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Katrin Göring-Eckardt
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Annette R. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von Annette R. bezüglich Jugend

Sehr geehrte Frau Göring-Eckardt,

Es geht um den Gesetzesentwurf zur Legalisierung der Vorhautamputation bei minderjährigen Jungen, den Sie unterstützt haben.
Und ich (seit 20 Jahren in interkultureller, muslimisch-christlicher Ehe, 3 Kinder) möchte Sie fragen:
Wie ist es mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren, dass die Vorhautamputation bei minderjährigen Jungen legalisiert werden soll, während die Abtrennung der äquivalenten Gewebe bei Mädchen, was nach der Embryonalentwicklung die Klitorisvorhaut inklusive der kleinen Schamlippen wäre, weiterhin verboten sein soll? Keine Missverständnisse: FGM ist mit einer Vorhautamputation natürlich nicht zu vergleichen. Denn FGM schließt in über 90% der Fälle die Klitorisamputation mit ein, was mindestens einer Eichelamputation beim Jungen entsprechen würde, die, von einzelnen tragischen unbeabsichtigten Einzelfällen einmal abgesehen, natürlich nicht Bestandteil der Jungenbeschneidung ist.
Aber mit der Entfernung der Klitorisvorhaut und der kleinen Schamlippen, selbstverständlich mit Betäubung und nach allen "Regeln der ärztlichen Kunst", könnte man doch all den somalischen und sudanesischen Eltern wenigstens ein bisschen entgegenkommen. Ich spreche hier nicht von einer kühlen Rechtsmechanik, sondern von den realen Sorgen liebender Eltern: Kann unsere intakte Tochter mit all den Falten da unten überhaupt eine richtige Frau werden? Wie kann sie sich so sauber halten, von der mangelnden Ästhetik einmal abgesehen, und wenn sie dann von ihren Cousinen auf Heimaturlaub gehänselt wird, nicht richtig dazu gehört..? Und findet sie so jemals einen adäquaten Partner?

Warum wird die körperliche (genitale) Unversehrtheit von Jungen gesetzlich nicht genauso geschützt wie die der Mädchen???

Mit freundlichen Grüßen, Annette Ryll

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Ryll,

selbstverständlich setzen sich Bündnis 90/Die Grünen seit Jahrzehnten für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ein. Das bedeutet aber auch, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln.

Dass bei der Zirkumzision der männlichen Vorhaut und der Genitalverstümmelung von Mädchen in beiden Fällen von „Beschneidung“ die Rede ist, ist ein die Fakten verschleiernder Wortgebrauch. Dass derselbe Begriff verwendet wird, suggeriert, dass dasselbe (oder zumindest Vergleichbares) geschieht. Das ist nicht der Fall! Und das schreiben Sie selbst ja auch.

Sie sprechen verschiedene Argumente an, die für die Beschneidung vorgebracht werden: den Initiationscharakter der Beschneidung, hygienische und ästhetische Gründe sowie die sozialintegrative Funktion der Beschneidung. Abgesehen davon, dass eine Übertragung dieser Argumente auf die weibliche Genitalverstümmelung, wie Sie sie andeuten, sehr anfechtbar ist, sparen Sie einen wesentlichen Grund aus, weil er auf die sog. Beschneidung von Mädchen nicht angewendet werden kann: die religiöse Begründung. Sie spielt bei der Zirkumzision sowohl im Islam als auch im Judentum aber eine entscheidende Rolle.

Der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von Jungen, die eine Beschneidung bedeutet, ist in keiner Weise mit den Folgen vergleichbar, die eine Genitalverstümmelung von Mädchen für die Betroffenen hat. Es geht hier also nicht um das Gleiche, auch nicht um Vergleichbares, sondern um Ungleiches, was deshalb konsequent unterschiedlich bewertet und behandelt werden muss.

Mit freundlichen Grüßen,
Katrin Göring-Eckardt

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