Frage an Katja Kipping von Barbara U. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kipping
Es sollen Schutzmaßnahmen für jüdische Einrichtungen und für jüdische Bürger unseres Landes verstärkt werden. Mich würde interessieren, wie die zusätzlichen Schutzmaßnahmen aussehen sollen und welche Vorstellungen die Linke hat.
In vielen Städten werden Juden als Einzelpersonen angegriffen. Ich verstehe nicht, wie der Schutz der Bürger aussehen soll, die jüdischen Glaubens sind.
Warum werden keine Kontaktadressen bekannt gegeben, wo aufmerksame Bürger Hass & Gewalt im Internet melden können? Ich glaube, es gibt viele Internetuser, die Hassmeldungen aus sozialen Netzen melden würden. Erforderlich wäre jedoch, dass mitgeteilt wird, welche Fakten die Strafverfolger benötigen.
Warum wird Hass & Hetze gegen Minderheiten, die zu Gewalt führen, nicht härter bestraft, wie z. B. durch Entzug der Fahrerlaubnis oder durch Arbeitsauflagen an Wochenenden in der Unfallstation oder Pathologie?
Bald ist Weihnachten. Welche Gefühle kommen wohl bei Kindern auf, wenn sie an einer Anzahl Polizisten vorbeigehen müssen, um in der Kirche den Weihnachtsgottesdienst zu besuchen?
Ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass Kinder, die mit ihren Eltern in die Synagoge gehen und auf der Straße sehen müssen, wie man Juden angreift, erheblich verunsichert werden?
Selbstverständlich gelten meine Fragen auch für andere Bürger unseres Landes, die durch ihre Religion zu einer Minderheit gehören.
Sehr geehrte Frau Uduwerella,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
- Ich glaube, dass die wichtigste Schutzmaßnahme darin besteht, Rechtsterrorismus und die Gefahr, die von ihm ausgeht, endlich ernst zu nehmen. Leider werden die Erfahrungen der Betroffenen bisher oft ignoriert.
In dieser Hinsicht markieren die Jahre seit der Selbstenttarnung des NSU ein verlorenes Jahrzehnt.
Nach Aussagen des Gemeindevorstehers der jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorozki, gab es die wiederholte Bitte um Polizeischutz, sie wurde nach Aussage von Herrn Privorozki abschlägig beschieden. Die Linksfraktion im sachsen-anhaltinischen Landtag geht mit Hochdruck Aufklärung nach.
Ich finde es erklärungsbedürftig, dass nach den Anschlägen von Christchurch und Pittsburgh, die Vorbild für das Vorgehen des Täters in Halle waren, keine Schutzmaßnahmen an einem Feiertag wie Jom Kippur unternommen wurden, zumal es eine zutreffende Gefährdungseinschätzung von den Betroffenen des Anschlags gab.
- Zum Ernst nehmen gehört auch die Verfolgung von rechten Straftaten. Hier fehlt es nicht an härteren Strafen. Volksverhetzung kann mit Strafen bis zu fünf Jahren bestraft werden, Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdungen können mit je nach Delikt zwischen ein und fünf Jahren Haft bestraft werden.
Was hier zu beobachten ist, ist eher ein Durchsetzungsdefizit. Polizeibehörden- und Staatsanwaltschaften sind entweder überlastet oder nehmen in einigen Fällen das Problem nicht ernst. Davon zeugen diverse Einstellungsverfügungen.
- Mindestens ebenso wichtig ist die gesellschaftliche Ächtung rassistischer und antisemitischer Ansichten. Leider erleben wir gerade, dass die AfD als völkische Partei den Raum dessen, was an hetzerischen Aussagen in der Öffentlichkeit sagbar erscheint, massiv ausweitet.
- Zu guter Letzt braucht es die Unterstützung von Betroffenen. Vor dem Anschlag in Halle, wollte die Bundesregierung das Programm, aus dem die Opferberatungsstellen finanziert werden, um 8 Millionen Euro kürzen. Der Effekt wäre verheerend gewesen.
- Und schließlich haben die bisherigen Bundesregierungen versäumt, die Digitalkonzerne zum wirksamen Vorgehen gegen rechtswidrige Hetze auf ihren Plattformen zu bringen.
Doch statt diese fünf Punkte anzugehen, zieht der Innenminister nach jedem Anschlag einen Gesetzentwurf aus der Schublade, der mit dem eigentlichen Problem nichts zu tun hat. Statt über Antisemitismus und Rassismus spricht er über die Gefahren von Computerspielen.
Freundliche Grüße
Katja Kipping