschen auf dem Maidan sind erschreckend und müssen unabhängig und transparent aufgeklärt werden. Derzeit kursieren verschiedene Erklärungen und Gerüchte für die Motive der Heckenschützen und eine politische Instrumentalisierung liegt leider allzu nahe. Daher gilt es, gleich auf welcher Seite die Schützen standen, diese schweren Verdächtigungen mit mehr Abstand und bei beruhigter Lage objektiv und umfassend aufzuklären.
Uns ist auch durchaus bewusst, dass es innerhalb der ukrainischen Protestbewegung wie auch in der Übergangsregierung rechte und rechtsradikale, teils auch gewaltbereite Kräfte gibt. Diese kritisieren wir deutlich und fordern dies auch ausdrücklich von allen Akteuren der EU ein. So notwendig diese Kritik ist, darf sie dennoch nicht dazu führen, die demokratischen Kräfte, denen unsere Unterstützung gehört, pauschal zu diskreditieren. Wer dies tut, fällt auf die durchsichtige Propaganda des Kreml herein. Vertreterinnen und Vertreter der grünen Bundestagsfraktion waren in den letzten Wochen mehrfach auf dem Euromaidan, um sich von der Situation vor Ort ein eigenes Bild zu machen und mit ihrer Präsenz und in Gesprächen Vermittlungsbereitschaft und Besonnenheit zu fördern.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Konstantin von Notz