Frage an Katja Kipping von Stefan P. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Kipping,
• Trotz der Einführung des Betriebsrentenfreibetragsgesetzes ab 01.01.2020 werden von der Politik noch immer die Interessen von ca.9 Mio. Altersvorsorgenden Menschen ignoriert .
• Nach wie vor muss ein nicht unerheblicher Teil der selbst angesparten Auszahlungssumme einer Direktversicherung oder Betriebsrente an die Gesetzliche Krankenversicherung abgeführt werden. Ich habe hier sogar beides (Direktversicherung und Pensionskasse) und bin daher doppelt betroffen!!
• Auch ich gehöre in absehbarer Zeit (Renteneintritt innerhalb der nächsten 3-4 Jahre) zu den Betroffenen.
• Das ab dem 01.01.2020 gültige Betriebsrentenfreibetragsgesetz gewährt den Direktversicherten einen Freibetrag in Höhe von monatlich 159 € für 120 Monate und den Betriebsrentnern für ca. 250 Monate. Ich habe an Sie als gewählten Volksvertreter im Deutschen Bundestag folgende Fragen:
1. Frage
• Anhand des Statistischen Bundesamtes besteht ein deutlich höherer monatlicher Fehlbetrag im Lebensunterhalt der Rentnerhaushalte. Hier muss eine Entlastung geschaffen werden, ansonsten ist eine Unterstützung von anderer Seite erforderlich.
2. Frage
• Warum werden in der Auszahlungsphase Direktversicherte und Betriebsrentner bei den Beitragszahlungen unterschiedlich behandelt? (Laufzeit Freibetrag für Direktversicherte auf 120 Monate begrenzt; Laufzeit Freibetrag für Betriebsrentner auf Lebenszeit im Durchschnitt zirka 250 Monate *)
*Lebenserwartung lt. Statistisches Bundesamt Wiesbaden
3. Frage
• Warum werden nur gesetzlich und freiwillig Krankenversicherte zur Zahlung der doppelten Sozialversicherungsbeiträge aus der arbeitnehmerfinanzierten Altersvorsorge verpflichtet? (Beamte und privat Versicherte sind ausgenommen).
4. Frage
• Warum wurden trotz vorhandener Mittel und Parteibeschlüsse die nachweislichen Fehler des GMG-Gesetzes für vor 2004 abgeschlossene Verträge nicht korrigiert?
Wie wollen Sie die Ungerechtigkeit der Doppelverbeitragung in der Altersvorsorge nachhaltig beseitigen?
5. Frage
• Wann und wie kommt der nächste Schritt in Richtung unserer Forderungen?
• Wie stellen Sie sich eine Entschädigung der zu viel gezahlten Sozialversicherungs-beiträge vor?
Hinweis:
• Ich mache mir Sorgen und Gedanken, wie sich die zukünftige Altersvorsorge für meine Tochter und Enkel gestaltet. (Bericht von Prof. Raffelhüschen in Euro am Sonntag Ausgabe 05/2020 „Wir erleben die Ruhe vor dem Sturm“)
Generelle Frage an die Politik:
• Welche Gesetzesinitiative planen Sie um die zukünftige Altersvorsorge der Arbeitnehmer sicherzustellen? (Orientierungs-Beispiel Nettolohn-Ersatzquote aus anderen Europäischen Ländern)
• Welche zusätzliche Altersvorsorge empfehlen Sie Ihren Kindern/Enkeln guten Gewissens?
Ich bin gespannt auf Ihre Antworten und verbleibe mit freundlichen Grüßen
Stefan Phillipp
Sehr geehrter Herr Philipp,
herzlichen Dank für Ihre Fragen zu den Betriebsrenten und zur Zukunft der Alterssicherung in Deutschland im Allgemeinen. Ich erlaube mir, Ihre Fragen gemeinsam zu beantworten.
