Wie und in welchem Zeitraum werden Sie sich für spürbare Entlastung für Eltern und vor allem für Mütter einsetzen?
Sehr geehrte Frau Celina,
wie und in welchem Zeitraum werden Sie sich für Entlastung der Eltern und vor allem Mütter einsetzen? Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung und viele andere (zum Beispiel Frau Prof. Jutta Allmendinger) haben gezeigt, dass Mütter ganz besonders unter den Belastungen im Rahmen der Pandemie leiden. Strukturelle Fehlanreize und die immer noch mangelhafte Gleichstellung von Frauen sind zugrunde liegende Missstände. Die Institute haben entsprechende Ideen aufgelistet, daneben gibt es eine Auflistung konkreter Vorschläge für akute Entlastungsmöglichkeiten hier: https://mumandstillme.com/elternfadeout–die-grosse-erschopfung-der-mutter-und-was-dagegen-getan-werden-muss . Unter dem Hashtag #elternfadeout wollen wir Sie für dieses Problem dringend sensibilisieren. Wir wünschen dringendst gehört zu werden und hoffen sehr auf schnellstmögliche Entlastung.
Mit freundlichen Grüßen, Sarah W.
Sehr geehrte Frau W.,
ich beantworte Ihre Frage sehr gerne, das Thema kenne ich sehr gut und eigentlich müsste die Antwort an Sie mindestens zehn Seiten umfassen, um dem Thema gerecht zu werden. Entschuldigen Sie deshalb bitte, wenn sie – egal wieviel ich schreibe – nicht annähernd vollständig sein wird.
Als die GRÜNEN sich gegründet haben, war Gleichstellungspolitik bzw. Politik für Frauen eines der zentralen Themen, das wir bearbeiten wollten. Das ist bis heute so geblieben, und es ist bis heute dringend notwendig, die Themen Gleichstellung und Familie usw. politisch ein großes Stück voranzubringen. In der Corona-Krise haben wir erlebt, dass die alten Rollenmuster wieder aufleben. Wer kümmert sich in einer Familie verstärkt um die Kinder und andere Menschen, Eltern, Schwiegereltern, Nachbarn? Diejenige, die weniger verdient, diejenige, die auf den ersten Blick weniger berufliche Einbußen hat, diejenige die „nur“ einen Minijob hat. In der Realität ist es leider in den allermeisten Familien immer noch so, dass Frauen mit Kindern weniger zum Familieneinkommen beitragen als Männer, egal ob sie vor der Familiengründung etwa auf gleichem beruflichen Level waren oder nicht. Strukturen wie das Ehegattensplitting und steuerfreie Minijobs, gegen die wir GRÜNE seit ewigen Zeiten eintreten, verstärken Abhängigkeiten und Rollenklischees und haben große Auswirkungen auf die Stellung der Frauen in Familie, Beruf und Gesellschaft. Das haben wir jetzt in der Pandemie wieder gesehen.
Ich selbst bin anders aufgewachsen: meine Eltern haben beide gearbeitet, sich beide um mich bzw. um die Betreuung gekümmert, sie sind beide beruflich und privat auf Augenhöhe geblieben und ein einer Situation wie der Pandemie in den letzten beiden Jahren hätten sie die Belastungen geteilt – und mit entsprechenden politischen Rahmenbedingungen auch gemeinsam gemeistert, davon bin ich überzeugt. Das bringt mich zum nächsten Punkt, den politischen Rahmenbedingungen während der Pandemie: wenn Baumärkte aufmachen, aber Schulen über Monate geschlossen sind, dann sind das politische Rahmenbedingungen, die schlicht und einfach falsche Prioritäten setzen – und dies zu Lasten der Frauen. Wenn man in in Schlachthöfen, Büros, Industrie und Handwerk auf engstem Raum nebeneinander arbeiten darf, in Cafes und Restaurants auf engstem Raum nebeneinander sitzen kann, aber Kinder aus Kitas und Schulen immer wieder vor der Situation stehen, dass phasenweise weder Präsenzunterricht noch digitaler Unterricht funktioniert, dann führt das zu zusätzlichen Belastungen insbesondere für die Frauen in den Familien. Kleine Anekdote: Wir hatten als Familie im ersten Corona-Schuljahr eine Gastschülerin aus Vietnam aufgenommen, und als Corona begann, erzählte sie, dass ihre Schwester jetzt (funktionierenden!) online Unterricht hatte und ihre Eltern in Hanoi beide im Home-Office arbeiteten. Und sie fragte sich und uns, wo denn das Problem sei … .
