Klaus Sühl
DIE LINKE
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Frage von Karl Dr. H. •

Frage an Klaus Sühl von Karl Dr. H. bezüglich Verkehr

Was halten Sie davon, dass zahlreiche Verwaltungsbehörden und sogar viele
Gerichte sich über die für Strassenneubauten zwingend vorgeschriebenen Immissionsgrenzwerte nach der 16. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) hinwegsetzen?

Nach der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (E. vom 20.05.1998-11 C 3/97 = NVwZ 1999.67) ist bei Strassenneubauten oder wesentlichen Änderungen, die zu gesundheitsschädlichen Lärmwerten führen, eine Umplanung vorzunehmen.
Sind Sie dazu bereit, diese Forderung, gegen die ebenfalls häufig verstoßen wird,
zum Gegenstand einer zwingenden rechtlichen Regelung zu machen?

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Dr. Hofmann,

für Ihre an mich gerichtete Frage bedanke ich mich. Der von Ihnen geschilderte Sachverhalt, wonach sich zahlreiche Verwaltungsbehörden und auch Gerichte über die für den Straßenneubau vorgeschriebenen Immissionsgrenzwerte hinwegsetzen, berührt ein Grundprinzip unserer Verfassungsordnung: die Frage der Verbindlichkeit der von der Bundesregierung erlassenen Verkehrslärmschutzverordnung - 16. BImSchV und die zwingende Berücksichtigung der in § 2 der 16. BImschV konkret bestimmten Immissionsgrenzwerte für Verkehrsgeräusche.

Diese Frage beantwortet eigentlich der Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland seit dessen Inkrafttreten in aller Klarheit und Deutlichkeit, indem dort als ein grundlegendes Strukturprinzip staatlichen Handelns wörtlich bestimmt ist: "die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden."

Gerade weil Artikel 20 GG über seinen Regelungsgehalt hinaus hinsichtlich seiner Geltung mit der sog. Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) ausgestattet ist, dürfte sich die von ihnen aufgeworfene Fragestellung der Nichtbeachtung verbindlicher Rechtsvorschriften des Bundesrechts durch Verwaltungen und Gerichte gar nicht stellen, da diese mit der genannten Grundgesetzbestimmung mit der höchst möglichen Rechtsverbindlichkeit (Verfassungsrang) abschließend geregelt ist.

Daher sehe ich es als ein zumindest rechtswidriges (wenn nicht gar verfassungswidriges) Handeln an, wenn sich - wie von Ihnen geschildert - Verwaltungsbehörden und Gerichte über die in der Verkehrslärmschutzverordnung bestimmten Grenzwerte für Immissionen hinwegsetzen.

Neben der von Ihnen genannten Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht auch wiederholt für den Bereich des Straßenbaus über die Verbindlichkeit und strikte Berücksichtigung der in der Verkehrslärmverordnung - 16. BImSchV bestimmten Immissionsgrenzwerte für Verkehrslärm geurteilt, u.a. auch mit seinem Beschluss vom 30. November 2006 (Az.: 4 BN 14.06), den ich Ihnen auszugsweise wiedergeben möchte:

"Der Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche richtet sich nach den in § 2 der 16. BImSchV baugebietsbezogen festgelegten Immissionsgrenzwerten. Diese Grenzwerte beanspruchen auch für die Festsetzung von Straßen durch Bebauungsplan unmittelbar Geltung. Nach diesen Grenzwerten beurteilt sich nicht nur, bis zu welchem Lärmniveau Straßenverkehrslärm ohne Schutzmaßnahmen oder eine angemessene Entschädigung in Geld (§§ 41, 42 BImSchG) von der Nachbarschaft als zumutbar hinzunehmen ist. Auch eine Verkehrslärmbelästigung, die unterhalb dieser Erheblichkeitsschwelle bleibt, ist auf der Grundlage der konkreten Verhältnisse des Einzelfalls in der Abwägung zu berücksichtigen (vgl. hierzu Beschlüsse vom 14. November 2000 - BVerwG 4 BN 44.00 - Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 95 m.w.N. und vom 8. Juni 2004 - BVerwG 4 BN 19.04 - BauR 2005, 829).

