Frage an Klaus Brähmig von Andreas N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Brähmig
mit der Einführung der Vorratsdatenspeicherung brechen rabenschwarze Zeiten für Demokratie dieses Land an. Der Weg in den Polizei- und Überwachungsstaat ist damit besiegelt. Das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Klienten, die ärztliche Schweigepflicht sowie der Informantenschutz von Journalisten wurden gründlichst ausgehöhlt.
Die meissten Bürger haben längst durchschaut, worauf all diese Maßnahmen abzielen; auf die Umkehr der Beweislast.
Wer, dank staatlicher Sammelwut, durch zufällig zusammenpassende Fakten in Verdacht gerät, dem bleibt gar nichts anderes übrig, als diesen auszuräumen und seine Unschuld zu beweisen. Das läuft meinem rechststaatlichem Verständnis zuwider.
Da auch Sie dem Antrag zugestimmt haben, sind Sie und Ihre CDU für mich zukünftig ebensowenig wählbar, wie es der derzeitige Koalitionspartner SPD ist. Ich werde daher 2009 Volksvertreter wählen, die die Freiheits-und Bürgerrechte (insbesondere Telekommunikationsgesetz) achten und nicht nach lückenloser Überwachung der Privatsphäre des Volkes streben.
Nun bleibt noch folgende Frage: Haben wir bis 2009 noch eine weitere Demontage unserer Freiheitsrechte zu befürchten? Ist zu erwarten, daß diese große Koalition (oder sollte ich sie besser Einheitspartei nennen?) noch mehr Schaden an unseren Bürgerrechten anrichtet? Was ist bis zum Ende der Legislaturperiode 2009 noch geplant, um den Überwachungsstaat zu perfektionieren? Ausweitung der Viedeoüberwachung? Die Online-Überwachung a´la Schäuble? Oder wird die Bundeswehr zukünftig auch im Innern eingesetzt werden?
Wird es notwendig sein, daß das Volk wieder auf die Straße geht, um diese Regierung, die nicht in seinem Sinne handelt, vorzeitig von ihren Pflichten zu entbinden?
Sehr geehrter Herr Neuber,
für Ihre Anfrage vom 10. November 2007, in der Sie die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in nationales Recht kritisieren, danke ich Ihnen. Ich bemerke hierzu Folgendes:
Die Rechtspolitik bewegt sich im Bereich der Telekommunikationsüberwachung in einem Spannungsfeld. Dem Grundrechtsschutz der Bürger steht die ebenfalls verfassungsrechtlich gebotene Pflicht des Staates zu einer effektiven Strafverfolgung gegenüber. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag des staatlichen Gemeinwesens hervorgehoben (BVerfGE 107, 299, 316 m. w. N.), weil ein solches Gemeinwesen anders gar nicht funktionieren kann. Grundrechtsschutz der Bürger und Strafverfolgungsinteresse des Staates müssen deshalb in einen vernünftigen Ausgleich gebracht werden. Ermittlungsinstrumente sollten deshalb aus rechtspolitischer Sicht – zumindest aus derjenigen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - nicht weiter beschränkt werden, als dies verfassungsrechtlich geboten ist.
Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ist ein solches Ermittlungsinstrument, das für die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten unabdingbar ist. In der Diskussion hierüber wird vielfach übersehen, dass bereits nach der gegenwärtigen Rechtslage Telekommunikationsunternehmen Verbindungsdaten (Verkehrsdaten) zu Abrechnungszwecken speichern dürfen. Gesprächsinhalte dürfen insoweit nicht gespeichert werden. Über diese Daten haben die Telekommunikationsunternehmen nach den Vorschriften der Strafprozessordnung den Strafverfolgungsbehörden Auskunft zu erteilen, wenn es um die Verfolgung schwerer Straftaten oder von Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen wurden, geht (§§ 100g u. h StPO). Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft ist an strenge rechtsstaatliche Voraussetzungen (u. a. konkreter, durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht; keine anderweitige Möglichkeit der Aufklärung; Richtervorbehalt) geknüpft. Dieses Instrument der Verbindungsdatenabfrage hat sich in der Vergangenheit als unverzichtbar bei der Bekämpfung und Aufdeckung schwerer Kriminalität erwiesen. Mit der stetigen Zunahme sogenannter „Flatratetarife“, bei denen eine Speicherung von Verbindungsdaten zu Abrechnungszwecken durch die Telekommunikationsunternehmen nicht mehr erforderlich ist, drohte es mehr und mehr seine Wirksamkeit zu verlieren. Die Möglichkeit, alleine durch Nutzung solcher Flatratetarife, Strafverfolgungsmaßnahmen zu erschweren oder zu vereiteln, dürfte insbesondere der organisierten Kriminalität nicht verborgen geblieben sein. Bereits deshalb war es erforderlich, eine entsprechende Speicherungsverpflichtung der Telekommunikationsunternehmen, unabhängig davon, ob diese Daten zu Abrechnungszwecken benötigt werden, gesetzlich festzulegen. Die bisherigen Schutzvorkehrungen sind dabei uneingeschränkt beibehalten worden.
