Frage an Klaus Brähmig von Angelika H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Brähmig,
nach der Kommunalwahl im Juni geriet wieder einmal die Sächsische Schweiz in die Schlagzeilen auf Grund der vielen NPD-Kreuzchen. Trotz Aufklärung und Wissen über die Hintergründe der NPD wollen ja diese Bürger einen neuen Führerstaat/NPD-Staat, denn die NPD würde ja höchstwahrscheinlich die anderen Parteien "wegputzen". Ich habe persönlich in Dresden Apfel, Voigt und Pastör reden hören - anlässlich der Gedenkfeiern zur Bombardierung im Februar. Hass gegenüber der BRD und Verherrlichung der Waffen-SS und Wehrmacht und der guten alten Zeit wird von diesen Leuten herübergebracht. Das macht mir und anderen Angst - und ich frage mich, ob die Bürger welche NPD wählen sich schon einmal so eine Rede angehört haben (möglich auch bei youtube im Internet).
In Ihrem Wahlkreis gab es die rechtsextreme SSS. Einige dieser Leute wurden jetzt als Volksvertreter gewählt bzw. sind Berater der NPD im Landtag geworden. Es ist ungeheuerlich. Was ist falsch gelaufen? Setzt der Staat zu wenig Grenzen?
Sehr geehrte Frau Hörner,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 13. August 2008. Ihre Frage, ob der Staat bei rechtsextremistischen Parteien engere Grenzen setzen muss, interpretiere ich mal als Anfrage, ob ich ein NPD-Verbot befürworte. Zu dieser Frage nehme ich wie folgt Stellung:
Meines Erachtens ist die NPD strikt antidemokratisch und bekämpft das demokratische System und seine Grundwerte systematisch. Ihr Programm ist rassistisch, völkisch und antisemitisch. Viele Mitglieder kooperieren eng mit rechtsextremen Strukturen, die sich offen zur Anwendung von politisch motivierter Gewalt bekennen. Trotzdem stellt sich für mich die Frage, ob ein Parteiverbot geboten ist, denn das Bundesverfassungsgericht hat hohe Hürden an ein Parteiverbotsverfahren geknüpft und meines Erachtens sind noch nicht alle anderen Wege der demokratischen Auseinandersetzung beschritten worden.
Das häufig gerade von SPD-Innenpolitikern geforderte NPD-Verbot ist meines Erachtens nur eine Willenserklärung, der dann aber keine inhaltliche Unterfütterung folgt. Bereits im Mai dieses Jahres hat der Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble darauf hingewiesen, dass zunächst die Verfassungsfeindlichkeit eindeutig belegt werden muss, und zwar – wie es das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum ersten NPD-Verbotsverfahren gesagt hat Mitteln, die nicht durch eingeschleuste V-Leute beeinflusst sind. Bei der Nachfrage in den Ländern, ob genügend verwertbares Material vorhanden ist, die auf das Drängen von SPD- Innenpolitikern auf der Bundesebene zurückzuführen war, erhielt der Bundesinnenminister die Antwort, dass man dies nicht mit Sicherheit sagen kann. Insofern ist diese Forderung zwar politisch populär, aber wenn es um den Nachweis geht, herrscht leider großes Schweigen. Diese Situation hat sich nach meiner Erkenntnis bis heute nicht geändert.
Weiterhin gebe ich Ihnen zu bedenken, dass ein Parteiverbot ein zunächst undemokratisches Mittel ist, welches erst anzuwenden ist, wenn die Demokratie tatsächlich in Gefahr ist und wesentliche sonstige Mittel der Auseinandersetzung ausgeschöpft sind. Weder im Freistaat Sachsen noch in Mecklenburg Vorpommern beeinträchtigen die NPD-Fraktionen das Funktionieren der parlamentarischen Demokratie.
Arbeitslosigkeit, eine zunehmende Überalterung durch Abwanderung und rückläufige Geburtenraten, eine immer noch zu geringe wirtschaftliche Dynamik und eine unzureichende Ausbildungsplatzsituation kennzeichnen die derzeitige soziale und wirtschaftliche Erlebniswelt vieler Mitbürger in meiner Heimatregion. Die mit diesen Problemen verbundenen Ängste sorgen häufig für ein Gefühl der Perspektivlosigkeit in unterschiedlichen Personengruppen und sensibilisieren diese für populistische und daher auf den ersten Blick einfache Problemlösungen.
Die Wahlergebnisse der NPD in der Sächsischen Schweiz und in anderen Ländern und Regionen Deutschlands sind kein automatisches Anzeichen für ein Anschwellen von rechtsextremistischem Gedankengut. Vielmehr muss das Wahlergebnis in vielen Fällen als Protest- und Warnsignal von Menschen gewertet werden, die sich mit ihren Problemen und Ängsten allein gelassen fühlen. Dennoch steht für mich fest, dass auf den Fundamenten Hass, Neid, Intoleranz, Ideologie und Vorurteil kein erfolgreiches Gemeinwesen aufgebaut werden kann.
Aus diesem Grund sind alle gesellschaftlichen Institutionen – zuvorderst allerdings die
etablierten Parteien – aufgefordert, sich intensiv und ernsthaft mit den Sorgen und Ängsten der Menschen auseinanderzusetzen, um weiterhin beherzt an der Lösung bzw. Abmilderung der schwerwiegendsten Probleme und Notlagen in unserer Region zu arbeiten.
Bereits 2004 haben sich auf meine Initiative hin verschiedene gesellschaftliche Institutionen aus der Sächsischen Schweiz in einer „Erklärung zu Weltoffenheit und Toleranz“, verpflichtet, dem Aufkommen von extremistischen Bestrebungen in der Sächsischen Schweiz mit allen rechtsstaatlichen Mitteln entschieden entgegenzutreten. Seit dieser Zeit werden die Unterstützer durch einen regelmäßigen Informationsaustausch für extremistische Bestrebungen in unserer Region sensibilisiert.
Aus den o. g. Gründen hat ein erneuter NPD-Verbotsantrag weder inhaltlich Erfolgsaussichten noch ist er ein probates Mittel diesem Problem zu begegnen. Selbst die bekannten Aussteigerprogramme, zusätzliche Fördermittel zur Bekämpfung dieses Gedankengutes und zur Stärkung der demokratischen Bürgergesellschaft haben dieses Problem nicht eindämmen können. Ein Parteiverbot würde vielleicht die Strukturen zeitweise destabilisieren, aber damit wäre das Gedankengut nicht aus der Welt. Die demokratischen Parteien und alle anderen gesellschaftlichen Institutionen sind gefordert, Antworten auf die Ängste und Nöte der Menschen zu geben. Der Erfolg der sozialen Marktwirtschaft und eine offene und freiheitliche Demokratie geben die beste Antwort auf Parteien, die meinen, Politik mit Hass und Intoleranz gestalten zu müssen.
In der Hoffnung, dass ich Ihnen meinen Standpunkt verdeutlichen konnte verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Klaus Brähmig