Frage an Kerstin Tack von Christoph W. bezüglich Menschenrechte
Sehr geehrter Frau Tack,
Sie haben mir bereits vor kurzem eine Antwort auf meine Frage bezüglich einer Impfpflicht beantwortet, vielen Dank für diese Antwort.
Trotzdem habe ich noch einige Nachfragen, da ich einige Dokumente im Internet gefunden habe, die eine andere Tendenz zeigen:
Das am 3. Juni 2020 vom Koalitionsausschuss von CDU/CSU und SPD beschlossene Konjunkturpaket mit dem Titel "Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken" enthält unter Punkt 53 einen Schlüsselsatz. Der lautet: "Die Corona-Pandemie endet, wenn ein Impfstoff für die Bevölkerung zur Verfügung steht."
https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Schlaglichter/Konjunkturpaket/2020-06-03-eckpunktepapier.pdf?__blob=publicationFile&v=9
Beschluss von Bundeskanzlerin und MinisterpräsidentInnen (Was ist das überhaupt für ein Gremium? Welche Befugnisse hat es?) der Länder vom 15. April 2020 unter Punkt 17: "Ein Impfstoff ist der Schlüssel zu einer Rückkehr des normalen Alltags. Sobald ein Impfstoff vorhanden ist, müssen auch schnellstmöglich genügend Impfdosen für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen."
https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/bund-laender-beschluss-1744224
§20 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), Absatz 6: Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist.
https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/IfSG.pdf
Zu Ihrer Aussage zu Dr. Wodarg:
Ja, ich konnte mir die Beiträge von Dr. Wodarg noch im Internet ansehen. Trotzdem ist zu beobachten, dass zahlreiche Regierungskritische / Impfkritische Beiträge aus Youtube gelöscht werden. Im TV / Radio / Presse kommen diese Personen erst gar nicht zu Wort, obwohl sie eine Fachexpertise vorweisen können. (Z.B. Prof. Baghdi, Dr. Wodarg, Prof. Dr. Schirmacher, Dr. Ioannidis).
Prof. Baghdi hat seine "Thesen" nicht als Vorwürfe formuliert, sondern als Fragen an die Bundeskanzlerin gerichtet. Warum ist er es nicht Wert, dass diese Fragen wenigstens einmal beantwortet werden?
Warum können wir uns als Demokratie keine öffentliche (gleichberechtigt, so dass alle die gleiche Plattform erhalten) Debatten mehr leisten und müssen auf Zensurpraktiken durch private Unternehmen zurück greifen?
Mit freundlichen Grüßen
C. W.
Sehr geehrter Herr W.,
vielen Dank für Ihre erneute Anfrage auf Abgeordnetenwatch, die ich gerne beantworte.
Die von Ihnen dargestellten Aussagen, dass die Pandemie wahrscheinlich erst endet, wenn ein Impfstoff zur Verfügung steht, teile ich. Dies bedeutet aber nicht, dass die durchaus weitreichenden Einschränkungen der Grundrechte bis dahin fortbestehen. Wir erleben ja aktuell, dass die Einschränkungen mit Blick auf das Infektionsgeschehen immer weiter zurückgenommen werden. Denn natürlich dürfen sie nur zeitlich beschränkt und müssen gut begründet sein. Im aktuellen Fall ist das für mich gegeben.
Das Ziel der getroffenen Maßnahmen war und ist, eine Überlastung unseres Gesundheitssystems zu vermeiden, damit niemand sterben muss, der bei einer ordentlichen Versorgung hätte gerettet werden können. Wie ich Ihnen bereits geschrieben habe, zeigt der Blick nach China, Italien, Frankreich, Spanien, New York/den USA und insbesondere Brasilien, was im schlimmsten Fall auf uns hätte zukommen können und noch könnte.
Dabei bitte ich Folgendes zu bedenken: Die Maßnahmen dienen im ersten Schritt dem Schutz der vom Virus am stärksten gefährdeten Personen. Aber auch für nicht an Covid 19-Erkrankte besteht eine gefährliche Situation, wenn durch die große Zahl der am Corona-Virus-Erkrankten keine Intensivbetten mehr zur Verfügung stünden. Ich jedenfalls will es den Ärzten nicht zumuten in eine Situation zu kommen, in der sie entscheiden müssen, welcher Patient behandelt wird und welcher nicht.
Und selbst die vermeintlich leicht Erkrankten, die keine medizinische Hilfe brauchen und nach drei oder fünf Tagen Bettruhe wieder gesund sind – wobei wir über mögliche Folgeschäden noch wenig wissen – bergen eine Gefahr für das Funktionieren des Staates. Ich möchte ebenfalls keine Situation erleben, in der ein großer Teil der Ärzte und Pfleger, der Polizisten und Feuerwehrleute, der Experten im Bereich der Energie- oder Wasserversorgung bzw. der öffentlichen Daseinsvorsorge im Allgemeinen zeitgleich für drei bis fünf Tage außer Gefecht gesetzt sind.
Und genau diese Gefahr war und ist ohne Eingriffe real, auf Grund der fehlenden Grundimmunisierung in der Bevölkerung sowie fehlender Impf- und Behandlungsmöglichkeiten. Denn bisher können nur die Symptome der Krankheit gelindert werden.
Ein Blick über den Tellerrand hinaus zeigt übrigens, dass unabhängig von politischen Systemen und Regierungskonstellationen sehr ähnliche Maßnahmen ergriffen werden und sich die Experten in den Empfehlungen zur Eindämmung der Pandemie weitestgehend einig sind. Dort wo auf entsprechende Maßnahmen verzichtet wird sehen wir dagegen eine weitere Ausbreitung des Virus und eine deutlich höhere Morbiditätsrate, wie zum Beispiel in den USA, Brasilien und leider auch in Schweden.
Wie ich Ihnen ebenfalls bereits geschrieben habe, schaffen es die Kritiker durchaus sich gehör zu verschaffen und ich bleibe bei meiner Aussage, dass Meinungsfreiheit aber nicht Widerspruchsfreiheit bedeutet. Und ob und wenn ja warum und in welcher Zahl Youtube Videos löscht, entzieht sich meiner Kenntnis. Entgegen Ihrer etwas nebulösen Aussage, dass „auf Zensurpraktiken durch private Unternehmen“ zurückgegriffen wird, hat der Staat keinen Einfluss auf das, was dort eingestellt wird.
Abschließend noch einmal zur Debatte um eine Impflicht: Der von Ihnen angeführte § 20 Abs. 6 des Infektionsschutzgesetzes ist nicht neu und hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Beispielsweise wird sowohl in einer Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2016 (Seite 3) als auch in einer Stellungnahme des Deutschen Ethikrates aus 2019 (ab Seite 37) auf diesen Absatz Bezug genommen. Der Hinweis, dass die Pandemie mit der Verfügung eines Impfstoffes endet, ist deshalb nicht mit der Einführung einer Impfpflicht zu sehen, sondern vielmehr vor dem Hintergrund, dass die Erfahrung mit der großen Akzeptanz der Bevölkerung für die von der ständigen Impfkommission vorgeschlagenen Schutzimpfungen eine sehr große freiwillige Bereitschaft für eine Impfung erwarten lässt.
Die beiden erwähnten Dokumente finden Sie unter folgenden Verlinkungen:
https://www.bundestag.de/resource/blob/413560/40484c918e669002c4bb60410a317057/wd-3-019-16-pdf-data.pdf
https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-impfen-als-pflicht.pdf
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Tack