Frage an Klaus-Peter Flosbach von Andreas G. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Flosbach,
Der Koalitionsvertrag zwischen der CDU, CSU und FDP wurde unter anderem ausgeführt:
„Wir werden insbesondere:
-die steuerliche Abzugsfähigkeit von Ausbildungskosten neu ordnen,
-dafür sorgen, dass sich BMF-Schreiben auf die Auslegung der Gesetze beschränken und die Praxis der Nichtanwendungserlasse zurückgeführt wird“
Keines dieser Vorhaben wurde bisher tatsächlich umgesetzt. Tatsächlich wurden sogar für die Finanzverwaltung unliebsame Entscheidungen teils durch rückwirkende Gesetzesänderungen ausgehebelt.
So hatte zum Beispiel der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 28.7. 2011, VI R 38/10 entschieden, das Kosten der Erstausbildung regelmäßig als Werbungskosten abzugsfähig sind. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften wurde diese höchstrichterliche Rechtsprechung auch schon wieder aufgehoben. Trotz gegenteiliger Äußerungen im Koalitionsvertrag wurde der alte Rechtsstand wieder festgeschrieben.
Ein weiterer „gesetzgeberischer Nichtanwendungserlass“ betrifft den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Krankheitskosten. Auch hier hatte der Bundesfinanzhof eine den Steuerpflichtigen begünstigende Entscheidung getroffen. Mit Steuervereinfachungsgesetz 2011 ist auch diese Rechtsprechung nicht mehr anwendbar.
Anhand der Aufzählung ist erkennbar, das hier regelmäßig Steuerzahlerfreundliche Urteil des höchsten Finanzgerichts Deutschland durch Änderung der Steuergesetze nicht angewendet werden sollen. So wird die Praxis der Nichtanwendungserlasse der Finanzverwaltung einfach durch das Gesetzgebungsverfahren ersetzt.
Wie stehen Sie als Mitglied des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zu dieser Praxis der „gesetzgeberischen Nichtanwendungserlasse“?
Wird hierdurch nicht die grundgesetzlich festgeschriebene Gewaltenteilung umgangen, wen die Exekutive (Finanzverwaltung) in die Arbeit des Gesetzgebers eingreift und praktisch die Gesetzesänderungen zumindest mit veranlasst?
Sehr geehrter Herr Giebel,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 23. Dezember 2011 zum Thema Nichtanwendungserlasse der Finanzverwaltung.
Wie Sie zutreffend darstellen, haben CDU/CSU und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart, die Praxis der Nichtanwendungserlasse zurückzuführen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich zunächst die Zahlen anzuschauen. Seit Beginn der laufenden Legislaturperiode, welche die Halbzeit deutlich überschritten hat, wurden 8 Nichtanwendungserlasse herausgegeben. Zuvor waren dies jeweils 17 (15. Legislaturperiode) bzw. 27 (16. Legislaturperiode). Im Ergebnis geht die schwarz-gelbe Koalition also sehr zurückhaltend mit diesem Instrument um.
Wir halten weiterhin an dieser restriktiven Handhabung fest. Dies schließt nicht aus, in besonders gelagerten Ausnahmefällen von dem Grundsatz abzuweichen. Es würde zu weit führen, in diesem Schreiben auf jeden der bisher ergangenen Nichtanwendungserlasse einzugehen. Da Sie das Thema Ausbildungskosten angesprochen haben, möchte ich diesen Punkt stellvertretend vertiefen.
Wie Sie wissen, hat der Deutsche Bundestag im Rahmen des am 27. Oktober 2011 verabschiedeten Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes auch eine Regelung zu den Ausbildungskosten mit aufgenommen. Danach wird die bisherige - vom Gesetzgeber gewollte - Rechtslage gesetzlich festgeschrieben, wonach die Kosten für die Erstausbildung bzw. das Erststudium der privaten Lebensführung zuzuordnen sind und nur als Sonderausgaben geltend gemacht werden können,. Ein Betriebsausgaben-/Werbungskostenabzug ist ausdrücklich ausgeschlossen. Zusätzlich wird der Sonderausgaben-Höchstbetrag von 4.000 € auf 6.000 € angehoben
Die Urteile des VI, Senats des Bundesfinanzhofs vom 28. Juli 2011, welche die bis dahin bestehende Gesetzeslage als nicht ausreichend für den Ausschluss des Werbungskostenabzugs angesehen hatten, waren für alle sehr überraschend gekommen. Dem Vernehmen nach soll die Entscheidung auch im BFH selbst sehr kontrovers aufgenommen worden sein.
Die Koalitionsfraktionen haben sich die Entscheidung, wie auf die Rechtsprechung zu reagieren ist, nicht leicht gemacht. In einem Fachgespräch des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages am 24. Oktober 2011 waren sieben Sachverständige geladen, deren Einschätzung wir uns zunächst anhörten. Unter den Sachverständigen war auch ein Richter des Bundesfinanzhofs. Keiner der sieben Sachverständigen vertrat die Auffassung, dass eine Einordnung der Ausbildungskosten als Werbungskosten rechtlich zwingend oder geboten sei.
Letztlich sprachen überzeugende Gründe für die im Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz getroffene Lösung:
Der konkrete Veranlassungszusammenhang zwischen Erstausbildung bzw. Erststudium und späterer Berufstätigkeit ist typischerweise nicht hinreichend konkret, so dass es aus der Sicht des Gesetzgebers konsequent ist, diesen Bereich nicht im Rahmen der Einkünfteermittlung zu regeln. Die Änderung vermeidet zudem erhöhten Verwaltungsaufwand, der ansonsten durch massenhaft durchzuführende Verlustfeststellungsverfahren für die Auszubildenden, die während der Ausbildung keine wesentlichen eigenen Einkünfte erzielen, entstehen würde.
Auch enthalten die Urteile des BFH keine Aussage zu den Wechselwirkungen mit den Instrumenten der Ausbildungsförderung (z. B. BAföG, Berufsausbildungsbeihilfe für Auszubildende, Stipendien etc.) und den steuerlichen Begünstigungen bei den Eltern (z. B. Ausbildungsfreibetrag, das Kindergeld oder der Kinderfreibetrag bei volljährigen Kindern in Berufsausbildung). Hier besteht die Gefahr der Doppelberücksichtigung von Kosten.
Schließlich würden bei einer uneingeschränkten Umsetzung der BFH-Urteile Studierende, die ihr Studium durch Ferienjobs oder andere Nebentätigkeiten selbst finanzieren müssen, regelmäßig nicht profitieren, weil die Ausbildungskosten jährlich mit den Einnahmen aus den Nebentätigkeiten verrechnet werden, ohne dass sich ein besonderer steuerlicher Vorteil ergibt.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen behilflich gewesen zu sein.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Peter Flosbach MdB