Nicht zuletzt diese Erwägungen haben die Bundesregierung bewogen, der Richtlinie Nr. 2006/24/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, zuzustimmen. Die Bundesregierung hat dies mit Unterstützung des Deutschen Bundestages getan. In dem Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD vom 7. Februar 2006 (BT- Drs. 16/545), der mit der Mehrheit der Stimmen des Deutschen Bundestages angenommen wurde, wurde die Bundesregierung aufgefordert, dem Text der Richtlinie bei der abschließenden Befassung des Rates der Europäischen Union zuzustimmen (Nr. II. 1 der Beschlussempfehlung). Auch der Deutsche Bundestag hat in diesem Beschluss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Zugriff auf Telekommunikationsverkehrsdaten insbesondere bei Straftaten mit komplexen Täterstrukturen, wie sie für den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität kennzeichnend sind, und bei mittels Telekommunikation begangenen Straftaten unverzichtbar ist (Nr. I. 5 und 6 der Beschlussempfehlung).
Dem Deutschen Bundestag war dabei bewusst, dass das hierfür gewählte Instrument der Richtlinie möglicherweise nicht ganz frei von kompetenzrechtlichen Risiken ist (I. 13 der Beschlussempfehlung). Er hat sich dennoch dafür ausgesprochen, weil es sich insoweit um einen Kompromiss der EU-Mitgliedstaaten gehandelt hat (das Instrument des Rahmenbeschlusses war innerhalb der EU-Mitgliedstaaten nicht mehrheitsfähig) und es jedenfalls gelungen ist, in der Richtlinie Regelungen mit Augenmaß (z. B. keine Speicherung von Gesprächsinhalten, Beschränkung der Speicherungsfrist auf 6 Monate, Datenabfrage nur bei Verdacht erheblicher oder mittels Telekommunikation begangener Straftaten) zu erreichen.
Die Richtlinie wird mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie Nr. 2006/24/EG (BT-Drs. 16/5846; 16/6979), das am 9. November im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde, in nationales Recht umgesetzt. Mit dem Gesetz werden die oben genannten Vorgaben, mit denen sowohl dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung als auch dem Schutz der Grundrechte in ausgewogener Weise Rechnung getragen wird, eingehalten: Von den Telekommunikationsunternehmen dürfen nur die Verkehrsdaten gespeichert werden. Die Speicherungsfrist ist auf sechs Monate begrenzt. Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft über diese Daten ist nach wie vor an strenge rechtsstaatliche Voraussetzungen (u. a. konkreter, durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung oder einer Straftat, die mittels Telekommunikation begangen wurde; keine anderweitige Möglichkeit der Aufklärung; Richtervorbehalt) geknüpft. Eine anderweitige Verwendung dieser Daten ist nur zu Zwecken der Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit möglich, wenn dies gesetzlich unter Beachtung der Verwendungsbeschränkungen im Telekommunikationsgesetz festgelegt ist. Eine Verwendung beispielsweise zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche ist nicht zulässig.
Aus den o.g.Gründen habe ich dem Gesetz zugestimmt. Auch ich sehe das zunehmende Speichern personenbezogener Daten als Problem. Die Sachabwägung zwischen Innerer Sicherheit und den individuellen Freiheitsrechten jedes Bürgers ist immer ein Drahtseilakt. Dennoch halte ich Ihre Angst vor diesem Gesetz für übertrieben, denn Sie suggerieren, dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden jetzt willkürlich diese Daten nutzen können bzw. nutzen werden. Dies entspricht aber nicht der Wahrheit. Ein Missbrauch dieses Gesetzes durch die Strafverfolgungsbehörden ist nur dann möglich, wenn man davon ausgeht, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und die deutschen Richter gleichgeschaltet sind. Dies ist aber nicht der Fall. Unsere Strafverfolgungsbehörden halten sich an die Verfassung und ich vertraue den deutschen Untersuchungsrichtern in ihrer Unabhängigkeit.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Brähmig MdB