Frage an Kerstin Köditz von Günther K. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrte Frau Köditz,
mit großem Interesse habe ich Ihr Buch über den Rechtsextremismus und seine beginnende Vernetzung zum "Marsch durch die Institutionen" gelesen.
Gerade in den letzten Tagen gingen Nachrichten durch die Medien, dass rechts gerichtete Organisationen gezielt versuchen, ihnen genehme Personen als Schöffen bei sächsischen Gerichten zu plazieren, um so mehr Einfluss zu bekommen bei der Behandlung und Urteilsfindung.
Ich frage Sie nicht als Politikerin, sondern als Expertin: Sie schätzen die Entwicklung von außerparlamentarischen Strukturen mit rechtsgerichteten Tendenzen als Gefahr für unsere Demokratie ein.
Unserer ehemaliger Ministerpräsident Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, dessen persönliche Integrität und dessen Verdienste um Sachsen aus meiner Sicht unstrittig sind, kommt zu einer ganz anderen Bewertung: Die NPD und ähnliche rechte Organisationen, Vereine und Bürgerinitiativen haben und werden keinen maßgeblichen Einfluss erlangen auf Politik und öffentliche Meinung. Unsere demokratisch denkende und handelnde Zivilgesellschaft sieht er als gefestigt.
Sicher, Sie belegen in Ihrem Buch "Und morgen?" Ihre Meinung zum derzeitigen Status anhand von Daten, Fakten und realen Situationen. Dem will ich auch nicht widersprechen. Aber: Überzeichnen Sie nicht vielleicht doch das Bild, das Sie vom möglichen politischen Morgen zeichnen?
Mit freundlichen Grüßen
Günther Karlsen
Sehr geehrter Herr Karlsen!
In der Tat sehe ich in der NPD und in anderen Organisationen und Strukturen der extremen Rechten eine Gefahr für die Demokratie. Selbst wenn es sich um unorganisierte Personen handelte, würde ich das ähnlich sehen. Entscheidend für mich ist, dass es sich um Menschen handelt, die nicht nur das demokratische Gedankengut für sich persönlich ablehnen, sondern offensiv dagegen vorgehen. Wenn es Menschen und Personengruppen gibt, die rassistisches, antisemitisches, nationalistisches und geschichtsrevisionistisches Gedankengut in der Bevölkerung verbreiten, so stellt dies zweifellos eine Gefahr dar.
Der ehemalige Ministerpräsident Prof. Kurt Biedenkopf geht mit einer anderen Sichtweise an dieses Problem heran. Er ist offenbar der Ansicht, dass eine politische Strömung erst dann eine reale Gefahr darstellt, wenn sie einen „maßgeblichen Einfluss“ zu erlangen droht. Mit anderen Worten: erst wenn eine Partei so stark wird, dass sie in Regierungsverantwortung kommen könnte, stellt sie für ihn eine Gefahr dar. Diese Sichtweise halte ich für kurzsichtig. Wenn Herr Biedenkopf einmal in die Dörfer und Kleinstädte fahren würde, um dort die nicht rechten Jugendlichen über deren Erfahrungen zu befragen, dann würde er wohl an jedem Ort persönlich erlebte Geschichten von Übergriffen von Neonazis zu hören bekommen. Auch Herr Biedenkopf müsste eigentlich wissen, dass die Zahl der Straftaten aus dem Bereich der extremen Rechten weiterhin zunimmt. Für mich stellt es eine Gefahr für die Demokratie dar, wenn die Opfer lernen, dass die Institutionen der Demokratie nicht in der Lage sind sie zu schützen. Für mich stellt es eine Gefahr für die Demokratie dar, wenn der Bürgermeister der Kleinstadt Colditz ein antirassistisches Fußballturnier, zu dessen Unterstützern der DFB-Präsident Theo Zwanziger gehört, verhindert mit der Begründung, dass eine solche Veranstaltung die Rechten provozieren könne. Wie soll so Vertrauen in die Demokratie erwachsen?