Sie haben mich ganz auf Ihrer Seite. Seit den sogenannten „Rentenreformen“, die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung zu Beginn dieses Jahrtausends beschlossen wurden, ist die gesetzliche Rentenversicherung so stark geschwächt worden, dass das Versprechen der Lebensstandardsicherung mittlerweile nur noch in Ausnahmefällen eingelöst werden kann. Der damals wie heute angeführte Grund für die Schwächung der gesetzlichen Rente war und ist die angebliche Notwendigkeit, den Beitragssatz in die Gesetzliche Rentenversicherung zu stabilisieren, damit Unternehmen und Beschäftigte nicht übermäßig belastet werden.
Für Unternehmen bedeuteten diese „Reformen“ tatsächlich eine Entlastung, für Arbeitnehmer*innen sieht die Realität allerdings ganz anders aus: Um die durch die Schwächung der paritätisch finanzierten gesetzlichen Rentenversicherung entstandenen Sicherungslücken aufzufüllen, wurden sie auf überwiegend selbstfinanzierte Betriebsrenten und die bis auf die staatliche Förderung komplett eigenfinanzierte Riester-Rente verwiesen, welche nach parteiübergreifendem Konsens gescheitert ist. Die Kosten der Alterssicherung wurden also einseitig von Arbeitgeber*innen auf Arbeitnehmer*innen abgewälzt.
Zu dieser in höchstem Maße ungerechten Lastenverteilung kommt hinzu, dass, wie Sie in Ihrem Schreiben ausführen, durch das von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU ausgehandelte GKV-Modernisierungsgesetz seit 2004 alle Bezieher*innen von Kapitalauszahlungen und Betriebsrenten der betrieblichen Altersvorsorge den vollen Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung zahlen mussten, obgleich sie in vielen Fällen bereits während der Ansparphase Sozialversicherungsbeiträge abgeführt haben. Der Verein Direktversicherungsgeschädigte e. V. spricht aus unserer Sicht zurecht davon, dass die Betroffenen „erst angelockt, dann abgezockt“ wurden.
Nach insgesamt drei parlamentarischen Anträgen der LINKEN (siehe z.B. https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/002/1900242.pdf), vielen Debatten und Nachfragen, ist die Bundesregierung Ende des vergangenen Jahres endlich aufgewacht und hat sich zu einer zwar bescheidenen, aber zumindest für kleine und mittlere Betriebsrenten spürbaren Entlastung durchgerungen. Durch die Einführung eines Freibetrags in Höhe von knapp 160 Euro ab dem 01.01.2020 werden viele Direktversicherte und Betriebsrentner*innen um rund 25 Euro im Monat entlastet, die Krankenkassenbeiträge bei Betriebsrenten zwischen knapp 160 Euro und rund 318 Euro werden de facto halbiert. Für den Beitrag zur gesetzlichen Pflegeversicherung gilt der Freibetrag jedoch nicht, was in meinen Augen nicht nachzuvollziehen ist.
Besonders ärgerlich ist, dass viele Krankenkassen ihren Versicherten mitgeteilt mit zum Teil abenteuerlichen Begründungen mitgeteilt haben, dass die Berücksichtigung des neuen Freibetrages in der gesetzlichen Krankenversicherung und entsprechende rückwirkende Erstattungen gegebenenfalls erst bis Ende 2020 erfolgen könnten. Hierdurch vergrößert sich der Frust der Betroffenen über die ohnehin schon eher bescheidene Entlastung nur noch. Wir haben das Bundesgesundheitsministerium bereits im Februar hierüber in Kenntnis gesetzt und zum Handeln aufgefordert. Nach der Sommerpause wird DIE LINKE hier erneut den Finger in die Wunde legen.
