Frage an Kersten Artus von Barbara C. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Artus, mich interessiert die Position Ihrer Partei zu der Situation im Orient und den aktuellen zunehmenden kriegerischen Auseinandersetzungen. So schrieb die Presse einmütig bis noch vor kurzem, dass das Militär in Ägypten zu verurteilen sei, da es auf die Muslim Bruderschaften geschossen habe und diese massiv verfolge. Sieht Ihre Partei das genauso? Und: Wie steht es mit den Muslim Bruderschaften und Salafisten, die nach Europa strömen, um hier ebenfalls ihre Ziele zu verfolgen? Insbesondere die Position Ihrer Partei zu den Salafisten, die in 2012 25000 Exemplare des Koran verteilten, interessiert mich sehr. Gibt es eine Auseinandersetzung in Ihrer Partei um die künftigen Auseinandersetzungen und Probleme, die bereits existieren bzw. auf uns zukommen werden?
In diesem Zusammenhang: Wie beurteilenSie die ein Burka und Niqab Verbot in unserem Land? Entspricht eine Frau in einer Burka dem Weltbild Ihrer Partei?
Beste Grüße, Barbara Collet
Liebe Frau Collet,
vielen Dank für Ihre Fragen, mit denen sie hochaktuelle Themen aufgreifen.
Zu Ihrer Fragen nach Ägypten:
Leider entsteht immer wieder der Eindruck, als haben die Politik der Bundesregierung nichts mit den Konflikten im Nahen Osten zu tun. Die Bundesregierung bemüht sich aber viel zu wenig um ein einheitliches Vorgehen der EU, Außenminister Westerwelle (FDP) ist zögerlich und schwankend.
Grundsätzlich lehne ich alle Sanktionen, die in ihrer Konsequenz die Lebenslage der Menschen in Ägypten weiter verschlechtern, kategorisch ab. Die Rüstungszusammenarbeit mit und die Rüstungsexporte nach Ägypten müssen beendet werden. Ägypten braucht Unterstützung für eine Politik, die ganz auf Gewalt verzichtet. Das trifft sowohl auf die Armee zu, als auch auf einzelne nichtstaatliche Gruppen und Organisationen. Es müssen auch die Debatten über eine politische Isolierung Ägyptens beendet werden und staatliche wie zivilgesellschaftliche Kontakte ausgebaut werden. Ich unterstütze die Forderung nach einer neuen Verfassung. Dringend steht eine Verbesserung der sozialen Lage auf der Tagesordnung. Ich stehe an der Seite derer, die sich gegen einen autoritären islamistischen Unterdrückungsstaat Ägypten zur Wehr setzen. Die Menschen brauchen soziale Gerechtigkeit: Essen auf dem Tisch und Arbeitsplätze – und keinen Kulturkampf.
Ich möchte Ihnen die Stellungnahme unseres außenpolitischen Sprechers der linken Bundestagsfraktion, Wolfgang Gehrcke, zur Kenntnis geben, der ich mich anschließe:
„Die Lage in Ägypten ist äußerst kompliziert: Die Mehrheit der Ägypterinnen und Ägypter wollte Mursi loswerden. Sie lehnen offensichtlich eine Gesellschaft unter dem Diktat der Scharia ab. Die Anhänger Mursis können sich nicht glaubwürdig auf den Volkswillen berufen. Gleichzeitig ist nicht hinnehmbar, wenn das Militär seine Waffen gegen Demonstranten einsetzt. Hunderte von Toten sind für einen demokratischen Neubeginn eine furchtbare Hypothek. Die Ägyptenpolitik der Bundesregierung kann man bestenfalls als schwankend bezeichnen. Man könnte auch sagen: Westerwelles außenpolitische Linie ist, dass er keine Linie hat. Bis fünf nach zwölf hat Deutschland an Mubarak festgehalten und dann umgesattelt auf die Muslimbrüder und Mursi. Jetzt schwankt man zwischen Solidarität mit den Militärs und einem Arrangement mit der Muslimbruderschaft. Eine kluge Außenpolitik setzt in dieser Situation auf Vermittlung und honoriert Deeskalation. DIE LINKE steht in einem intensiven Meinungsaustausch mit linken Parteien und Bewegungen in Ägypten. Auch in der jetzigen Situation bleiben Gewaltlosigkeit und die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit die Grundlinie linker Außenpolitik.“
Zu Ihrer Frage nach den Salafisten:
Die Aktivitäten der Salafisten in der Bundesrepublik bereiten vielen Menschen Sorge. Dennoch finde ich es wichtig, aufzupassen, wem man applaudiert: Rechtsradikale nutzen die anti-islamische Stimmung unter der Bevölkerung aus, um sich ins Bild zu setzen. Mich widert das Weltbild der Salafisten und insbesondere die Missachtung der Menschenrechte für Frauen an. Dennoch glaube ich, dass die Verteilung des Koran keinen negativen Nährboden in unserer Gesellschaft bereitet. Jeder hat das Recht, Bücher zu verschenken und offen seine Religion zu diskutieren. Stimmungsmache durch religiöse Eiferer und erst Recht Drohungen gegen Journalistinnen und Journalisten und Andersgläubige sind für mich allerdings inakzeptabel. Man muss aber auch nicht so tun, als stünde die Einführung der Scharia hierzulande bevor.
Rechtspopulistische Forderungen wie sie zum Beispiel aus der FDP heraus geäußert wurden – bereits eingebürgerte Salafisten auszuweisen – halte ich für verkehrt. Statt weiter die Konfrontation zwischen Religionen und Kulturen zu schüren, rate ich zum Dialog und zur Sachlichkeit. Die Glaubens- und Meinungsfreiheit sind jahrhundertelang erkämpfte Freiheitsrechte, die nicht durch sich gegenseitig aufschaukelnde Eiferer in Frage gestellt werden dürfen.
Zu Ihrer Frage nach einem Burkaverbot:
Ich bin gegen ein Verbot von Burka und Niqab. Die Gesellschaft muss endlich aufhören, Frauen vorzuschreiben, was sie tragen dürfen und was nicht. Es mag befremdlich sein, wenn sich eine Frau vollverschleiert auf der Straße bewegt. Es hilft aber nichts: Emanzipation muss von innen heraus kommen und kann nicht aufgedrückt werden. Ein generelles Burka-Verbot am Arbeitsplatz würde deswegen bedeuten, dass die betroffene Frau davon abgehalten wird, ein eigenständiges Einkommen zu erwirtschaften. Das kann nicht im Interesse derer sein, die sich die Emanzipation der Frau auf die Fahnen schreiben. Alice Schwarzer, die ein Kopftuchverbot fordert, bedient islamophobische Tendenzen, die ich ablehne. Ich halte das auch für eine scheinheilige Debatte, da sie von den wirklichen Problemen, die diese Gesellschaft hat – die unsoziale Politik und ihre Auswirkungen auf Millionen Menschen wie Hartz IV, Privatisierung des Gesundheitswesens, Altersarmut, Pflegenotstand – ablenkt.
Mit freundlichen Grüßen
Kersten Artus