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Frage von Andreas N. •

Frage an Klaus Brähmig von Andreas N. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrer Herr Brämig

Derzeit streitet die große Koalition noch über die Einführung von Mindestlöhnen in der Postbranche, laut offizieller Version um zu erwartende Dumpinglöhne von Marktneulingen nach dem Ende des Postmonopoles zu verhindern. Inoffiziell dürfte jedoch eher die weiterhin üppige Versorgung der Postbediensteten Vater des Gedanken sein.

Nun zu meiner Frage; Die ablehnende Haltung Ihrer Partei zur flächendeckenden, branchenübergreifenden Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes ist ja kein Geheimnis. Welche persönliche Meinung haben Sie zu diesem Thema ? Wie stehen Sie zu Unternehmern, die ihren Angestellten Löhne zahlen, die weit unter dem existenzsichernden Niveau liegen ? Und können Sie das finanzielle Desaster derer nachvollziehen, die für ein Monatseinkommen, welches etwa dem Hartz 4-Regelsatz plus Mietzuschuss entspricht, täglich 8-10 Stunden arbeiten gehen ?

Und letztendlich, wie sehen Sie die Chanchen, dass zumindest die am Schlimmsten von Lohndumping betroffenen Berufsgruppen (Sicherheitsdienste, Frisöre, Hotellerie usw.) Aussicht auf staatliches Eingreifen haben? Wird es diesbezüglich eine Einigung der SPD mit der CDU/CSU geben, die mehr beinhaltet als Willensbekundungen und Versprechungen?

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Antwort von
parteilos

Sehr geehrter Herr Neuber,

vielen Dank für Ihre E-Mail zum Thema "Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes". Erlauben Sie mir bitte ein paar ganz grundsätzliche Ausführungen zu den von Ihnen aufgeworfenen Fragen. Von den mehr als 26,4 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland arbeiten ca. 500.000 Männer und Frauen im sog. Niedriglohnbereich. Sie arbeiten in Vollzeit und können trotzdem ihren Lebensunterhalt nicht allein bestreiten. Wie könnte eine Hilfe für diesen Personenkreis aussehen?

Als ein möglicher Weg wird hier ein gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn vorgeschlagen. In vielen Ländern Europas gibt es schon solche gesetzlichen Mindestlöhne. Warum also nicht auch bei uns? Die Antwort ist einfach: in diesen Ländern herrschen andere soziale und wirtschaftliche Grundbedingungen. Nehmen wir zum Beispiel das viel zitierte Großbritannien. Dort ist ein Mindestlohn von 7,36 Euro festgelegt. Es wird behauptet, dass die Beschäftigung dort zugenommen hat -- selbst in den Branchen, in denen der Mindestlohn greift. Das mag stimmen. Aber die Bedingungen dort sind mit unseren in Deutschland nicht vergleichbar. Denn erstens gibt es in Großbritannien nur einen minimalen gesetzlichen Kündigungsschutz. Den will in Deutschland wohl niemand. Zweitens arbeiten die britischen Arbeitnehmer im Durchschnitt einen Monat länger im Jahr als die Deutschen. Auch das wird in Deutschland wohl keiner wollen. Und drittens gibt es dort anders als bei uns nur eine verschwindend geringe soziale Absicherung. Auch dies will niemand in Deutschland. Oder werfen wir einen Blick auf das angebliche Vorbildland Frankreich. Dort gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,27 Euro. Dort herrscht aber auch eine Jugendarbeitslosigkeit, die um 50% höher liegt als in Deutschland? Diese Jugendlichen haben keinerlei Chance, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wollen wir das wirklich auch für Deutschland?

Diese Beispiele zeigen: man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Betrachten wir also die soziale Marktwirtschaft, in der wir leben. Dazu passt eines sicherlich nicht: Lohnwucher. Er ist schlichtweg unanständig, sittenwidrig, strafbar. Es gibt ihn. Nur jemand, der schon heute ein Gesetz bricht, wird sich keinem gesetzlichen Mindestlohn beugen. Dies zeigen die Erfahrungen aus der Baubranche: wer das Arbeitnehmerentsendegesetz unterlaufen will, tut dies. Durch falsche Angaben zur Arbeitszeit, Scheinselbständigkeit und Schwarzarbeit kann man die gesetzlichen Regelungen umgehen. Den Behörden gelingt es nur teilweise, diese schwarzen Schafe zu finden. Und wir haben häufig das Problem: wo kein Kläger, da kein Richter. Der Gesetzgeber sollte hier prüfen, ob eine Definition der Sittenwidrigkeit die betroffenen Arbeitnehmer nicht aus diesem Dilemma befreien kann.

