Frage an Katja Kipping von Jahn Markus G. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Kipping,
ich frage mich wegen der vielen Probleme die Deutschland und Europa hat, ob unsere Politiker überhaupt für diese Aufgaben geeignet sind. Nun meine Frage: Welche Qualifikationen können Sie als Literaturwissenschaftlerin in die Politik einbringen?
Über Ihre Antwort würde mich sehr freuen!
Mit freundlichen Grüßen
Jahn Markus Günther
Sehr geehrter Herr Günther,
prinzipiell kann ich ihre Frage verstehen, da ja im Bundestag Entscheidungen über den Literaturbetrieb in Deutschland eher selten anstehen. Allerdings käme auch niemand auf die Idee, einen engagierten und erfolgreichen Inhaber eines Reisebüros - ein solches darf jeder Mensch betreiben, er benötigt noch nicht einmal einen Schulabschluss dafür - kritisch nach seiner erforderlichen Qualifikation zu befragen.
Den Beruf Politikerin oder Politiker gibt es nicht, es existieren auch keine Stellenbeschreibungen. Idealerweise sollte ein Parlament die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung widerspiegeln - und mit fachpolitischer Kompetenz gepaart sein. Und da, das gebe ich gern zu, sehe auch ich noch Schieflagen. So sind beispielsweise 24% der Bundestagsabgeordneten Juristen. Davon gibt es zwar eine Menge in Deutschland, 20 Millionen aber meinen Schätzungen nach nicht. Ebenso unsicher bin ich mir, ob 11 Millionen Menschen in Deutschland als Lehrer tätig sind, wie der prozentuale Anteil dieser Berufsgruppe im Bundestag den Anschein erwecken könnte. Aber auch Geisteswissenschaftler scheinen mir mit 4% der Abgeordneten noch überrepräsentiert. Arbeiterinnen und Arbeiter fehlen im Deutschen Bundestag hingegen fast völlig und das halte ich sehr wohl für ein Problem.
Vielleicht stimmt es Sie etwas versöhnlicher, dass ich meine Magisterarbeit immerhin über "Interpendenzen zwischen Politik und Literatur, exemplarisch dargestellt an Werken von Cernysevskij, Cechov und Blok" geschrieben habe. Zudem bin ich beileibe auch nicht die/der erste Literaturschaffende, der politisch tätig ist, erinnert sei an dieser Stelle z.B. an Pablo Neruda.
Politiker werden in ihr Amt - im Unterschied zur Wirtschaft übrigens, wo der Personalchef oder Unternehmer die Entscheidung über die Einstellung trifft - gewählt. So funktioniert Demokratie. Politiker haben im Auftrag ihrer Wähler politisch tätig zu werden. Sie und die anderen Wähler treffen die Entscheidung, ob die Kandidaten, welche die Partei auf der Basis ihres Programms präsentiert, für dieses Amt geeignet sind.
Es ist, so meine ich, eine große Verantwortung, dieses Vertrauen zu erhalten und man sollte diese Verantwortung nicht übernehmen, wenn man keinen Antrieb verspürt, politische Willensbildung im Auftrag der Wählerinnen und Wähler zu betreiben und nicht bereit ist zu lernen. Denn hier unterscheidet sich die Tätigkeit eines Politikers in nichts von der eines jeden anderen Menschen: ohne ständiges Lernen geht es nicht. Insofern betrachte ich den erfolgreichen Abschluss meines Studiums lediglich als Basis und als einzelnen - keineswegs unwichtigen - Punkt in meinem Leben.
Mit freundlichen Grüßen
Katja Kipping