Frage an Katja Pähle von Elena K. bezüglich Bundestag
Sehr geehrte Frau Dr. Pähle,
am Mittwoch stimmt der Bundestag über das 3. Gesetz zum Schutz der Bevölkerung ab. Dieser Gesetzesentwurf räumt dem BMG und der Bundesregierung im Falle einer "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" die Möglichkeit ein, ohne parlamentarische Kontrolle tiefgreifende Einschnitte in die Grundrechte der Bevölkerung vorzunehmen (betr. Reisefreiheit, Berufsausübung, Beherbergung etc.). Dieses Gesetz soll nun im Schnelldurchlauf durch Bundestag und Bundesrat getrieben werden - und das trotz massiven Protests durch weite Teile der Bevölkerung. In einem Land wie Sachsen-Anhalt sind wir von Politikverdrossenheit und Rechtskonservativen ohnehin umgeben. Eine Abgabe der parlamentarischen Verantwortung an die Exekutive würde diesen Tendenzen weiteren Auftrieb verleihen. Das Festhalten am Demokratieprinzip, das (langwierige) Ringen um gute Antworten, die Anhörung verschiedener Betroffener hingegen verkörpert lebendige Demokratie und schützt nicht nur vor Machtmissbrauch, sondern auch vor vorschnellen und unausgegorenen Entscheidungen.
Das 3. Bevölkerungsschutzgesetz will schnelle Legitimation zu schnellem Handeln ohne parlamentarische Kontrolle. Dieser Gesetzentwurf muss dringend nachgebessert werden, um zustimmungsfähig zu werden.
Frau Dr. Pähle, wie stehen Sie zu Ihrem Mandat als Abgeordnete des dt. Bundestages, zu Ihrer Pflicht, parlamentarische Kontrolle auszuüben? Werden Sie Ihr Mitbestimmungsrecht im Sinne des 3. Bevölkerungsschutzgesetzes beschneiden lassen? Oder werden Sie Nachbesserungen im Gesetzesentwurf einfordern, mit der Konsequenz sich unbequem zu machen?
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Mit demokratischen Grüßen,
D. E. K.
Sehr geehrte Frau Kurzius,
vielen Dank für Ihre Anfrage über abgeordnetenwatch.de. Auch wenn ich keine Bundestagsabgeordnete, sondern Abgeordnete des Landtages von Sachsen-Anhalt und dort Fraktionsvorsitzende der SPD bin, möchte ich Ihnen gerne antworten, weil auch wir in unserer Arbeit täglich damit zu tun haben, wie bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie das Infektionsschutzgesetz angewandt wird, das jetzt durch das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ in vielen Punkten geändert werden soll.
Ich kann Ihrer Einschätzung des Gesetzentwurfs, über den morgen in Bundestag und Bundesrat abgestimmt werden soll, nicht zustimmen, sondern komme zu einer ganz anderen Bewertung:
Erstens: Es trifft nicht zu, dass durch das Gesetz Grundrechtseingriffe ermöglicht werden. Solche Eingriffe im Interesse der Pandemiebekämpfung sind vielmehr auch nach geltender Rechtslage schon möglich und werden ja durch die Corona-Eindämmungsverordnungen auch laufend vorgenommen. Die Ermächtigung zu solchen Grundrechtseingriffen ist jedoch im bisherigen Infektionsschutzgesetz sehr allgemein und unbestimmt. Durch das neue Gesetz werden für die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie Voraussetzungen und Umfang solcher Eingriffe näher bestimmt. Wenn die Versammlungs- oder Religionsfreiheit betroffen ist oder wenn Kontakt- oder Besuchsbeschränkungen verhängt werden sollen, gelten erhöhte Voraussetzungen. Alle Maßnahmen müssen mit sozialen und ökonomischen Belangen abgewogen werden, regionale Unterschiede müssen berücksichtigt werden.
Zweitens: Durch das Gesetz werden keine parlamentarischen Zuständigkeiten auf die Exekutive übertragen und keine parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten eingeschränkt, im Gegenteil: Die Bundesregierung wird verpflichtet, laufend im Bundestag zu berichten. Bereits durch das erste „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 27.3.2020 war der Deutsche Bundestag für die Feststellung einer solchen Lage zuständig geworden, sodass im Vergleich zur vorher geltenden Gesetzeslage die parlamentarischen Rechte erheblich gestärkt wurden. Die vom Bundestag beschlossene Befristung der Feststellung dieser Lage bis zum 31.3.2021 wurde ebenfalls im Gesetz festgeschrieben. Was jetzt noch neu hinzukommt: Wenn es keine bundesweite epidemische Lage mehr gibt, können in den einzelnen Ländern Eindämmungsregelungen nur dann beschlossen werden, wenn der jeweilige Landtag eine landesweite epidemische Lage feststellt.
Drittens: Auch das zügige Verfahren zur Verabschiedung des Dritten Gesetzes stellt aus meiner Sicht keine Beschränkung parlamentarischer Rechte dar. Es zeigt vielmehr, dass demokratische Verfahren auch in Zeiten großen Handlungsdrucks funktionieren; dass demokratische Teilhabe und Effizienz kein Widerspruch sind. Der Gesundheitsausschuss des Bundestages hat eine umfangreiche Expertenanhörung vorgenommen, und wenn Sie den ursprünglichen Gesetzentwurf mit der gestern vom Gesundheitsausschuss beschlossenen Fassung vergleichen, sehen Sie, wie intensiv die Kolleginnen und Kollegen des Bundestages daran gearbeitet haben.
Im Ergebnis komme ich zu dem Schluss, dass das Gesetz unter den Bedingungen eines hohen exekutiven Handlungs- und Entscheidungsdrucks das Demokratieprinzip wahrt, Grundrechtseingriffe an viel deutlicher definierte Voraussetzungen knüpft und – insbesondere in Verbindung mit den beiden vorangegangenen Gesetzen – die parlamentarischen Rechte stärkt. Ich plädiere deshalb auch dafür, dass Sachsen-Anhalt dem Gesetz im Bundesrat zustimmt.
Ich habe Ihnen die Links zu den entscheidenden Texten noch einmal zusammengestellt:
Infektionsschutzgesetz in geltender Fassung:
https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/index.html#BJNR104510000BJNE002203116
Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD:
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/239/1923944.pdf
Anhörung des Gesundheitsausschusses vom 12.11.2020:
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw46-pa-gesundheit-bevoelkerungsschutz-803156
Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses vom 16.11.2020:
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/243/1924334.pdf
Wenn Sie Nachfragen oder Diskussionsbedarf haben, kontaktieren Sie mich gerne.
Mit besten Grüßen
Katja Pähle