Lohnwucher ist aber mit Niedriglöhnen nicht zu verwechseln. Jeder von uns kennt die Beispiele. Eines der bekanntesten: eine Friseurin in Thüringen verdient im 1. Gesellenjahr 3,82 Euro die Stunde. Das ist der von der Gewerkschaft abgesegnete Tariflohn. Kann diese Frau damit eine Familie ernähren? Sicher nicht. Würde ihr der gesetzliche Mindestlohn helfen? Sicher nicht. Die Befürworter zeichnen folgendes Idyll: Der Saloninhaber wird verpflichtet, 7,50 Euro zu zahlen, er erhöht die Preise, der Verbraucher zahlt diesen mit Freude. Das ist nicht die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit sieht folgendermaßen aus: Die Kunden können oder wollen nicht mehr zahlen. Deshalb müssen die Betriebe sparsam sein, deshalb reicht für diese Arbeitnehmer der Lohn kaum zum Leben, deshalb müssen sie selbst wieder auf jeden Cent achten, wenn sie als Kunden auftreten und so weiter. Dazu gehört die Erkenntnis: Löhne sind Preise für Arbeit. Löhne orientieren sich an der Produktivität, nicht an der Sicherung des Lebensunterhalts. Letztere ist Aufgabe des Sozialsystems.

Diese Erkenntnis mag kalt, theoretisch, wissenschaftlich klingen. Aber sie bleibt wahr. Nachfrage und Angebot bestimmen den Preis. Wer seinen Lohn nicht erwirtschaftet, wird arbeitslos. Wer also gesetzliche Mindestlöhne fordert, nimmt in Kauf, die Arbeitslosigkeit zu zementieren. Und das ist das zentrale Problem unserer Gesellschaft: die immer noch zu hohe Arbeitslosigkeit. Ihre Bekämpfung muss unser oberstes Ziel sein. Die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen wäre dabei eine Hürde. Es ist deshalb klug, die Lohnfrage dort zu lassen, wo sie hingehört: in den Tarifverhandlungen. Ich persönlich glaube, dass die Tarifvertragsparteien den Markt am besten kennen. Die Tarifautonomie hat sich bewährt. Nur dort, wo Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam feststellen, dass sie wegen des Marktes über einen Niedriglohn nicht hinauskommen, ist der Staat gefordert. Hier muss er, müssen wir ein Mindesteinkommen sichern. Ein zu geringes Vollzeitarbeitseinkommen muss aufgestockt werden. Damit der Satz gilt: "Wer hart arbeitet, muss ein anständiges Auskommen haben." Nur dort darf der Staat eingreifen -- zugunsten der Arbeitnehmer wie auch im Falle des Arbeitnehmerentsendegesetzes zu Gunsten der Arbeitgeber. Die Voraussetzungen für dessen mögliche Ausweitung sind im Koalitionsvertrag klar und klug beschrieben. Es bedarf einer sozialen Verwerfung, einer Entsendeproblematik, eines entsprechenden Tarifgefüges -- und der Zustimmung von Arbeitgebern und Gewerkschaften

Weiterhin möchte ich auch noch wirtschaftswissenschaftliche Studien bemühen, die vor der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns warnen, denn er würde voraussichtlich mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich kosten. Das geht aus einer Studie hervor, die das *Institut für Wirtschaftsforschung Halle* (IWH) und das *Ifo-Institut Dresden* im Auftrag der WELT erstellt haben. Darin heißt es wortwörtlich "Das Instrument des Mindestlohns birgt die Gefahr, dass die Einkommenserhöhung für einige Arbeitnehmer mit Arbeitsplatzverlusten anderer Geringverdiener teuer erkauft wird", Bei einem Mindestlohn von 6,50 Euro gehen demnach rund 465 000 Jobs verloren, bei 7,50 Euro sogar 621 000. Dabei wäre Ostdeutschland sehr viel stärker betroffen. Bei 6,50 Euro sind im Osten 4,4 Prozent (West: 2,3 Prozent) aller Beschäftigungsverhältnisse bedroht. Bei 7,50 Euro wären es sogar 6,4 Prozent (West: 3,0 Prozent) aller Stellen.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass ich die Situation auch aus der eigenen Familie und meinem Bekanntenkreis kenne, dass Menschen Vollzeit arbeiten und dennoch nur ein Einkommen auf Hartz-IV-Niveau oder darunter erreichen. Eine durchgreifende Neustrukturierung des gesamten Niedriglohnsektors halte ich daher für dringlich geboten. Auch im Niedriglohnbereich muss eine angemessene Einkommenssituation erreicht werden, dass auch junge Menschen mit einer geringeren beruflichen Qualifikation ein Gefühl der Sicherheit haben, Mut haben können, eine Familie zu gründen und auch Kinder in die Welt zu setzen. Dies erreichen wir aber nicht mit politischen Kampfparolen und der ideologischen Brechstange, sondern mit Augenmaß und Vernunft. Die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn wird dieser Forderung nicht gerecht.

Leider ist der wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand bei einigen Parteien noch nicht angekommen. Dieses Thema wird sicherlich zum Wahlkampfthema Nr. 1 von SPD und Linkspartei. Eine bedauerliche Entwicklung, denn damit wird sich die Politik noch stärker dem blinden Populismus ausliefern. Ich sehe schon den Wetteifer der Parteistrategen um den höchsten Mindestlohn. Ade wirtschaftlicher Sachverstand, hurra Populismus!

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Brähmig MdB