Frage an Kerstin Tack von Henning D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Tack,
ich habe eine Frage zu den demokratischen Grundsätzen.
Kann es sein, dass durch die Internationalisierung der Probleme/Aufgaben mehr und mehr die Rechte des Parlamentes beschnitten werden sollen?
1.) Wird durch die Eurokrise das Budgetrecht des Parlamentes so bleiben?
2.) Wird das Prinzip der Parlamentsarmee im Zuge der "Bündnisfähigkeit" eventuell aufgegeben?
In der Vergangenheit sollte ja sogar, das Rederecht eingeschränkt werden, was durch den Einfluß von Herrn Lammert ja dann so nicht vollzogen wurde.
Sehen Sie sich in Ihrer Parlamentsarbeit irgendwie beschnitten? Gibt es Tendenzen, dass das Parlamentsrecht und damit die Gewaltenteilung langsam erodieren?
Freue mich auf Ihre Antworten,
Henning Dick
Sehr geehrter Herr Dick,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 04.06.2012, in dem sie sich mit demokratietheoretischen Fragen auseinandersetzen. sie sprechen einerseits den Fiskalpakt, andererseits die Frage der Parlamentsarmee an.
Ihre Bedenken zu den demokratischen Implikationen des Fiskalpaktes teile ich. Der Pakt weist in die Richtung eines Europas der Experten und noch zu wenig der Menschen, da er die Souveränität der Parlamente über die Haushalte einschränkt und dies nicht durch eine Stärkung des Europäischen Parlamentes (EP) ausgleicht. Gestärkt werden weiter der Europäische Gerichtshof (EUGH) und die Exekutiven, also die Regierungen der Länder und die Europäische Kommission, die nicht direkt- im Gegensatz zu Bundestag und EP- gewählt sind. Deshalb trete ich für den Ausbau demokratischer Rechte und Kontrollen durch das Europaparlament und die nationalen Volksvertretungen ein.
Darüber hinaus ist der Fiskalpakt wirtschaftspolitisch noch nicht ausgereift. Defizit- und Schuldenkriterium erfordern Sparmaßnahmen, die zwar das Defizit reduzieren - allerdings auch die wirtschaftliche Entwicklung schwächen und damit Arbeitsplätze gefährden und - wie die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und Italien in drastischer Weise zeigt - auch den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft untergräbt. Ohne wirtschaftliche Entwicklung steigt die Staatsschuldenquote -- wie man es in Griechenland gesehen hat -- und das Ziel der Schuldenreduktion wird nicht erreicht. Somit sind weitere Sparmaßen über lange Zeit absehbar - eine depressive Spirale nach unten setzt ein.
Aus all diesen Gründen muß der Fiskalpakt um wachstums- und beschäftigungsfördernde Elemente ergänzt werden. Dafür sprechen wir uns als SPD für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer aus. Gerade der Hochfrequenzhandel, der zumeist aus rein spekulativen Gründen getätigt wird und nicht zu Investitionen in die Realwirtschaft führt, kann durch diese Steuer eingedämmt werden. Langfristig können Finanzmärkte so stabilisiert werden. Vor allem ist es wichtig, dass die Kosten der Krise nicht nur auf den Schultern der Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern liegen.
Wir als SPD plädieren also für Änderungen und vor allem Ergänzungen des Fiskalpaktes. Wir treten ein für wachstums- und beschäftigungsfördernde Maßnahmen, für den Beschluss einer Finanzmarkttransaktionssteuer, eine stärkere Regulierung der Banken und Finanzmärkte und für europäische Gemeinschaftsanleihen - durch Eurobonds oder eine Banklizenz für den ESM - zum solidarischen Schuldenabbau. Unser Ziel ist ein sozialer Stabilitätspakt, der gegen Kinder- und Jugendarmut und Jugendarbeitslosigkeit wirkt. Das Credo ist ein Finanzpakt der Wachstum fördert, anstatt sozial ungerechtes Sparen zu erzwingen.
Ihre Frage zur „Parlamentsarmee“ möchte ich wie folgt beantworten:
Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ist aus den Erfahrungen unserer Geschichte von militärischer Zurückhaltung geprägt. Die Beteiligung des Parlaments bei der Entsendung deutscher Truppen in Auslandseinsätze ist der Garant, dass dies auch so bleibt. Eine Änderung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes oder sogar des Grundgesetzes lediglich aus dem Grund, gemeinsam betriebene Waffensysteme, in denen deutsche Soldaten eingesetzt werden, nutzen zu können, widerspricht verantwortungsbewusster deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Für Soldaten der Bundeswehr, die in internationalen Stäben außerhalb des Einsatzgebietes eingesetzt werden, ist nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz keine konstitutive Beteiligung des Bundestages erforderlich. Beim Einsatz deutscher Soldaten in Stäben, die im Einsatzgebiet operieren, muss auch bei einer deutschen Nichtbeteiligung am Einsatz die Zustimmung des Deutschen Bundestages eingeholt werden.
Eine deutsche Beteiligung an Smart Defence-Projekten liegt in der Entscheidungsbefugnis der Bundesregierung und die Finanzierung unterliegt den Bestimmungen des Haushaltsrechtes. Wenn diese integrierten militärischen Fähigkeiten jedoch zum Einsatz kommen sollen und es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass deutsche Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden, muss eine parlamentarische Befassung erfolgen.
Eine Tendenz zur Beschneidung parlamentarischer Rechte ist momentan nicht zu befürchten. ESM und Euro-Plus-Pakt betreffen europäische Angelegenheiten, sie dienen Zielen der Europäischen Union und werden wesentlich von europäischen Organen getragen. Die Bundesregierung hat dies bislang unverfroren geleugnet, um die Mitsprache des Bundestages auszuhebeln und in Europa an den Gemeinschaftsinstitutionen vorbei verhandeln zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch nun in zwei Entscheidungen klargestellt, dass das Parlament in diesen Fragen früh und umfassend zu informieren ist.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Tack