Nach § 41 Abs. 2 BImSchG muss sich die Gemeinde insbesondere vor Augen führen, welche Dimension der Lärmkonflikt hat, den sie auslöst, wenn sie eine Straße plant. Ihr Interesse, von der Festsetzung aktiver Schutzvorkehrungen (Lärmschutzwall, Lärmschutzwand) abzusehen, soweit sie mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden sind, ist mit den Lärmschutzinteressen der betroffenen Grundstücksnachbarn abzuwägen. Kommen aktive Lärmschutzmaßnahmen aus technischen und/oder finanziellen Gründen nicht in Betracht, hat die Gemeinde zu prüfen, ob hinreichend gewichtige Verkehrsbelange ihre Verkehrsplanung gleichwohl rechtfertigen.

Bejaht sie das, muss sichergestellt sein, dass die Betroffenen durch Maßnahmen des passiven Lärmschutzes vor unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen bewahrt werden. Das gilt auch für bereits vorhandene Bebauung an der Straße (vgl. Beschluss vom 17. Mai 1995 - BVerwG 4 NB 30.94 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 82 = NJW 1995,2572,2573).

In diesem Fall haben die betroffenen Anlieger einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Durchführung der erforderlichen (passiven) Schutzmaßnahmen am Gebäude sowie gegebenenfalls einen Anspruch auf angemessenen Ausgleich für die Beeinträchtigung der Nutzung ihres Außenwohnbereichs (Beschluss vom 7. September 1988 - BVerwG 4 N 1.87 - BVerwGE 80, 184, 192 m.w.N.).

Das Schutzmodell des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und die Grenzwerte der 16. BImSchV stellen in aller Regel sicher, dass die mit der Festsetzung von Straßen durch Bebauungspläne verbundenen Lärmimmissionen auf ein Maß zurückgeführt werden, das die menschliche Gesundheit nicht gefährdet (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) oder einen Eingriff in die Substanz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht darstellt.

Können Gesundheitsgefahren und Eingriffe in das Eigentum auch durch passive Schutzvorkehrungen und Ausgleichsansprüche nicht vermieden werden und scheiden Planungsalternativen oder eine vollständige Umplanung nach der städtebaulichen Konzeption der Gemeinde und/oder angesichts der örtlichen Verhältnisse aus, muss die Gemeinde von der beabsichtigten Straßenplanung Abstand nehmen.

Die grundrechtlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG setzen der bauleitplanerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde äußerste (strikte) Grenzen, die im Wege der Abwägung nicht überwindbar sind. Ein Bebauungsplan, dessen Verwirklichung im Zeitpunkt seines Inkrafttretens dauerhafte Hindernisse rechtlicher oder tatsächlicher Art entgegenstehen, verletzt § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB und ist unwirksam. Eine Planung, die objektiv vor nicht überwindbaren Hindernissen steht, verfehlt ihren gestaltenden Auftrag (vgl. hierzu Urteile vom 21. März 1996 - BVerwG 4 C 9.95 - BVerwGE 101, 1, 10 ff. und vom 21. März 2002 - BVerwG 4 CN 14.00 - BVerwGE 116, 144, 146 ff. jeweils m.w.N.)."
(vergleiche Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30. November 2006, Az.: 4 BN 14.06).

Dieser mehr als deutlichen höchstrichterlichen Entscheidung zur zwingenden Beachtung und Verbindlichkeit der Immissionsgrenzwerte nach § 2 der 16. BImSchV und die daraus resultierenden Konsequenzen für die planende Verwaltung ist von meiner Seite nichts mehr hinzuzufügen. Die Beschlussbegründung lässt an Deutlichkeit keine Wünsche offen und spricht für sich.

Demzufolge besteht aus meiner Sicht nicht das von Ihnen kritisierte Gesetzgebungs- oder Regelungsdefizit hinsichtlich der Verbindlichkeit von Grenzwerten nach den jeweiligen Bundesimmissionsschutzverordnungen, sondern vielmehr ein akutes Vollzugsdefizit bei den Verwaltungen und handelnden Behörden.

Daher kann ich Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Hofmann, hiernach sowie nach o. g. Darlegungen schwerlich die Durchsetzung eine diesbezüglichen bundesrechtlichen Regelung versprechen.

Dass ich mich aber gemeinsam mit der Fraktion DIE LINKE für die zeitnahe Beseitigung derartiger Verwaltungs- und Vollzugsdefizite, die sich nachteilig und beeinträchtigend für die Umwelt, die örtlichen Lebensverhältnisse, die Lebensqualität und nicht zuletzt auch für die persönliche Gesundheit der betroffenen Bürgerinnen und Bürger auswirken, mit den zur Verfügung stehenden parlamentarischen Möglichkeiten einsetzen werden, kann ich Ihnen an dieser Stelle versichern.