Frage an Katja Kipping von Bernd D. bezüglich Gesundheit
„Gegen den Tod auf der Organwarteliste“ e.V.
Dr. med. B. M.
Sehr geehrte Frau Kipping
Der Presse habe ich entnommen, dass Sie starke Bedenken gegenüber der Einführung der sogenannten Widerspruchslösung in das deutsche Transplantationsrecht haben.
Wir Mitglieder des Vereins „Gegen den Tod auf der Organwarteliste“ und wir möchten Ihnen gern ein Argument vorstellen, dass in der bisherigen Debatte fast keine Rolle gespielt hat.
Die Organspende wird meist als ein Akt der Barmherzigkeit gegenüber Menschen in Not angesehen. Es geht um eine asymmetrische Beziehung zwischen einem Menschen, der nicht in Not ist, und einem Bedürftigen.
Ist das realistisch? Wir alle können gar nicht wissen, ob wir einmal zu potentiellen Spendern werden, weil wir nach einem dramatischen Ereignis hirntot auf einer Intensivstation liegen, oder ob wir selbst oder ein uns lieber und wichtiger Mensch einmal dringend ein Spenderorgan brauchen wird.
Die zweite Möglichkeit ist übrigens viel wahrscheinlicher: Jedem Organspender werden im Durchschnitt 3,4 Organe entnommen und damit ca. 3 Empfänger versorgt. Wenn jeder Empfänger etwa 9 Menschen hat, für die sein Weiterleben sehr wichtig ist (Kinder, Eltern, Geschwister, enge Freunde usw.), dann profitieren etwa 30 Menschen existentiell von jedem Organspender.
Praktisch niemand, der ein Organ braucht, lehnt eine Transplantation ab. Niemand sagt nein, wenn z.B. das Leben seines Kindes von einer Transplantation abhängt. Eine Ausnahme sind die Zeugen Jehovas. Wenn sie die Transplantation bei ihrem Kind ablehnen, wird ihnen umgehend das Sorgerecht gerichtlich entzogen und danach wieder zurückgegeben.
Wenn es so selbstverständlich ist, ein Organ haben zu wollen, wenn man es braucht, ist dann das Nein zur Organspende moralisch in Ordnung? Ist es dann moralisch akzeptabel, sich mit der Frage nicht beschäftigen zu wollen? Kann man dann nicht verlangen, dass man wenigstens ausdrücklich „Nein“ sagen muss?
Mit vielen Grüßen
Bernd Meyer
Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre Fragen.
Sie und ich teilen das Ziel, die Zahl der verfügbaren Spenderorgane zu erhöhen. Aus diesem Grund haben ich unter anderem mit den Kolleginnen Annalena Baerbock von den Grünen sowie Kerstin Griese von der SPD einen Vorschlag entwickelt, der dafür sorgt, dass mehr Menschen eine verbindliche und informierte Entscheidung zur Organspende treffen.
Jede/r BürgerIn soll bei der Beantragung oder Verlängerung eines Personaldokuments angeben, ob er oder sie einer Organspende zustimmt oder nicht.
Ich selbst besitze einen Organspendeausweis und habe mich für eine Organspende entschieden. Ich glaube aber nicht, dass es die Aufgabe des Staates ist, ethische Positionen für verbindlich zu erklären oder moralische Werturteile in letztgültigen Fragen zu fällen. Es handelt sich bei der Entscheidung für oder gegen eine Organspende um eine höchstpersönliche Entscheidung, die es zu respektieren gilt.
Schweigen bedeutet im Rechtswesen weder ja noch nein. Es ist grundsätzlich keine Willenserklärung. Das sollte erst recht in einem sensiblen Bereich, bei dem es um Leben, Tod und Sterben geht, gelten.
Meine Rede in der Orientierungsdebatte im Bundestag können Sie hier nachlesen.
Die gesamte, sehr sachliche und bereichernde Debatte finden Sie hier:
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19067.pdf#P.7583
Freundliche Grüße
Ihre Katja Kipping