Als Corona begann und die Überlastung der Mütter begann, hinterfragte ich zum Beispiel eine ganz spezielle Fall-Konstellation: (Alleinerziehende) Mütter schwerstbehinderter Kinder und Jugendlicher. Als die Einrichtungen, in denen diese Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen tagsüber üblicherweise betreut und gefördert wurden, geschlossen wurden, wurde zunächst festgelegt, dass wenigen Plätze zur Notbetreuung nur denjenigen zur Verfügung stehen, die einen sogenannten "systemrelevanten" Beruf haben. Das waren aber nicht automatisch diejenigen, die die Betreuung am nötigsten brauchten. Eine alleinerziehende Mutter mit Teilzeitjob und vielleicht noch Eltern, um die sie sich zumindest gelegentlich kümmern musste, war quasi prädestiniert für einen Burn-Out, während die beruflich auch hochbelastete Krankenschwester mit einer großen, unterstützenden Familie die Betreuung des schwerbehinderten Kindes vielleicht wesentlich besser organisieren konnte. Zusammen mit meinen unterfränkischen GRÜNEN Kollegen Patrick Friedl und Paul Knoblach habe ich in einem offenen Brief die Sozialministerin um Unterstützung gebeten und erreicht, dass die individuelle Not der Mütter und Familien als Kriterium für eine Notbetreuung aufgenommen wurde. https://www.kerstin-celina.de/pressemitteilung-notbetreuung-ermoeglichen-heilpaedagogische-tagesstaetten-oeffnen/
Ich könnte viele solcher Beispiele aufzählen: vor genau einem Jahr z.B. haben wir im Landtag eine Studie zu den besonderen Belastungen der Frauen in der Corona-Pandemie gefordert, deren Ergebnisse natürlich auch die Blaupause für strukturelle Veränderungen sein sollte. https://www1.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP18/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000009000/0000009195.pdf. Der Antrag wurde von den regierenden Fraktionen CSU und FW sowie der AfD abgelehnt.
Wenn Sie mehr wissen möchten, können Sie dies auf unseren Webseiten von Fraktion und Partei auf den verschiedenen Ebenen finden, oder gerne im persönlichen Gespräch. Viele der Vorschläge, die unter https://mumandstillme.com/elternfadeout aufgeführt sind, finden Sie auch in unseren Programmen, Anträgen, Anfragen etc. wieder.
Zum Schluss noch kurz: Ich kenne Frau Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger, auf die Sie sich in Ihrer Frage beziehen, persönlich und verfolge ihre wissenschaftlichen Studien, ihre Interviews und Tätigkeit schon seit vielen Jahren. Vor langer Zeit haben wir einmal für den gleichen Arbeitgeber gearbeitet, auch mit der GRÜNEN Landtagsfraktion haben wir uns schon mit ihr exakt zu dem von Ihnen angesprochenen Thema ausgetauscht. Ich glaube, ihr zuzuhören, mit ihr zusammen in Politik und Gesellschaft neue Konzepte zu erarbeiten, und überholte Strukturen (wie z.B. das Ehegattensplittung) endlich loszulassen, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg in eine Gesellschaft, in der Frauen nicht mehr Lasten aufgebürdet bekommen als Männer.