Frage an Kirsten Kappert-Gonther von Doro O. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Kappert-Gonther,
Durch wiederholte Medienberichte weiß ich, dass es in Lybien von Milizen betriebene Flüchtlingslager gibt, in denen entsetzliche Zustände herrschen: Vergewaltigung, schlimme hygienische Zustände, Gewalt und Ähnliches mehr. Es entsetzt mich, dass vor den Toren Europas und mit Wissen von Regierungen, UN etc. so etwas fortgesetzt geschieht und es angeblich nicht möglich ist, den Menschen dort schnell zu helfen, z.B. durch eine UN- Eingreiftruppe. Wie stehen Sie zu diesem Problem und hätten Sie eine Idee, was man/frau von hier aus tun könnte?
Mit frdl. Grüßen, D. O.
Sehr geehrte Frau O.,
vielen Dank für Ihre Frage. Für uns Grüne ist klar: Das Mittelmeer darf nicht weiter zum Massengrab werden. Wir lassen nicht zu, dass sich die EU ihrer Probleme entledigt, indem sie Flüchtlinge in den Lagern Nordafrikas verelenden lässt. Flüchtlinge sind keine Ströme, Lawinen oder Wellen, es sind Menschen. Menschen wie wir, mit Hoffnungen und Sorgen, mit Kindern und Familien, aber einem Schicksal, das es weniger gut mit ihnen meinte als mit uns.
Wir müssen alles dafür tun, dass die Aufnahmelager in Europa und Nordafrika eine menschenwürdige Unterbringung gewährleisten, die insbesondere Rücksicht nimmt auf die Bedürfnisse von Frauen, Kindern, Kranken und besonders verletzliche Gruppen. In Europa streiten wir daher für eine gemeinsame Flüchtlingspolitik: Die Mitgliedstaaten der EU müssen sich die Verantwortung für schutzsuchende Menschen fair und solidarisch teilen, damit Staaten an den EU-Außengrenzen wie Italien und Griechenland entlastet werden. Eine solche Entlastung wird sich auch positiv auf die Zustände in Erstaufnahmelagern auswirken. EU-Länder, die sich einer aktiven Aufnahme und den Standards für die Versorgung und die Verfahren der Geflüchteten verweigern, müssen die finanziellen Aufwendungen der anderen Mitgliedstaaten mittragen.
Außerhalb Europas müssen wir zu anderen Instrumenten greifen. Eine Entsendung von "UN-Eingriffsgruppen", wie Sie es vorschlagen, würde die nationale Souveränität Libyens oder anderer nordafrikanischer Staaten verletzen und wäre somit - sofern es keine einstimmige Entscheidung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gibt - völkerrechtswidrig. Das dunkle Geschäft der Organisierten Kriminalität wird solange florieren, wie es Menschen gibt, die auf eben jene illegalen Dienstleistungen angewiesen sind. Wir müssen also ernst machen mit der Bekämpfung von Fluchtursachen und auf eine nachhaltige Entwicklungspolitik setzen, die zuallererst Perspektiven für die Menschen vor Ort schafft.
Wir sehen Europas historische Verantwortung gegenüber Afrika und streiten daher für einen Grünen Zukunftspakt mit den Ländern in Afrika. Im Zentrum stehen zivile Krisenprävention und der Aufbau von rechtsstaatlichen Strukturen sowie funktionierende Steuersysteme. Insbesondere verfolgen wir hierbei eine gerechte Agrar- und Handelspolitik mit einer fairen Zusammenarbeit mit afrikanischen Produzent*innen und einer nachhaltigen Weiterentwicklung der afrikanischen kleinbäuerlichen Landschaft.
Zudem braucht es legale Wege, damit Flüchtende nicht länger ihr Leben auf gefährlichen Fluchtrouten riskieren müssen. Wir werden Kontingente einrichten, wie beispielsweise ein großzügig angelegtes Resettlementprogramm, das Menschen einen sicheren Weg eröffnet und unter der Leitung des UNHCR ein fester Bestandteil der Flüchtlingspolitik in Deutschland wird. Der faire Anteil Deutschlands wird sich an dem vom UNHCR errechneten Bedarf ausrichten.
Auch im vermeintlich Kleinen können wir eine Menge gegen die - um Ihre Worte aufzugreifen - entsetzlichen Zustände in anderen Teilen der Welt tun. Hilfsorganisationen wie UNHCR, das Deutsche Rote Kreuz oder Ärzte ohne Grenzen sind weltweit aktiv und auf finanzielle Spenden angewiesen. Bewusster Konsum schützt Menschen in Entwicklungsländern vor Ausbeutung und Gewalt und schafft somit Perspektiven vor Ort. Auch wenn wir das Problem der Transnationalen Organisierten Kriminalität nicht im Handumdrehen lösen werden, können wir uns fragen, wie unser eigenes Handeln eben jene kriminellen Strukturen befördert und hieran etwas ändern.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Kirsten Kappert-Gonther