Frage an Kersten Artus von Frank J. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Artus !
Wie ich Ihrer Homepage entnehmen kann, prangern Sie den "neoliberalen" Kurs einiger Parteien an. Das man hierbei den staatlich geregelten freien Markt bezeichnet, ist Ihnen sicherlich klar. So ist die Definition von Neoliberal relativ einfach : Die freie (also liberale ) Marktwirtschaft wird bei der sogenannten Neoliberalität von der Politik reguliert, so kann man das Verbot von Monopolen, unser Kündigungsschutzrecht, Arbeitnehmerrechte (wie Arbeitszeit und Bedingungen, Tariflohn), Sozialversicherungspflichten, das Recht auf Gewerkschaften etc. als neoliberale Eingriffe der Politik auf die Wirtschaft bezeichnen. Diese Neoliberalität wurde zu Zeiten der Industrialisierung eingeführt, als die Wirtschaft noch den klassischen Liberalismus ausgeübt hat, also es zu einer Marktvermachtung kam und das Volk sozusagen der Macht der Wirtschaft absolut schutzlos gegenüberstand (z.B. durch Monopole, keine Kündigungsschutzrechte, keine Arbeitnehmerrechte, kein Tarfiflohn etc.). Was also meinen Sie mit "anti-neoliberalen" Kurs? Wenn Sie Herrn Lafontaine derartig zitieren (Zitat) "demokratischer Sozialismus" und "Kontrolle jeder Art von Macht" drängt sich einem der Eindruck auf, Sie wollen, wie schon die damalige SED in der DDR und Lenin in der UDSSR, einen rein sozialistischen Staat in der BRD ergründen. Ist das so? Wer denken sollte, die ehemalige UDSSR wäre kommunistisch gewesen, der irrt, den der Kommunismus geht von einer politikfreien also anarchistischen Gesellschaft aus. Soll aus Ihrer Sicht (oder der Sicht von Herrn Lafontaine) dann die Planwirtschaft folgen oder halten Sie an der (neoliberalen) Markwirtschaft fest? Wie wollen Sie dann Vermögende (i.d.R. Entscheidungsträger der Wirtschaft) vom Wirtschaftsstandort BRD (siehe Nokia) überzeugen bzw. dazu anhalten, gerade hier Ihre Steuern zu entrichten (Kapitalabwanderung) ? Wie wollen Sie verhindern, dass hohe Unternehme(r)(ns)steuern auf die Produkte aufgeschlagen werden?
Lieber Frank Jahncke,
vielen Dank für Ihre Frage. Oskar Lafontaine brachte es auf den Punkt, als er sagte: Neoliberalismus sei Marktfetischismus. Was ich mit einem antineoliberalem Kurs meine: Für mich bedeutet es, dass eine Partei sich klar zu den Grundsätzen des Sozialstaates bekennen muss und ihre politischen Zielsetzungen danach ausrichtet - u.a. keine Privatisierung der Daseinsvorsorgen (Energie, Gesundheit, Bildung); keine Deregulierung der Arbeitnehmer/-innenschutzrechte. Dies ist für mich die Voraussetzung, eine Partei als Bündnis- und mögliche Koalitionspartnerin anzuerkennen. Ich glaube, SPD und GAL sind dazu grundsätzlich in der Lage, wenn sie von ihrer Machtgeilheit abrücken und sich wieder konsequenter den Bedürfnissen der Menschen zuwenden würden. Dies würde auch der Wahlbeteiligung in diesem Land gut tun.
Sie fragen, ob ich einen rein sozialistischen Staat nach dem Vorbild DDR und UdSSR gründen will: Ich glaube, dass unser Grundgesetz einen gesellschaftliche Ordnung ermöglicht, die allen Menschen soziale Gerechtigkeit und Teilhabe an der demokratischen Willensbildung ermöglicht. Ich finde, dass Ihr Vergleich mit der DDR und der UdSSR hinkt: Wir befinden uns weder in der historischen Situation einer Nachkriegszeit, in der Alliierte über die Aufteilung eines Staates (Nazideutschland) entscheiden, noch in einer revolutionären Situation, in der sich die hungernden und ausgebeuteten Menschen des zaristischen Russland sich für einen Vielvölkerstaat der Prägung Sowjetunion entscheiden müssen.
Aus ganz prinzipiellen Gründen bin ich für jede Kontrolle von Macht. Übrigens: Jede/r verantwortlich Wirtschaftende betreibt Planwirtschaft, jedes Unternehmen, jedes Bundesland. Die so genannte Freiheit des Marktes ist eine Phrase, die lediglich bedeutet, dass niemand an der Schaffung von Profiten gehindert werden darf, jedes Mittel dazu recht ist und dies das oberste Prinzip ist. Dies kollidiert mit dem Grundgesetz, das DIE LINKE derzeit am konsequentesten von allen Parteien verteidigt. Ich glaube nach 25 Berufsjahren und fast ebenso langer Betriebsratstätigkeit nicht mehr daran, dass Unternehmen ihre umfassende soziale Verantwortung freiwillig wahrnehmen von einzelnen Betrieben mit z.B. Betriebskindergärten mal abgesehen. Wer nicht verantwortlich wirtschaftet, darf es aus meiner Sicht auch nicht. Darum bin ich auch für den gesetzlichen Mindestlohn, für ein Verbot der Lohnsenkung, für eine weitere Arbeitszeitverkürzung, für Steuern auf Gewinnen, für die verpflichtende Gleichstellung von Frau und Mann in Betrieben.
Ich denke, dass es gute Gründe für Entscheidungsträger/-innen in der Wirtschaft gibt, am Standort Deutschland festzuhalten. In anderen Ländern gibt es Nachteile. Z.B. nicht vorhandene Fachkräfte, schlechteres Konsumklima, schlechtere Infrastruktur, etc., die Unternehmen davon abhalten, die Produktion zu verlagern. Nokia in Bochum hat vor Augen geführt, dass Subventionen ohne Kontrolle auch missbräuchlich verwendet werden.
Wie ich verhindern will, dass Steuern auf die Preise von Produkten aufgeschlagen werden? Das regelt das Prinzip Angebot & Nachfrage - wenn Ware zu teuer ist, wird sie nicht gekauft. Außerdem halte ich es für wünschenswert, die Benachteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen in Bezug auf die aktuelle Steuerpolitik zu beenden. Dies ist nämlich eine reale Wettbewerbsverzerrung, bei der eigentlich auch Neoliberale aufschreien müssten.
Ich empfehle Ihnen als Lektüre die „Nachdenkseiten“ im Internet. Unter http://www.nachdenkseiten.de/?p=2887 finden Sie einen Essay von Wieland Hempel, der sich recht anschaulich mit dem Neoliberalismus auseinandersetzt.
Mit freundlichen Grüßen
Kersten Artus