Frage an Klaus Hagemann von Sebastian L. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Hagemann,
wie viele andere Bürger auch mache ich mir derzeit sehr große Sorgen wie es beim Thema Euro Rettung bzw. Schuldenkrise weitergeht.
Dazu habe ich gleich mehrere Fragen. Zuerst zu Griechenland von dort hört man leider nur Negatives:
-Defizitquote in 2011 weit höher als geplant (wohl 8,8 % statt 7,3)
-die Wirtschaft schrumpft mit 5% wesentlich stärker als prognostiziert (im Juli waren noch 3,5% prognostiziert
-bisher wurden durch den griechischen Staat nur 400 Millionen Euro durch Privatisierungen erlöst (geplant 50 Mrd. bis 2015)
-Die Staatseinnahmen sanken im ersten Halbjahr, obwohl mit steigenden Einnahmen gerechnet wurde,
Für mich der unfassbarste Punkt ist das trotz der Sparpakete, Reformen usw. der griechische Staat in den ersten 7 Monaten Mehrausgaben in Höhe von 2,7 Mrd. Euro getätigt hat, die nicht geplant waren!
Nun zu meinen Fragen:
Dieser Tage wurde im Rahmen der Haushaltsdebatte u.a. vom Finanzminister Schäuble klipp und klar gesagt, dass eine Auszahlung der nächsten Hilfstrance an Griechenland, die wohl im Oktober fällig ist, nur bei Erfüllung der gesetzten Sparziele erfolgen kann.
Wie glaubhaft ist dies, so ist doch jetzt schon fast ausgeschlossen das Griechenland auch nur eines der relevanten Ziele erreichen wird?!
Im Fall Griechenland gibt es dahin gehend einen Automatismus, was die Auszahlung der einzelnen Hilfstrancen angeht, oder muss der Bundestag oder der Haushaltsausschuss der Auszahlung jeder einzelnen Trance zustimmen?
Abschließend würde mich noch interessieren, wie ihr Votum über die für Ende September geplante EFSF-Erweiterung ausfallen wird.
Vielen Dank!
Mit freundlichen Güßen
Sebastian Loos
Sehr geehrter Herr Loos,
herzlichen Dank für Ihre Fragen, die ich gerne beantworte:
Zunächst zu dem rechtlichen Teil der Fragen: Nach der bisherigen Gesetzeslage („Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im europäischen /Stabilisierungsmechanismus/“/ „/StabMech//-//Gesetz“ §1. Abs. 4,/ http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/stabmechg/gesamt.pdf hatte sich die Bundesregierung vor der Übernahme von Bürgschaften lediglich um ein „Einvernehmen“ mit dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zu „bemühen“. Mit dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Griechenlandhilfe vom 7. September 2011 wurden die Rechte des Parlaments deutlich gestärkt http://www.stern.de/politik/deutschland/verfassungsgericht-zu-griechenlandhilfen-karlsruhe-billigt-euro-rettungsschirm-1724955.html . Aktuell gibt es dazu einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, zu der vorgestern eine Öffentliche Anhörung des Deutschen Bundestages http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/35627046_kw39_pa_haushalt/index.html stattgefunden hat.
Bundesfinanzminister Dr. Schäuble hat zudem den Mechanismus der Bürgschaftsübernahme korrekt dargelegt. Vor der Freigabe einer Tranche des aktuellen Griechenland-Hilfsprogrammes erstattet eine Troika von Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und Europäischer Kommission jeweils einen Bericht, inwieweit die Auflagen und die Zusagen der griechischen Seite erfüllt wurden.
Nun zum momentanen „Euro-Rettungsschirm“ (*„**European Financial Stability Facility“/ EFSF ), dessen Ausweitung - sowohl was den Bürgschaftsrahmen als auch die zur Verfügung stehenden Instrumente anbelangt - von den Staats- und Regierungschefs bereits beschlossen wurde. In der bereits erwähnten Anhörung wurde von allen Experten betont, dass diese Maßnahmen - trotz Vorbehalten im Einzelnen - erforderlich sind. Die Option, nicht zu handeln, käme noch teurer.*** * *Ohne die vorgeschlagenen Änderungen beim EFSF wäre dieser Rettungsfonds nicht mehr handlungsfähig. Die Europäische Zentralbank (EZB) wäre damit weiter gezwungen, Staatsanleihen von Euro-Staaten zu kaufen, ohne dass an deren Erwerb irgendwelche Auflagen oder Bedingungen in Richtung der Euro-Staaten geknüpft ist. Zwischenzeitlich hat die EZB bereits Staatsanleihen, für die Deutschland über die Deutsche Bundesbank mit ca. 27% mithaftet, in einer Größenordnung von 143 Milliarden Euro in ihren Büchern.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich 2010 bei der Abstimmung zum Griechenland-Hilfsprogramm im Bundestag enthalten, weil wir rein finanzielle Hilfen für nicht ausreichend hielten. Wir haben damals schon eine Gläubigerbeteiligung, ein gezieltes Wachstumsprogramm für Griechenland, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und eine bessere Regulierung der Finanzmärkte gefordert. 16 Monate später zeigt sich, dass die Bundesregierung, die mit dem Hilfspaket „gekaufte“ Zeit leider nicht genutzt hat. Einer der Wirtschaftsexperten brachte das bisherige Krisenmanagement der Bundesregierung in der Anhörung auf den knappen Nenner: „Zu wenig und zu spät“. Seit vergangener Woche muss man wohl leider angesichts der Kakophonie zwischen Kanzlerin, Vizekanzler und Finanzminister noch ergänzen: Sich widersprechend und zerstritten.
Mit freundlichem Gruß aus Berlin
Klaus Hagemann MdB
PS: Um den Abgeordneten einen unmittelbaren Eindruck von der aktuellen Situation in Griechenland zu verschaffen, habe ich den Leiter der EU-Task Force Griechenland, Horst Reichenbach, am Freitag, den 23. September, in den EU-Unterausschuss eingeladen.