Schlimmer für mich ist allerdings ein anderes Ereignis, das bereits mehr als fünfzehn Jahre zurückliegt und das Herr Biedenkopf vergessen zu haben scheint. Anfang der neunziger Jahre kam es zu einer Welle von Anschlägen und Brandstiftungen, die sich gegen Unterkünfte von Asylsuchenden richteten. Der Höhepunkt waren die pogromartigen Vorkommnisse in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda. Die Reaktion des Staates bestand nicht in Aufklärungskampagnen oder der Verstärkung der notwendigen Repression gegen diese Gewalttäter. Das Resultat der Serie von schweren und schwersten Gewalttaten bestand in einer Änderung des Asylparagrafen im Grundgesetz, die es nahezu unmöglich machte, in Deutschland als politisch Verfolgter Zuflucht zu finden. Die in dieser gesetzlichen Regelung getroffenen Maßnahmen waren so weit reichend, dass sie sogar die Forderungen der damals noch erfolgreicheren Partei „Republikaner“ übertrafen. Gerade wegen ihrer Positionen im Ausländer- und Asylrecht war kurz zuvor beschlossen worden, sie durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen.
Zur damaligen Zeit war die NPD übrigens weder im sächsischen Landtag vertreten noch in dem von Mecklenburg-Vorpommern. Ich stimme Ihnen durchaus zu, wenn Sie davor warnen die Situation zu dramatisieren. Man darf sie allerdings auch nicht verharmlosen. Man muss die Lage nüchtern und verantwortungsbewusst analysieren und aus der Analyse die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen. Wenn ich mich dieser Arbeit unterziehe, gelange ich zu dem Ergebnis, dass die Maßnahmen, die bisher in Sachsen eingeleitet worden sind, teilweise kontraproduktiv waren und zum Teil halbherzig. Hier besteht für die kommenden Jahre noch viel Arbeit. Ich bedauere es sehr, dass ein Politiker wie Kurt Biedenkopf, sich als lernunwillig erweist. Böse Zungen würden vielleicht sogar von Altersstarrsinn reden. Im Jahr 2000 hatte er erklärt, die Sachsen seien „immun“ gegen die extreme Rechte. Inzwischen ist die NPD im Freistaat mit dem zweitbesten Ergebnis, das sie jemals in ihrer Geschichte bei einer Landtagswahl erzielt hat, in den Landtag eingezogen, hat sie zunächst kleiner Erfolge in der Kommunalpolitik gefeiert, denen dann im vergangenen Jahr der flächendeckende Einzug in alle Kreistage folgte. Bei den Kommunalwahlen im Juni diesen Jahres ist die NPD in die Stadträte der drei Großstädte eingezogen sowie in die Räte fast aller ehemaligen oder aktuellen Kreisstädte. Wer angesichts dieser Entwicklung eine reale Gefahr in Abrede stellt, scheint sich außerhalb des realen Lebens im Freistaat zu bewegen.
Ich wäre eine schlechte Politikerin, wenn ich nicht intensiv daran arbeiten würde, dass sich die von mir in meinem Buch „Und morgen?“ getroffenen Prognosen nicht bewahrheiten. Diese Entwicklungen werden dann eintreffen, wenn nicht durch politische, pädagogische, jugendpflegerische, polizeiliche und andere Maßnahmen dem Trend wirksam entgegengearbeitet wird. Man kann sich zwar wünschen, dass sich das Problem von selbst erledigt, aber Träume sind ein schlechter Ratgeber in der Politik.
Die Linksfraktion im Sächsischen Landtag wird in der kommenden Legislaturperiode intensiv an der Veränderung des gegenwärtigen Landesprogramms „Weltoffenes Sachsen“ arbeiten, damit es mehr ist als ein bloßes Fördermittelprogramm. Wir brauchen endlich ein konzeptionelles Programm, das die Arbeit aller Ministerien integriert. Vorbild könnte dafür das bestehende Programm im Bundesland Brandenburg sein. Mit Wissenschaftlern und zivilgesellschaftlich engagierten Gruppen aus diesem Bundesland stehe ich bereits jetzt in einem regen Austausch. Man sollte von erfolgreichen Modellen lernen. Gerade wir in Sachsen haben das besonders nötig, weil in der Vergangenheit – auch unter einem Ministerpräsidenten Biedenkopf – so viel versäumt worden ist.
Mit herzlichen Grüßen
Kerstin Köditz