Frage an Kerstin Tack von Jutta S. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Tack,
ich habe einige Fragen zum Fiskalpakt:
1. Bedeutet der Fiskalpakt bzw. die Verabschiedung der Schuldenbremse im Grundgesetz, dass von Seiten der Regierungen in Zukunft nur noch angebotsorientierte Wirtschaftspolitik möglich ist?
2. Könnte von Seiten des Staates in Zukunft Maßnahmen wie die Abwrackprämie bzw. die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes (2008) beschlossen werden?
3. Bedeutet der Fiskalpakt nicht automatisch, dass Lehrerstellen gekürzt werden und die den Schulen zugesagte „demografische Rendite“ in Form kleiner Klassen unmöglich wird?
4. Wenn nur noch eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik möglich ist, wird das nicht die Tendenz zur Entkoppelung (steigendem) Wirtschaftswachstum und (stagnierenden bzw. sinkenden) Haushaltseinkommen der Mittelschicht verstärken?
5. Paul Krugman hält die gegenwärtige Krise für eine Nachfragekrise und erst in zweiter bzw. dritter Linie für eine Staatsschuldenkrise. Diese hält er für das Symptom, das im Gefolge von Weltwirtschaftskrisen zwangsläufig auftritt. Wie ist Ihre Position dazu?
Mit freundlichen Grüßen
Jutta Schick
Sehr geehrte Frau Schick,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 19.Juli 2012 hier auf abgeordnetenwatch.de. Bevor ich auf Ihre Fragen im einzelnen eingehe, möchte ich kurz vorausschicken, dass ich bei der Abstimmung zum Fiskalpakt nach langer und intensiver Beschäftigung mit dem Thema mit „Nein“ gestimmt habe.
Ihre Fragen beziehen sich einerseits auf die Anfang 2009 beschlossene Schuldenbremse, andererseits auf den Fiskalpakt. Ich bin seit Herbst 2009 als Bundestagsabgeordnete in den Deutschen Bundestag gewählt und möchte mich deshalb vorwiegend dem aktuellen Teil „Fiskalpakt“ widmen. Beipflichten möchte ich Ihnen darin, dass die beiden Themen eng miteinander verknüpft sind.
Die SPD hat sich ihre Entscheidung beim Fiskalpakt wahrlich nicht leicht gemacht. Ein Vertrag, der in strikter Haushaltsdisziplin und massivem Schuldenabbau die Lösung aller Probleme der Eurozone sieht, trägt alles andere als eine sozialdemokratische Handschrift. Die SPD-Fraktion hat sich mit guten Gründen dennoch nicht zu einem kategorischen „Nein“ zum Fiskalpakt entschieden. Auch für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist unbestritten, dass die gigantischen Schuldenberge abgebaut werden müssen. Schließlich können wir uns dauerhaft nur aus den Fängen der Finanzmärkte befreien, wenn wir die öffentliche Verschuldung nicht weiter ausufern lassen. Allerdings bedarf es neben Sparmaßnahmen auch wachstums- und beschäftigungsfördernde Elemente, die von der SPD in die Verhandlungen eingebracht wurden. Dem vorliegenden Fiskalpakt musste ich meine Zustimmung dennoch verweigern: Einerseits aufgrund der enormen Bindungskraft für die unterzeichnenden Staaten und die damit einhergehende Abgabe alleiniger Budgethoheit. Andererseits aufgrund der großen Einschnitte, die der Fiskalpakt bis hinunter auf kommunale Ebene bringen wird.
Folge des Fiskalpaktes sowie der Schuldenbremse ist es aber nicht, dass die Bundesregierung künftig auf angebotsorientierte Wirtschaftspolitik beschränkt ist. Beide Regelungen orientieren sich an dem Bruttoinlandsprodukt und dienen dazu, Schulden über einem Grenzwert abzubauen. Die Steuerungsmöglichkeiten über Steuern und Wirtschaftsprogramme sind dem Staat jedoch unbenommen. Einen Kausalzusammenhang zwischen der Verabschiedung von Schuldenbremsen und einer Zwang der Regierung zu angebotsorientierter Wirtschaftspolitik sehe ich daher nicht.
Auch wenn der Fiskalpakt eine Art Vetorecht für die Haushaltspolitik von Staaten, die eine zu hohe Staatsverschuldung haben vorsieht, bleiben nationalstaatliche Maßnahmen selbstverständlich möglich. Tatsächlich lässt sich eine Tendenz dahingehend ablesen, dass eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, die keinen Ausgleich (etwa durch die Erhebung zielgerichteter Steuern) tendenziell dazu führt, dass steigendes Wirtschaftswachstum keine entsprechende Entwicklung der Haushaltseinkommen nach sich zieht. Das gilt es meiner Ansicht nach zu vermeiden. Einen direkten Zusammenhang von Fiskalpakt und der Kürzung von Lehrstellen bzw. in der Bildung kann ich nicht erkennen. Vielmehr ist auch dies eine Frage der staatlichen Steuerung.
Noch nie hat sich ein Land mitten in einer Rezession aus einer Krise heraus gespart. Neben Haushaltsdisziplin brauchen die überschuldeten Staaten auch Impulse für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung, um dauerhaft wieder auf eigenen Beinen stehen zu können. Die SPD hat sich daher nachhaltig für einen europäischen Wachstums- und Beschäftigungspakt eingesetzt. Dem „nackten“ Fiskalpakt hätte die SPD nicht zustimmen können, da er die Krise eher verschärft als eingedämmt hätte. Deswegen haben wir hart mit der Bundesregierung verhandelt – das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Ergänzung des Fiskalpakts durch einen europäischen Wachstums- und Beschäftigungspakt ist letztlich auch das Eingeständnis der schwarz-gelben Koalition, dass ihre bisherige fantasielose Sparpolitik krachend gescheitert ist. Das ist ein großer Erfolg der deutschen Sozialdemokratie. Es ist keine Selbstverständlichkeit, als Oppositionspartei einer Bundesregierung einen solchen Kurswechsel abzuringen.
Wachstums- und Beschäftigungspakt ist letztlich auch das Eingeständnis der schwarz-gelben Koalition, dass ihre bisherige fantasielose Sparpolitik krachend gescheitert ist. Das ist ein großer Erfolg der deutschen Sozialdemokratie. Es ist keine Selbstverständlichkeit, als Oppositionspartei einer Bundesregierung einen solchen Kurswechsel abzuringen.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Tack