Frage an Kerstin Eisenreich von Martin K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Warum entziehen Sie und Ihre Kollegen des Kreistages des Saalekreises sich bis heute einer Stasi-Überprüfung?
Sehr geehrter Herr K.,
die Partei PDS, deren Nachfolgerin die aktuelle Partei DIE LINKE ist, hat bereits in den 90er Jahren beschlossen, dass für alle Mitglieder und Nichtmitglieder, die ein Mandat der Partei anstreben, gilt: Wer für ein Amt oder Mandat kandidiert, hat seine politische Biografie offenzulegen. Dies meint im Übrigen nicht nur die Kooperation mit dem Ministerium für Staatssicherheit, sondern auch die eigene Verantwortung als Funktionsträger in der SED, FDJ oder den Blockparteien.
Weiterhin gilt: Sollten persönliche Verstrickungen insbesondere mit dem System der Staatssicherheit nachträglich bekannt werden, dann erfolgt eine Vertrauensabstimmung in geheimer Form von dem Gremium, das gewählt hat. Entscheidendes Kriterium für uns ist dabei aber die heutige politische Perspektive auf die Verantwortung von damals, die selbstkritische Reflexion des eigenen Handelns, und das auf offener Bühne.
Aus meiner Sicht befördert daher die Praxis der Regelüberprüfung einen Tunnelblick auf die Geschichte und dient nicht selten der Entlastung statt dem Blick auf Vielfalt von Verstrickungen. Nötig finde ich jedoch eine kontroverse, aber ehrliche Diskussion darüber, wie eine Diktatur in ihren sozialen und politischen Strukturen, in ihren Regeln und Ritualen funktioniert, wie persönliches Handeln in unterschiedlichen Funktionen dazu beiträgt und wo es seine Grenzen hat. Unser Anspruch war und ist, über komplexe Verstrickungen zu diskutieren und die Biografie nicht auf eine Stasi-Mitarbeit und die Frage "schuldig" oder "nicht schuldig" zu reduzieren.
Für die zwölf Mitglieder der Fraktion DIE LINKE/Grüne, die für die Partei DIE LINKE 2014 in den Kreistag gewählt wurden, gelten die obigen Regeln. Dessen ungeachtet wurden fast alle mehrfach in der Vergangenheit überprüft, sei es als Kreistagsmitglieder, als Mitglieder von Stadträten oder auch aus beruflichen Gründen, so auch ich. Für diese Legislatur hat der Kreistag keinen Beschluss zur Überprüfung gefasst, so dass Ihre Frage auf erstmals gewählte Mitglieder der Kreistages nicht zutrifft. Zudem gibt es ein Mitglied, dass zum Zeitpunkt der Wende minderjährig war.
Mit freundlichen Grüßen
Kerstin Eisenreich