Frage an Klaus-Peter Flosbach von Helmut G. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Flosbach,
Sie sind bekannt als Verfechter der Zwangsmitgliedschaft in der IHK. Die Wahlbeteiligung bei der letzten Kammerwahl 2009 in Koeln lag unter 10 Prozent (verschickte Wahlunterlagen im Verhaeltnis zu den abgegebenen Stimmzetteln). Aus dieser desastroesen Wahlbeteiligung kann weder eine "demokratische Legitimation" hergeleitet werden, noch kann die Vollversammlung den Anspruch erheben, das "Gesamtinteresse der Wirtschaft" vertreten zu koennen! Wenn jedoch schon jemand als Kandidat auf dem Stimmzettel gestanden hat und nicht von den Zwangsmitgliedern gewaehlt wurde, dann sollte in einer Demokratie diese Entscheidung des Waehlers auch akzeptiert werden. Wie beurteilen Sie als Bundestagsabgeortneter die Tatsache, dass ein nichtgewaehlter Kandidat einfach "kooptiert" wird und dann noch zum "Vizepraesidenten" ernannt wird?- Entspricht es demokratischen Spielregeln, dass mehr als 10 Prozent der Mitglieder der Vollversammlung noch dazu "kooptiert" werden koennen?
Mit freundlichem Gruss aus Marienheide
Helmut Gebske
Sehr geehrter Herr Gebske,
haben Sie vielen Dank für Ihre Mail zum Thema Pflichtmitgliedschaft in der IHK und zu Ihrer Frage einer Notwendigkeit der Anpassung der gesetzlichen Vorschriften.
Zuvor möchte ich noch auf einen anderen Punkt eingehen: Sie fragen, wie ich die Tatsache beurteile, dass ein nichtgewählter Kandidat kooptiert und dann noch zum Vizepräsident ernannt wird. Diesen Fall kann ich nicht beurteilen, denn mir liegt die aktuelle Satzung der IHK nicht vor. Wenden Sie sich bitte in diesem konkreten Fall direkt an Ihre IHK zwecks Erörterung.
Lassen Sie mich nun ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur IHK-Pflichtmitgliedschaft machen: Den Kammern gehören in Deutschland kraft Gesetz seit langem alle natürlichen und juristischen Personen an, die im Kammerbezirk eine gewerbliche Niederlassung, eine Betriebsstätte oder Verkaufsstelle unterhalten, sofern sie zur Gewerbesteuer veranlagt werden. Es handelt sich um eine Pflichtmitgliedschaft. Sie ist vom Bundesverfassungsgericht für verfassungskonform erklärt worden (Akz 1 BvR 1806/98, Link:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20011207_1bvr180698.html ).
Nach Ansicht des Gerichts ist die Pflichtmitgliedschaft hinnehmbar, weil sie für die Kammerzugehörigen eine Chance zur Beteiligung und Mitwirkung an staatlichen Entscheidungsprozessen eröffnet. Die Pflichtmitgliedschaft hat überdies nach den Ausführungen des Gerichts eine freiheitssichernde und legitimatorische Funktion, weil sie auch dort, wo das Allgemeininteresse einen gesetzlichen Zwang verlangt, die unmittelbare Staatsverwaltung vermeidet und stattdessen auf die Mitwirkung der Betroffenen setzt.
Auch kleine und mittelständische Betriebe profitieren von einer Mitgliedschaft bei den Industrie- und Handelskammern. Die Kammern bieten ihnen zahlreiche Dienstleistungen, wie beispielsweise Starthilfen und Existenzgründungsberatung, Beratung in bzw. zu Finanzierungs- und Steuerfragen, Suche nach Gesprächspartnern im In- und Ausland, Hilfe und Unterstützung bei Verkehrsproblemen und bei Kontakten mit der öffentlichen Verwaltung. Ebenso kommt die hoheitliche wirtschaftsverwaltende Tätigkeit der Kammern den kleinen und mittelständischen Betrieben zugute (u. a. Sachkundeprüfungen, Aus- und Fortbildung, Berufsbildungszentren, Vermittlungsstellen).
Aus der Pflichtmitgliedschaft folgt nach unserer Rechtsordnung die Beitragspflicht der Kammerzugehörigen. Der Beitrag ist eine Gegenleistung für den Vorteil des Mitgliedes aus der Kammertätigkeit. Dieser Vorteil besteht vor allem darin, dass die Kammer ihre gesetzlichen Aufgaben erfüllt, insbesondere das Gesamtinteresse der ihr zugehörigen Gewerbetreibenden wahrnimmt und für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft eintritt. Der Vorteil dieser Interessenvertretung kommt allen Mitgliedern zugute. Es ist dabei nicht erforderlich, dass der Beitrag einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil bewirkt, der sich bei den einzelnen Kammerzugehörigen messbar niederschlägt.
Die Bundesregierung hält an der IHK-Pflichtmitgliedschaft fest. Dies hat sie in dem Bericht für den Deutschen Bundestag (Bundestagsdrucksache 14/9175) festgestellt. In der Koalitionsvereinbarung der derzeitigen Bundesregierung ist eine Aufhebung der IHK-Pflichtmitgliedschaft nicht vorgesehen.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Peter Flosbach MdB