Frage an Kerstin Westphal von Raimund G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Westphal,
mit großem Interesse habe ich den Artikel http://gutjahr.biz/2013/02/lobbyplag/ von Richard Gutjahr gelesen. Die darin dargestellten Sachverhalte über den parlamentarischen Alltag sind sehr aufschlussreich. Diese Erkenntnisse verfestigen meine Angst vor und den Ärger über zunehmenden Gewerbe-/Industrie-Lobbyismus, welcher dazu führt, dass weitgehend nur noch die Interessen von Unternehmen und Gewerbe-/Industrieverbänden Gehör im Gesetzgebungsverfahren finden.
Ich denke, dass viele von „uns aus dem Volk“ die aktuelle Situation mit Besorgnis verfolgen und sich mittlerweile wünschen, dass neben den etablierten Parteien eine starke (alternative) Struktur der Interessensvertretung der Bürgerschaft auftritt, um Gesetze zum Schutz und zum Wohl der Bürger zu etablieren. Dies würde dem sozialen Frieden in unserem Land und unserem Kontinent zugute kommen. Ich bin gespannt, welche Kräfte hierbei aus der zunehmenden Vernetzung durch das Internet erwachsen...
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie hier ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema Lobbyismus preisgeben würden. Welche Konsequenzen hat die Erkenntnis, dass („weite“) Teile der Bevölkerung sich durch die etablierte Politik nicht mehr ausreichend vertreten fühlt? Sollten Volksvertreter deutlicher und öffentlichkeitswirksamer darlegen (und belegen!), welche Meinung sie zu einzelnen Sachthemen vertreten, auf welchen Quellen ihre Meinungsfindung basiert und warum dies den Bürgern nützt?
Welche Möglichkeiten hat die Bürgerschaft, um neben den mächtigen Gewerbe- und Industrieverbänden genügend Gehör im Rahmen der Gesetzgebung zu finden (nicht nur periodisch vor/nach Legislaturperioden)?
Strukturen zur effektiven Information und Beteiligung der Bevölkerung ließen sich im WWW sicherlich etablieren. Erste erfreuliche Schritte, wie „Lobbyplag“, sind bereits zu erkennen.
Es grüßt Sie freundlich
und gespannt auf eine Antwort
Raimund Gunzelmann
Sehr geehrter Herr Gunzelmann,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich hoffe Sie haben Verständnis, dass ich versuche, mich auf die konkreten Fragen zum Thema "Lobbyismus" zu konzentrieren. Zu Ihrer Einschätzung, dass sich weite Teile der Bevölkerung durch die etablierte Politik nicht mehr vertreten fühlen - das sehe ich anders - könnte man wohl ein Buch schreiben, und Ihr Wunsch, neben den etablierten Parteien eine "starke (alternative) Struktur der Interessenvertretung" zu errichten, ist wohl auch eher akademisch und nicht in ein paar Zeilen erörterbar.
Meine Position zu Lobbyismus ist glasklar: Wenn ich hier in Brüssel zu einem bestimmten Thema arbeite, höre ich mir alle Positionen an. Ich finde es wichtig, sich ein breites Bild zu machen. Dabei spreche ich natürlich nicht nur mit den von Ihnen zitierten "Gewerbe- und Industrieverbänden", sondern auch mit Verbraucherschutz-Organisationen, Vertretungen von Ländern und Kommunen, Gewerkschaften etc. Alle meine Gespräche führe ich übrigens öffentlich, und ich lasse mich auch nicht von Lobbyisten einladen. Darüberhinaus bilde ich mir meine Urteile auch durch Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern sowie durch persönliche Gespräche in meinem Wahlkreis. Ich teile daher Ihre Sorge nicht, dass die "Bürgerschaft", von der Sie sprechen, zu wenig Gehör findet.
Zu der Webseite "Lobbyplag": Dies ist grundsätzlich ein interessantes Projekt. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn Abgeordnete Änderungsanträge von Lobbyisten eins zu eins kopieren (wohlgemerkt: weder von "Multi-Milliarden-Dollar-Konzernen", wie in dem Blog formuliert, noch von Gewerkschaften, Umweltverbänden oder Verbraucherschützern). Gleichzeitig muss man aufpassen: Eine gute Idee ist nicht deswegen schlecht, weil sie von einer Interessenvertretung kommt. Also: Nein zum Abkopieren von Forderungen, Ja zum offenen Ohr für berechtigte Anliegen.
Ich hoffe, diese Einschätzungen sind für Sie aufschlussreich und weiterführend.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Westphal
Sehr geehrter Herr Gunzelmann,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich hoffe Sie haben Verständnis, dass ich versuche, mich auf die konkreten Fragen zum Thema "Lobbyismus" zu konzentrieren. Zu Ihrer Einschätzung, dass sich weite Teile der Bevölkerung durch die etablierte Politik nicht mehr vertreten fühlen - das sehe ich anders - könnte man wohl ein Buch schreiben, und Ihr Wunsch, neben den etablierten Parteien eine "starke (alternative) Struktur der Interessenvertretung" zu errichten, ist wohl auch eher akademisch und nicht in ein paar Zeilen erörterbar.
Meine Position zu Lobbyismus ist glasklar: Wenn ich hier in Brüssel zu einem bestimmten Thema arbeite, höre ich mir alle Positionen an. Ich finde es wichtig, sich ein breites Bild zu machen. Dabei spreche ich natürlich nicht nur mit den von Ihnen zitierten "Gewerbe- und Industrieverbänden", sondern auch mit Verbraucherschutz-Organisationen, Vertretungen von Ländern und Kommunen, Gewerkschaften etc. Alle meine Gespräche führe ich übrigens öffentlich, und ich lasse mich auch nicht von Lobbyisten einladen. Darüberhinaus bilde ich mir meine Urteile auch durch Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern sowie durch persönliche Gespräche in meinem Wahlkreis. Ich teile daher Ihre Sorge nicht, dass die "Bürgerschaft", von der Sie sprechen, zu wenig Gehör findet.
Zu der Webseite "Lobbyplag": Dies ist grundsätzlich ein interessantes Projekt. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn Abgeordnete Änderungsanträge von Lobbyisten eins zu eins kopieren (wohlgemerkt: weder von "Multi-Milliarden-Dollar-Konzernen", wie in dem Blog formuliert, noch von Gewerkschaften, Umweltverbänden oder Verbraucherschützern). Gleichzeitig muss man aufpassen: Eine gute Idee ist nicht deswegen schlecht, weil sie von einer Interessenvertretung kommt. Also: Nein zum Abkopieren von Forderungen, Ja zum offenen Ohr für berechtigte Anliegen.
Ich hoffe, diese Einschätzungen sind für Sie aufschlussreich und weiterführend.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Westphal