Für uns ist das Thema damit allerdings nicht abgeschlossen, wir machen weiter dafür Druck, dass Betriebsrentner*innen und Direktversicherte mit Renten oberhalb des Freibetrags (der aus unserer Sicht auch für die gesetzliche Pflegeversicherung gelten muss) grundsätzlich nur den halben Beitragssatz zahlen müssen. Wir fordern, dass die Beitragspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nur einmal anfallen darf. Die sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung wollen wir endlich abschaffen. Wenn bereits während der Ansparphase Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden, dürfen in der Auszahlungsphase bzw. für die Kapitalabfindung keine Beiträge mehr fällig werden. Nicht zuletzt setzen wir uns weiter dafür ein, dass auf Direktversicherungen, die vor 2004 abgeschlossen wurden, gar keine Beiträge mehr erhoben werden.
Was die unterschiedliche Behandlung von gesetzlich und privat Versicherten betrifft, kann der Gesetzgeber bei den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung festlegen, welche Einkommen berücksichtigt werden. Bei der privaten Krankenversicherung hingegen handelt es sich - im Rahmen des Versicherungs- und bürgerlichen Rechts - um privatrechtliche Verträge, die Beiträge werden nach dem Schadensrisiko (Krankheitsrisiko) zu Beginn des Versicherungsvertrages bemessen; das Einkommen spielt hierbei keine Rolle. DIE LINKE steht grundsätzlich für eine Abkehr vom 2-Klassen-System in der medizinischen Versorgung. Wir sprechen dafür aus, dass alle Menschen – auch die derzeit privat Versicherten – in einer Solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung versichert sind und Beiträge nach Ihrem (Gesamt-)Einkommen zahlen.
Wer bei seiner betrieblichen Altersvorsorge eine einmalige Kapitalleistung wählt, wird in der Gesamtsummer immer weniger bekommen, als jemand, der eine monatliche Auszahlung wählt und nach Renteneintritt noch 20 Jahre und länger lebt. Deshalb muss im Fall der Einmalzahlung zwar auf eine höhere Summe, dafür aber weniger lang Beiträge gezahlt werden. Dies entspricht der Versicherungslogik. Warum der Gesetzgeber ausgerechnet zehn Jahre für den fiktiven monatlichen Bezug ausgewählt hat, ist in der Tat schwer nachzuvollziehen. An der oben ausgeführten grundsätzlichen Kritik der LINKEN an der Mehrfachverbeitragung von Betriebsrenten ändert dies jedoch ohnehin nichts.
Was die Zukunft der Alterssicherung angeht, setze ich mich gemeinsam mit meiner Partei dafür ein, die Lebensstandardsicherung in und durch die Gesetzliche Rentenversicherung wiederherzustellen, wie es vor den zu Beginn meiner Antwort genannten „Rentenreformen“ der Fall war. Hierzu gehört, das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent anzuheben und die Kürzungsfaktoren aus der Rentenanpassungsformel zu streichen. Um diese Leistungsverbesserung zu finanzieren, müsste zwar der Beitragssatz etwas angehoben werden, eine*n Durchschnittsverdienende*n würde dies allerdings nur 33 Euro im Monat kosten, wohingegen er oder sie sich die monatlichen Aufwendungen für die Riester-Rente in Höhe von 120 Euro (nach staatlicher Förderung) sparen könnte - insgesamt wäre das also eine deutliche Entlastung! Die Leistung der Gesetzlichen Rentenversicherung würde sich in diesem Fall um 153 Euro brutto bzw. 136 Euro netto erhöhen (Werte von 2020). Den von Prof. Raffelhüschen regelmäßig vorgetragenen Thesen und Prognosen zur Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung stimme ich explizit nicht zu.
Meiner Ansicht nach kann eine zusätzliche betriebliche Altersversorgung darüber hinaus zur Verbesserung der Einkommenssituation im Alter beitragen, solange sie mindestens zur Hälfte seitens des Arbeitsgebers finanziert ist und dieser eine verbindliche Zusage über die Höhe der späteren Leistung macht. Weitere Informationen zu den rentenpolitischen Positionen meiner Partei finden Sie unter https://www.die-linke.de/fileadmin/download/themen/folder2019/rente/2._Auflage_Supplement_der_Zeitschrift_Sozialismus_2_2017.pdf.
Freundliche Grüße
Katja Kipping